➰ 21. KAPITEL ➰

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Willst du den Körper heilen,

musst du zuerst die Seele die Seele heilen.

(Platon)

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Es dauert lange, bevor Harry sein Bett verlassen durfte. Während der Zeit seiner Genesung sehe ich ihn fast gar nicht. Er möchte nur Ylvie sehen und will unter keinen Umständen das jemand anders sieht in welchen Zustand er sich befinden.

„Er fürchtet, das sie denken er ist schwach", erzählt mir Ylvie eines Abends. Ich kann es irgendwie verstehen, aber dennoch denke ich, dass Schwäche zeigen nichts Schlimmes ist. Vielleicht muss ein Anführer immer stark sein, damit es weitergeht. Damit andere etwas oder jemanden haben, an den sie glauben können, der immer für sie da ist.

Derweil verbringe ich viel Zeit in der ganzen Stadt und erforsche jeden Winkel des Gefängnisses. Jeden Tag ein kleinen Abschnitt, mit neuen Häusern und Wohnungen. Manchmal finde ich Sachen die wir gut gebrauchen könnten. Außerdem bastelt Joona an irgendeinen Computer, den er im Keller von dem alten Krankenhaus gefunden hat und braucht ab und zu neue Teile. Die besorge ich ihn meistens, auch wenn es nicht immer einfach ist, genau das zu finden, was er sucht.

Es ist unglaublich, jedoch scheint es als ob ich eine Art Rhythmus gefunden zu haben. Langsam merkt man das der Herbst sich verabschiedet, gelegentlich schneit es sogar, allerdings bleibt er nicht lange liegen.

Ich komme an diesen Tag ziemlich spät zum Lager zurück und lege die Tasche mit meinen Funden in mein Zimmer, nachher werde ich mit Ylvie alles durchgucken und das wirkliche Brauchbare nachsortieren.

„Du bist dran"

Joona kommt mit einem mitleidigen Blick zu mir, in der Hand eine Schüssel warmer Suppe und einen Becher mit Wasser. Wochen habe ich mich davor gedrückt, Louis das essen herunterzubringen. Unter dem Krankenhaus gab es ein paar Räume, die vermutlich für die Suizidgefährdeten gebaut wurden. Das Krankenhaus ist also früher auch mal eine Psychiatrie gewesen. Außerdem eignete es sich jetzt gut für diejenige, die nicht ausbrechen durften.

Louis wurde nach dem Schuss gegen Harry hier runter gebracht und jeden Tag bringt einer von uns ihm etwas zu essen. Wahrscheinlich sogar mehr, als er je in den letzten Jahren bekommen hatte, wenn das essen knapp gewesen ist.

Mit komischen Gefühl im Bauch zögere ich den Gang die Treppen nach unten in die Länge. Da stand ich nun vor der Tür.

Meine Hände zittern, ich fische den Schlüssel aus meiner Tasche und schließe auf. Ich gehe mit klopfenden Herzen hinein. Louis sitzt mit den Rücken zu mir.

„Es gibt essen", sage ich mit kratziger Stimme und räuspere mich. Gruselig stückweise dreht er sich um, seine Augen wandern über den Fußboden und weiter meinen Körper hoch bis zu meinen Gesicht. Vorsichtig stelle ich die Schüssel in seiner Reichweite ab, und mache dann ein paar Schritte aus Sicherheit rückwärts wieder zurück.

„Ebony", lächelt er, aber es ist schon längst nicht mehr das typische Louis Lächeln, „Hallo Ebony"

Ich fühle mich sehr unbehaglich und will nur noch schnellstmöglich hier raus. Louis erkenne ich fast nicht wieder, ihm fehlen Zähne, er hat getrocknetes Blut im ganzen Gesicht kleben und seine Haare sind fettig und zerzaust.

„So wie du aussiehst, kannst du das essen gut vertragen", rate ich ihm unruhig und zwinge mir ein Lächeln auf, um nicht noch nervöser herüberzukommen. Doch Louis scheint genau das zu bemerken und legt prüfend den Kopf schräg. Müsste ich nicht eigentlich wütend sein? Er hat Harry angeschossen.

Prisoner | h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt