17

280 26 6
                                    

Schwach und übermüdet, lag ich im Bett und starrte die Decke an. Mama und Meliha habe ich nach Hause geschickt und Papa und Ensar, sind arbeiten. Am Ende des Tages bin ich doch wieder alleine. Meine Arbeit fehlt mir, mein Appartement fehlt mir, meine Firma und sogar die Fähre, die auf dem Wasser fährt, fehlen mir. Wenn ich meine Augen schließe, bilde ich mir ein auf einer Fähre zu sein. Das Wasser rauscht an uns vorbei, die Vögel fliegen über unseren Köpfen und eine frische Brise steigt empor. Genau so begann mein erster Tag in Hamburg. Ich war ein 18 Jähriges, junges und sehr verletztes Mädchen. Welches von allem geflohen war, um sich selber zu finden. Ich wollte von den Schmerzen, die mir bereitet worden sind, wegrennen und doch haben sie mich bis in eine andere Stadt mit verfolgt. Ich konnte weder meine Seele, noch mein Kopf oder mein Herz von den Gedanken und Schmerzen befreien. Und heute, 5 Jahre später. Sitze ich immer noch in Hamburg und es sind auch noch immer diese Schmerzen vorhanden, die ich nicht losgeworden bin. Schmerz, wenn ich an meine Vergangenheit denke, Schmerz, wenn ich an ihn denke. Ich drehe noch am Rad.

Hätte Nedim mich damals nicht gerettet, wäre ich wohlmöglich tot. Und genau diesen Zustand wünschte ich mir jetzt herbei. Genau jetzt, wo der Schmerz wieder hoch kommt und es so scheint, als würde ich meine Vergangenheit noch einmal durchleben, wünsche ich mir den Tod herbei, um mich von dem Leid und den Schmerzen zu befreien.

Hätte Nedim mich damals nicht gerettet, wäre unsere Beziehung wohl niemals zustande gekommen. Ich hätte mich ihm nie anvertraut und ihn auch nie an mich ran gelassen. Genau aus dem Grund, weil ich Angst davor hätte, dass er mich verlässt. Wieso musste er mich damals überhaupt retten? Wieso war er genau zu dem Zeitpunkt an der Brücke, als ich springen wollte? Wieso musste ich mich in seinen Armen nur so wohl fühlen und mich im anvertrauen? Wir haben ja gesehen, was ich davon gehabt habe. Ich bin erneut auf die Nase geflogen. Ich wurde erneut verlassen und ich erleide erneut dieselben Schmerzen, die ich in meiner Vergangenheit gespürt habe.

...

„Guten Morgen mein Engel."

„Guten Morgen Lamija."

„Na wie fühlst du dich?"

„Blendend."

„Ja, man hört es dir an."

„Danke, danke. Und du, wie geht es dir?"

„Mir geht es gut."

„Dir geht es gut, abgesehen davon, dass du dir unbegründet Sorgen um mich machst und am liebsten 24/7 bei mir wärst."

„Du kennst mich einfach zu gut. Was soll ich da noch hinzufügen."

„Nichts. Ich bin eben etwas Besonderes."

„Oh ja."

„Reicht jetzt mit den Scherzen. Wie geht es Ahmet? Konnte er sich einigermaßen beruhigen?"

„Ja, Gott sei Dank. Er widmet sich, wenn es ihm nicht gut geht, Amira und dann vergisst er all seinen Schmerz. Er sagt mir, dass er mit nur einem Blick in ihre wunderschönen, großen Augen, alles vergisst, was ihm jemals Schmerzen bereitet hat."

„Gott sei Dank. Euer kleines Mädchen ist ein wahrer Engel."

„Das sehe ich genauso."

Meine Tür ging auf und Mama trat ins Zimmer.

„Lamija ich leg jetzt auf, wir hören uns heute Abend."

„Bis dann meine Liebe."

Ich packte mein Telefon weg und lächelte meine Mutter an. „Guten Morgen", wünschte ich meiner Mutter. „Guten Morgen.", entgegnete sie und begrüßte mich mit einem Kuss auf die Stirn. „Wieso bist du schon so früh hier? Wieso hast du nicht ausgeschlafen?", wollte ich von ihr wissen. „Mein Kind ich habe gar nicht geschlafen. Ich konnte nicht. Ich musste immer zu an dich denken. Ich wollte nicht schlafen und dann verschlafen, schließlich will ich dir bei deiner Chemo beistehen und dir helfen.", ich atmete tief ein uns aus. „Mama, ich habe dir doch gesagt, dass du abschalten und dich ausruhen sollst. Ich habe es bis jetzt alleine geschafft, ich hätte es doch auch heute alleine geschafft. Du stresst dich wegen mir, das möchte ich nicht.", meine Mutter sah mich liebevoll an. „Mein Kind, wenn du irgendwann selber Kinder hast. Dann wirst du mich verstehen.", ich sah auf meine Hände und spielte mit dem Ring an meinem Finger. „Auch wenn ich diese Krankheit überlebe, kann es sehr gut möglich sein, dass ich keine Kinder bekommen kann. Vielleicht werde ich nie Mutter sein können. Vielleicht werde ich die Beziehung, die eine Mutter zu ihrem Kind hat, nie verstehen und nachvollziehen können. Ich werde nie wissen, wie es sich anfühlt sein Kind bedingungslos zu lieben und ich werde nie Ehefrau und Mutter sein können.", Mama nahm mich in den Arm und drückte mich an ihre Brust. Auch sie weinte, genauso wie ich. „Sag sowas nicht. Du wirst lieben mein Kind, du wirst eine gute Ehefrau und eine gute Mutter werden. Warte nur ab, bis du aus dem Krankenhaus kommst, dann wirst du sehen, dass alles bergauf gehen wird. Du musst nur abwarten."

AjetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt