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„Melde dich bitte, wenn du in Düsseldorf angekommen bist.", bat mich Nedim, als er mich verabschiedete. Ich setzte mich hinten ins Auto und gab meinem Chauffeur die Adresse. Ich winkte Nedim zum Abschied noch einmal zu und schon waren wir unterwegs. Ich schloss meine Augen und lehnte sie an die Fensterschreibe. Nun ist es so weit. Ich fahre wieder nach Düsseldorf. Es kostet mich jedes Mal aufs Neue Kraft und Mut mich dahin zu begeben und das Dasein auch zu genießen. Ich fühle mich bedrückt, ich bekomme es mit der Angst zu tun. Ich will nicht, dass ich wieder so werde wie damals. Ich möchte es einfach nicht. Schon wenn ich den Namen dieser Stadt höre, bekomme ich Gänsehaut. So viel habe ich durchmachen müssen und das möchte ich nicht noch einmal erleben, geschweige denn mich an all den Schmerz und all die Trauer erinnern.

Meinen Eltern zur Liebe besuche ich sie zu Geburtstagen und anderen besonderen Anlässen. Und wenn ich nicht Lamija hätte, dann hätte ich auch damit aufgehört. Doch sie hat mich immer aufs Neue dazu ermutigt, zu meiner Familie zu gehen und den Kontakt nicht auch noch zu ihnen zu verlieren. Ich verdanke ihr sehr viel. Durch sie bin ich nach meinem Tief, wieder dahin gekommen, wo ich jetzt bin.

Als wir auf der Autobahn waren, klappte ich mein Laptop auf, steckte meinen Stick rein und machte mich an die Arbeit. Auch wenn ich eine Woche frei habe, komm ich nicht um die Emails der Partnerfirmen und um die Organisation gewisser Events. Die Emails, die ich neu geschickt bekommen habe, beantwortete ich alle und fing an mich um die Events zu kümmern, doch ich kam nur dazu ein Event zu bearbeiten, denn ich erblickte die Ausfahrt, die mich meiner Familie und meinen Erinnerungen noch näher bringt und schon wurde mir schlecht. Ich speicherte alles, fuhr mein Laptop runter, packte ihn weg und bereitete mich auf die Eindrücke, die mich gleich erwarten werden, vor.

Ich packte mein Handy raus und schrieb Nedim: „Bin angekommen." Wenige Sekunden später antwortete er mir schon: „Super. Ist alles gut verlaufen? Hattet ihr stau?" Kurz grinste ich und schrieb zurück: „Ja, alles ist super verlaufen. Habe bisschen gearbeitet. Nein Stau hatten wir nicht." „Du hast dir frei genommen und arbeitest. Das werde ich wirklich nie verstehen. Hab viel Spaß, ich liebe dich, wir sehen uns am Sonntag." „Bis Sonntag. Ich dich auch."

Ich packte mein Handy in meine Tasche und blickte nach draußen. Es hat sich hier gar nichts verändert. Alles ist gleich, nur wir sind anders. „Frau Hodzic, soll ich bis Sonntag hier bleiben?", fragte mich mein Chauffeur, als wir uns dem Ziel der Fahrt näherten. „Nein, du kannst ruhig zurück fahren, deine frisch angetraute, soll nicht so lange ohne dich bleiben, außerdem kommt mich Sonntag Nedim abholen.", beantwortete ich ihm die Frage und er nickte. Wenige Minuten später Parkte er den Wagen in der Einfahrt meines Vaters. Anscheinend müssen das alle mitbekommen haben, denn die Tür wurde aufgerissen und meine Mutter kam zu mir raus gerannt. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich erwiderte die Umarmung und musste wohl oder übel mit den Tränen kämpfen. Doch es ist nicht zum ersten Mal so, dass ich nach Düsseldorf komme und mit Tränen zu kämpfen habe. Es ist nahezu bei jeder Ankunft so gewesen. „Sine moj (mein Kind), ich habe dich so sehr vermisst.", sie nahm meinen Kopf zwischen ihre Hände und küsste meine Wangen. „Majko. (Mutter)", sagte ich und umarmte sie wieder. Arm in Arm liefen wir ins Haus. Ich begrüßte meinen Vater, Bruder und anschließend meine Schwägerin. Wie setzten uns ins Wohnzimmer und wurden von meiner Schwägerin bedient. Anschließend setzte sie sich auch zu uns. „Ich habe euch so sehr vermisst und ich freue mich wirklich, dass ich eine Woche hier bei euch sein kann und wir gemeinsam Zeit verbringen.", sagte ich und drückte die Hand meine Mutter.

„A ti majko, kako si mi? Kako su ti koljena? (Und du Mutter, wie geht es dir? Wie geht es deinen Knien?", fragte ich sie. „Jetzt wo du hier bei mir bist, geht es mir besser.", antwortete sie. „Ich wünschte du würdest hier bei mir bleiben.", fügte sie noch hinzu. „Wenn es so einfach wäre, dann würde ich hier bleiben. Meine Firma ist in Hamburg, mein Leben habe ich dort wieder gerade gebogen, Hamburg lässt mich alles vergessen. Ich kann nicht wieder zurück nach Düsseldorf kommen. Aber Mutter wir können uns doch immer sehen, wenn ich euch zu sehr vermisse, dann komme ich hierhin und ihr könnt auch jederzeit zu mir kommen und mich in Hamburg besuchen. In meinem Loft ist genug Platz für uns alle und wenn ich nicht genug Platz hätte, würden wir es irgendwie hinbekommen.", versuchte ich sie zu trösten und ihr den Grund meiner unmöglichen Rückkehr zu erklären. „Ich versteh dich doch mein Kind. Aber trotzdem bist du mein Fleisch und Blut, ich möchte dich einfach immer bei mir haben.", ich lehnte meinen Kopf gegen ihren und atmete tief durch. „Jetzt bin ich hier. Du wirst morgen 45 das müssen wir sehr groß feiern.", ich versuchte das Thema zu wechseln, in der Hoffnung, dass meine Mutter von ihrer Trauer loslässt und endlich wieder lacht. Denn wenn sie nicht lacht, dann bin ich auch traurig und das tut mir im Herzen weh. „Ich habe einige Leute für morgen eingeladen. Es wird ein unvergesslicher Geburtstag.", meldete sich nun mein Bruder zu Wort. „Wieso hast du Nedim nicht schon heute mitgebracht?", fragte mich mein Vater. „Es reicht mir, wenn er Sonntag hier mit mir ist und wir dann zurück fahren.", antwortete ich so auf seine Antwort. „Wieso mein Kind? Versteht ihr euch nicht so gut?", wollte nun meine Mutter wissen. „Doch Majko, wir verstehen uns wirklich sehr gut, er liebt mich wirklich sehr und legt mir die Welt zu Füßen. Er macht für mich alles und passt sehr gut auf mich auf.", beruhigte ich sie. „Und du mein Kind, liebst du ihn?", schlagartig wurde ich ernst unddrehte den Kopf zu meinem Vater, der die Frage stellte. Seine Frage versetzte mir ein Schlag mitten ins Gesicht. Doch ich versuchte mich schnell zu fangen und setzte ein Lächeln auf: „Natürlich Babo." „Wieso soll er dann nur Sonntag mit dir hier zusammen sein?", hinterfragte mein Bruder skeptisch. „Weil das ausreicht Ensar. Wir müssen es nicht übertreiben. Oder Mama?", sie lächelte mich an. „Lasst mein Kind in Ruhe. Wenn sie denkt, dass es so gut ist, dann wird es das auch sein. Schließlich muss sie wissen, was das Beste für ihre Beziehung mit Nedim ist und wie viel sie der Beziehung schon zutraut.", meine Mutter stand hinter mir und dafür war ich ihr wirklich sehr dankbar. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte, dass ich sie liebe. „Ach ja, bevor ich es vergesse, Lamija hat mir gesagt, dass ich dir sagen soll, dass du sie anrufst, sobald du hier angekommen bist.", sagte meine Schwägerin Meliha. „Danke, dass du mir das sagst. Ich geh sie mal eben schnell anrufen, ich mache auch schnell, schließlich sehe ich sie morgen ja wieder.", informierte ich meine Familie, schnappte mir das Haustelefon und wählte Lamijas Nummer.

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