➰ 31. KAPITEL ➰

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Wenn die Vergangenheit

an die Tür klopft, mach nicht auf.

Es hat einen Grund

warum sie hinter der Tür steht.

(Unbekannt)

-

„Das ist eine lange und unschöne Geschichte", murmelt Harry und senkt seinen Blick auf meine Finger, die er fest mit seiner Hand umschließt. Geistes abwesend streicht er mit dem Zeigefinger über meine Fingerknöchel. Ich lasse ihn, beobachte wie konzentriert er meine Hand zu seinem Mund führt und meine Fingerspitzen küsst. Er weicht bewusst meinen Blick aus und seufzt.

„Du musst es mir nicht erzählen. Nicht wenn du nicht willst oder es dir unangenehm ist", sage ich leise, „Ich rede auch nicht gerne über die Vergangenheit"

Harrys Mundwinkel zucken und plötzlich lässt er meine Hände los, nur um dann meine Taille zu umfassen. Er hebt mich mühelos von seinen Schoß hoch und setzt mich dann wieder neben sich ab.

Kurz denke ich das er nichts sagen wird, doch er fängt an zu sprechen und es hört sich an, als ob er ganz weit weg wäre. Nachdenklich schaut er in die Ferne.

Du musst wissen, dass es bei mir zu Hause nie wirklich einfach war. Dad lebte schon seit einigen Jahren nicht mehr und ich hatte alle Hände voll zu tun, um meine Mum und meine Schwester zu versorgen. Mum hatte schon länger diese eine Krankheit, mit der sie arbeitsunfähig gewesen ist. Wir lebten außerhalb der Stadt, ich glaube, das Haus war schon länger im Familienbesitz. Meine Schwester Gemma arbeitete und kümmerte sich um Mum und den Haushalt. Irgendwie wollte ich helfen und suchte bestimmt Monate nach Arbeit. Mir wäre egal gewesen, was ich tun müsste, aber niemand wollte mich haben. Gemma wurde auch krank und schließlich fehlte sie mal und wurde sofort gefeuert. Das war alles zu viel. Ich war gezwungen irgendwas zu unternehmen. Koste es, was es wolle!

Eines Abends lief ich durch die Straßen und überlegte, was ich unternehmen sollte, da hörte ich Geräusche aus der Nebengasse. Es waren Schreie und normalerweise wäre ich sofort verschwunden und hätte mich aus Sicherheit irgendwo versteckt. Keine Ahnung was mich dazu getrieben hat nachzuschauen.Ein Mann lag auf den Boden und krümmte sich vor Schmerzen, sein teurer Anzug war völlig zerfleddert und sein ganzes Gesicht war blutüberströmt. Die Angreifer waren schon längst über alle Berge.

Na mein Freund", murmelte ich und hockte mich neben ihn hin. Ich wusste er hatte nicht mehr und lange und deshalb blieb ich. Aus seiner Kehle rasselte es bei jedem Atemzug.

Mein Blick fixierte im Dunkeln seine Aktentasche an, die ein paar Meter weiter weg lag. Ohne zu Zögern stand ich auf und öffnete den Verschluss. Kurz schaute ich zu dem Mann, welcher ebenfalls in meine Richtung guckt und nur noch mit flatternden Lidern versucht wach zu bleiben. Schulter zuckend schüttete ich den Inhalt auf den Kieselweg aus. Das Portemonnaie nahm ich zu erst und musste anerkennend pfeifen als ich die vielen 100er Scheine sah.

„Wer läuft den mit so viel Geld in der Tasche rum?", fragte ich laut und grinste dann erleichtert. Endlich etwas Geld. Der sterbende Mann würde es eh nicht gebrauchen. Ich fand auch noch eine Taschenuhr, viel Papierkram und Stifte. Die Taschenuhr nahm ich mit und den Rest ließ ich liegen.

Bitt-te ... helfen sie ... mir", stammelte der Mann und versuchte seine Hand auszustrecken. Ich packte das Geld und die Uhr in meine Tasche und setzte mich nochmal zu ihm.

Es tut mir Leid", sagte ich ,„Ich kann dir nicht helfen. Nicht mehr"

Einen Augenblick später atmete er ganz tief ein und wieder aus, seine Augen drehten sich nach hinten und er bewegte sich nicht mehr. Ich schloss seine Augen und ging, ohne noch einmal zurückzuschauen.

Prisoner | h.s.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt