➰ 17. KAPITEL ➰

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Angst haben wir alle.

Der Unterschied liegt in der Frage wovor.

(Frank Thiess)

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Ich werde vom lauten Gezwitscher geweckt, das von draußen kommt. Blinzelnd öffne ich die Augen und richte mich auf. Ich muss wohl doch eingeschlafen sein. Mein erster Blick geht zu Ylvie, die wie eine Katze zusammengerollt auf den Fliesen liegt und leicht schnarcht. Abgelenkt werde ich durch das Geräusch, das mein Bauch von sich gibt. Laut knurrt er und verlangt nach Nahrung, die ich seit ungefähr zwei Tagen nicht zu mir genommen habe.

Etwas schwankend stehe ich auf und verlasse das Badezimmer um mich auf die Suche nach etwas Essbaren zu machen. Durch die Vorhänge vor den Fenstern zwängen sich die Sonnenstrahlen durch und erhellen so den Flur etwas. Als Erstes gehe ich in die Küche und suche in den Schränken, in den Keller will ich eigentlich nicht nochmal. Glücklicherweise finde ich Büchsen mit Obst und Gemüse. Der Gasherd funktioniert nicht mehr, ist wahrscheinlich auch besser so.

„Ebony", ruft jemand und einen Augenblick später steht Ylvie in der Küche. Sie sieht ziemlich verpennt aus und ihre Haare stehen strubbelig von ihren Kopf ab.

„Ich habe nach etwas essen gesucht", sage ich „Und nur die hier gefunden" Mit beiden Händen halte ich jeweils eine Büchse hoch und lächle schwach. Anscheinend kann sie noch nicht lächeln. Ylvie nickt nur kurz und setzt sich dann an den Küchentisch. Ich suche in den Schubladen nach einen Öffner, finde aber nur ein sehr spitzes Messer. Irgendwie bekomme ich damit die Büchse auf und verteile das Obst in zwei verstaubte Schalen, die ich vorher abwasche.

Für ein paar Sekunden essen wir langsam und ordentlich. Doch es schmeckt so gut, dass wir nicht anders können und uns den Rest hineinschlingen.

„Weißt du wem das Haus gehört hat?", frage ich und schiebe die Schale von mir weg in die Mitte des Tisches.

„Nein. Will hat mal ein Foto von zwei älteren Leuten gefunden, aber ich glaube nicht das es die Besitzer waren", erzählt sie und lehnt sich zurück. Ylvie sieht jetzt schon etwas munterer aus.

„Was ist passiert? Ich finde die Stadt sieht so verlassen aus" Ich stehe auf und packe die zwei Schalen zur Seite. Ylvie steht ebenso auf und stellt sich nah ans Fenster und guckt durch einen Schlitz im Vorhang raus auf die Straße.

„Wir haben viele Häuser und Wohnungen durchsucht, weil wir uns vor ein paar Jahren genau dieselbe Frage gestellt haben. Auf manchen Tischen stand noch das Abendessen, Sachen lagen quer verteilt im Raum. Es musste damals schnell gehen, wir glauben sie mussten die Stadt evakuieren und alles zurück lassen. Vermutlich wegen einer Seuche!"

Ylvie dreht sich zu mir um und mustert mich.

„Wie geht's deinen Händen?"

Ich zucke mit den Achseln und mache einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck, obwohl es immer noch brennt wie verrückt. Aber wir haben gerade wichtigere Probleme. Darum soll sich im Moment keiner unnötig Sorgen machen.

„Ist nur ein Mückenstich", sage ich und mache eine abfällige Handbewegung. Ylvie sieht noch immer nicht ganz überzeugt aus, aber nickt schließlich.

„Ich denke wir sollten zurück gehen", schießt es plötzlich aus mir raus und ich presse die Lippen aufeinander. Aber ihr Blick überrascht mich. Sie sieht mich an, als hätte sie es schon vor mir gewusst.

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„Hast du alles", harkt Ylvie abermals nach und schaut nachdenklich zum Haus zurück.

Prisoner | h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt