➰ 19. KAPITEL ➰

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Es ist besser,

sich mit zuverlässigen Feinden zu umgeben,

als mit unzuverlässigen Freunden.

(John Steinbeck)

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Der Regen hat aufgehört, doch stattdessen weht derzeit ein kalter Wind und das Quietschen von der zerfallenen Stadt macht alles nur noch unheimlicher. Fröstelnd halte ich mich dicht hinter Harry und versuche ein wenig seinen Schutz zu suchen. Vielleicht ist es nicht gut, dass Louis mich gleich sieht. Ich weiß ja noch nicht mal, was er will.

Die Gruppe bleibt vorm Tor stehen und bildet einen Halbkreis. Meinen Blick halte ich krampfhaft auf den Boden, denn ich möchte Louis Blick momentan nicht begegnen. Was wird mich erwarten? Was werde ich über ihn denken? Werde ich wütend sein? Ich kann nicht genau beschreiben, wie ich mich gerade fühle, aber Joona neben mir beobachtete mich kritisch und legt dann etwas zögerlich seinen Arm um meine Taille.

„Wo ist Styles?"

Seine Stimme hört sich schwach und kratzig an. Es sind Wochen vergangen, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Er wollte mich umbringen. Sie müssten jetzt ungefähr keine Nahrungsmittel mehr haben, vielleicht ist er deshalb gekommen, um Harry anzuflehen.

„Ich bin schon hier", erwidert Harry und ein paar weichen zur Seite weg, damit er nach vorne treten kann. Ich bewege mich geduckt einen Schritt zur Seite hinter einen großen bulligen Mann, dessen Arm voller Tattoos ist. Dann beuge ich mich ein Stück nach Rechts und kann jetzt Louis erkennen. Er sieht dünner aus, als ich ihn in Erinnerung habe. Seine Arme wirken noch knochiger, und sein Gesicht sieht ein wenig eingefallen aus. Louis steht leicht gekrümmt da und die Haare stehen büschelweise von seinem Kopf ab. Mich erschreckt sein Aussehen sehr.

Seine Augen huschen unruhig durch die Menge. Er befeuchtet mit seiner Zunge die ausgetrockneten Lippen und fixiert dann Harry mit seinem Blick.

„Hast schon mal besser ausgesehen" spottet dieser und bringt Louis dazu genervt eine Augenbraue hochzuziehen.

„Danke für das Kompliment, Styles" zischte Louis etwas angepisst zurück und ballt seine Hände zu Fäusten, was bei ihm gerade in seiner Verfassung nur wie ein lächerlicher Versuch gefährlich auszusehen, aussieht. Wieder starre ich auf seine Narbe an der Wange und stelle mir vor, wie Harry mit einem Messer diese Wunde verpasst hat. Ein sauber Schnitt. Als ob er damals auch gleichzeitig die Freundschaft zwischen den beiden durchgeschnitten hat.

„Was willst du hier?", fragt Harry und legt den Kopf schief.

„Du weißt, wie das ist, wenn man nichts mehr zu essen hat. Um die letzten Krümel wird gestritten, die ersten Leute sterben. Wir brauchen einen Teil eurer Vorräte" erklärt Louis und seine leeren Augen schauen auf den Fußboden „Ich bitte dich"

Überrascht atme ich aus und beobachte Harry, der schließlich mit angespannter Körperhaltung den Kopf schüttelt. Empört verlasse ich ohne zu zögern meine Deckung und stapfe zu Harry. Es ist mir egal, ob Louis mich jetzt sieht, aber das was er tut, ist gerade unmenschlich. Wenn man einen Menschen etwas nicht geben kann, wovon man selber genug hat, muss man einen triftigen Grund dafür haben. Und einen wirklichen Grund hat er nicht. Er hasst Louis vielleicht, aber es sterben Menschen, die nichts mit seinen Hass gegen Louis zu tun haben.

„Gib ihm was er braucht und er lässt euch zufrieden", fauche ich und er dreht seinen Kopf missmutig zu mir.

„Euch? Du meinst wohl eher uns", entgegnet er und in seinen Augen leuchtet etwas Herausforderndes auf. Ich weiß, dass er mir in keinster Weise traut. Und das er denkt, das ich irgendwas im Schilde führe.

Prisoner | h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt