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"Wir waren die Karamellbabys unserer Gesellschaft"


Wir gingen zu seinem Auto, das vor meiner Wohnung stand und da wurde mir schon klar, dass ich falsch gekleidet war. Ich glaube, dass das der erste Moment in meinem Leben war, indem ich mir wirklich Gedanken um meine Kleidung machte.  Ich meine, ich trug eine einfache schwarze Jeans und mein Vater kam da mit einem teuren Mercedes an.  Was sich wohl meine Nachbran denken mussten?

Wir stiegen in das Auto ein und ich fühlte mich irgendwie sofort wohl. Gleichzeitig war ich sehr aufgeregt. Am liebsten hätte ich jemanden bei mir, der mir etwas bedeutet, wenn ich meine Familie kennen lerne. Am liebsten hätte ich Joy bei mir. Aber das ging nicht und das machte mich nur noch nervöser, als ich ohnehin schon war. Immer wieder maöte ich mir verschiedene Szenen aus, die gleich passieren konnten. Keine gefielt mir so recht, weil in keiner von allen Joy anwesend war.

Wir fuhren eine gute Viertelstunde, bis wir an einem riesigen Haus ankam. Auf den ersten Blick wirkte dieses wie eine Villa, aber bald wurde mir bewusst, dass es einfach ein stinknormales Neubauhaus war, das wahrscheinlich total überteuert gewesen war beim Kauf. So groß war es nun auch wieder nicht. Nur der Pool, den ich bald von außen sah, und die Lage ließen das Haus sehr groß wirken. Wir waren in den Nachbarort gefahren, der berühmt für seine reichen Einwohner war. Das Haus lag auf einer kleinen Erhöhung, aber immer noch sehr nah an der Küste, weshalb der Pool überflüssig und prahlend erschien. Mir machte es nichts aus, da ich wusste, dass es meine Eltern waren, die das Geld zur Genüge hatten.

Das Auto hielt an und wir schnallten uns schweigend ab. Dann sah mein Vater mich eindriglich an.

"Bitte vergib Aiden sein unangemessenes Verhalten. Er hat es nicht einfach, jetzt wo du da bist."

Daraufhin stiegen wir aus und ich lief meinem Vater mit Puddingbeinen hinterher. Damals war ich so aufgeregt gewesen, weil mein 'wahres' Zuhause nahte, aber sollte heute jemand zu mir kommen und mich nach Hause schleppen wollen, würde ich sogar sterben, nur um nihct dort hingehen zu müssen. Verstehen kann man es ja, dass ich damals dorthin wollte, aber so richtig für gut heißen kann man es dann doch wieder nicht.

Bald waren wir an der großen Haustür angekommen, die komischer Weise offenstand. Ich dachte immer, dass reiche Leute hyperabgesichert waren, aber das traf in diesem Fall nicht zu. Wir traten ein und zogen unsere Schuhe aus. Der Boden erweckte den Gedanken in mir, dass die Putzfrauen gut bezahlt sein mussten. Es waren Hochglanzfließen, die dazu wie geleckt aussahen. Na toll, das konnte ja etwas werden.

Ich betrachtete meine Hände und rieb sie peinlichberührt aneinander. Meine Beine folgten meinem Vater, aber so richtig realisieren wollte mein Kopf das immer noch nicht. Meine Augen erblickten das riesige Wohnzimmer, in dem sich ein riesiges Sofa und ein riesiger Fernseher befanden. Alles war hier ohne Ausnahme riesig.

Drei Personen saßen auf dem besagten Sofa, das bei einem genaueren Hinsehen beige-grau war, und schauten fern. Ihre Rücken waren uns zugewandt, weshalb Richard sich räusperte. Daraufhin schossen die Gesichter von Laureen und wohl meiner kleinen Schwester herum. Lia sah wirklich noch etwas kindlich aus; ich schätzte sie auf 10 Jahre. Sie hatte lange, blonde Haare und die selben Augen wie ich. Ihr Körper war sehr schmal und zierlich, was ich erkennen konnte, als sie aufsprang und zu ihrem Vater lief.

Unserem Vater...

Sie drückte sich an ihn und seufzte. Sie war unglaublich süß. Danach sah sie mich mit ihren großen Augen an und mein Herz erwärmte sich.

"Bist du Nash Mason?"

Ich lächelte sie an und ging vor ihr in die Hocke, damit wir ungefähr auf gleicher Höhe waren.

"Ja, aber Nash reicht. Und du bist die kleine Lia?"

Ihre Augen zogen sich zusammen und sie lachte laut. Ihre Zähne waren so weiß, wie ich noch keine anderen Zähne gesehen hatte und grade aneinander gereit. Ein definitives Werk eines Kieferorthopäden. Klar sah es schön aus, aber sie war ein Kind. Meiner Meinung nach musste ein Kind nicht perfekt aussehen. Das Unperfekte machte uns Menschen doch erst perfekt.

"Mein Name ist Lia, aber ich bin nicht klein!Ich werde auch einmal so groß wie du, Shany!!"

Ich stand auf und lachte lauter, als sie zuvor.

Shany? Wie süß!

Lia klammerte sich an mein rechtes Bein und wollte mit mir spielen. Ihre Reinheit und Unschuld machte mich nachdenklich. Vielleicht wäre meine Kindheit auch so gewesen, wäre ich zuhause aufgewachsen.

Meine Mutter war immer noch auf dem Sofa, aber auch nur um Aiden zu überreden, dass er aufstand. Irgendwann gab er nach und sofort viel mir auf, dass er nicht mein leiblicher Bruder war. Er hatte nicht unsere Augen, nicht unsere Gesichtsform und auch nicht unsere Haarfarbe. Er sah einfach anders aus. Seine Haare waren rabenschwarz und standen im satansgleichen Kontrast zu seinen Augen, die eisblau waren. Ja, diese Augen machte mir Angst. Sie waren kalt und ich erkannte die typischen Heimkinderaugen. Sie waren von Schmerz und Aberkennung geprägt. Sie sehnten sich nach Anerkennung, Liebe aber auch nach Rache. Er war ein Stückchen größer als ich und überragte somit alle Anwesenden im Raum. Sein Körper war dünn, aber sehr muskulös.

Er kam auf mich zu und starrte mir in meine Augen. Gefühlte Stunden vergingen, bis er endlich etwas von sich gab.

"Ich hasse dich."

Dann rauschte er an mir vorbei zur Tür heraus und ließ sie hinter sich zuknallen.Richard hatte sogar ein wenig untertrieben damals. Als Aiden vor mir gestanden hatte, sah es einen Moment lang so aus, als würde er gleich eine Kettensäge auspacken und mich umbringen wollen.

Heute sehe ich diese Reaktion als letzten Versuch des Schicksals mich zu warnen. Dieser Junge wollte mich loswerden, aber nicht weil er mich wirklich hasste. Sondern weil er Angst hatte. Ich hätte in diesem Moment eine Ausrede erfinden sollen und gehen sollen. Ich hätte sogar Aiden nachgehen sollen und fragen sollen, was das sollte. Ich hätte alles machen sollen, außer zu bleiben.

Aber ich bin geblieben.


Don't promise  - PAUSIERTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt