Als ich am nächsten Morgen die Augen öffne, fühle ich mich wie neu geboren. Die Angst vor Intimitäten mit Roger, die mir seit einem halben Jahr im Nacken gesessen und gelauert hatte, ist wie weggeblasen und ich strecke mich genüsslich in den zerwühlten Laken. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich alleine in Rogers Bett liege und ein Blick auf den Wecker verrät mir auch warum. Es ist beinahe Mittag. Irgendjemand, vermutlich Roger selbst, hat die Balkontür geöffnet und die Vorhänge wehen träge in der Sommerbrise, die meine warme Haut streichelt. Unwillkürlich muss ich lächeln. Womit habe ich dieses Leben bloß verdient? Ich setze mich auf, schwinge die Füße über den Bettrand und stehe auf. Draußen zwitschern die Vögel und einzelne Sonnenstrahlen flackern verspielt durch die Vorhänge. Ich zupfe den Morgenmantel um meinen Körper zurecht, ziehe den Gürtel zu und trete durch die Tür auf den Balkon. Die terrakottafarbenen Steinfließen wärmen meine nackten Füße und ich muss gegen das helle Sonnenlicht blinzeln. Im Garten oder auf der Terrasse kann ich Roger nirgends entdecken und ich beschließe, mich erst einmal zu duschen. Ich husche über das kurze Stück Flur zu meinem Zimmer, ohne jemandem über den Weg zu laufen und schließe schnell die Tür hinter mir. Normalerweise sehe ich morgens nicht allzu schlimm aus, doch ich trete meinen Mitmenschen lieber nach einer ordentlichen Dusche unter die Augen. Die Unterwäsche, die ich am Abend zuvor achtlos auf den Boden geworfen hatte, liegt nicht mehr auf dem Boden und ich befürchte Lou wird eins und eins zusammen gezählt haben.
Oh Gott... Hoffentlich ist sie wirklich so professionell wie ich denke und macht später keine seltsamen Andeutungen. Wahrscheinlich müsste ich dann vor Scham im Boden versinken. Ich schlüpfe aus dem Morgenmantel, den ich dieses Mal ordentlich an einen Haken an der Wand meines Badezimmers hänge, und steige unter die ebenerdige Dusche. Es ist verrückt auf einmal von so viel Luxus umgeben zu sein und zum ersten Mal seit ich mit Roger zusammen bin, genieße ich ihn in vollen Zügen und probiere alle Knöpfe und Einstellungen des riesigen Massageduschkopfes aus.
Nach einer langen heißen Dusche wickle ich mir ein flauschiges weißes Handtuch um den Kopf und schlüpfe in ein gelbes Sommerkleid mit dünnen Trägern, die sich im Rücken überkreuzen. Immer noch barfuß laufe ich Treppe nach unten und betrete die Küche. Lou ist grade dabei Gemüse für das Mittagessen zu schneiden, als sie mich bemerkt: „Guten Morgen, Miss Ella. Möchten Sie etwas frühstücken?"
Sie legt das Messer beiseite und macht sich auf den Weg zum Kühlschrank, während ich mich seufzend auf einem Stuhl an der Kücheninsel sinken lasse: „Lou, bitte. Nenn mich doch einfach Ella. Dann fühle ich mich nicht mehr so fremd hier."
Sie schnalzt missbilligend mit der Zunge, zwinkert mir dann aber zu und sagt: „Na gut, Ella. Was möchten Sie essen?"
„Mir reicht heute ein bisschen Obst und ein Orangensaft. Oh, und ein Latte Macchiato, bitte."
Das Essen auf dem Herd riecht schon jetzt himmlisch und ich möchte definitiv noch Platz dafür in meinem Magen lassen. Während Lou mein Frühstück zubereitet, stehe ich auf, nehme mir ein Glas aus dem Hängeschrank über der Spüle, wobei ich mal wieder Fingerabdrücke auf der schwarzen Hochglanzfront hinterlasse, und gieße mir etwas Saft aus dem Kühlschrank ein. Ich versuche sie unauffällig zu beobachten und suche nach Zeichen dafür, dass sie weiß, dass Roger und ich die Nacht zusammen verbracht haben. Doch sie lässt sich nichts anmerken, schneidet nur mit gekonnten Fingern verschiedene Obstsorten auf und richtet alles in einer Schüssel an.
„Weißt du wo Roger ist?", unterbreche ich ihr geschäftiges Schweigen.
„Ich glaube er ist heute Morgen zu einem geschäftlichen Treffen verabredet gewesen. Verkauft bestimmt wieder ein Auto.", antwortet sie schulterzuckend und stellt die Schüssel vor mit ab. „Doppelter Espresso?"
Ich lache: „Doppelter Espresso!"
Während ich mir Mango-, Grapefruit- und Orangenstücke in den Mund schiebe, überlege ich, was ich heute unternehmen könnte. Nachdem ich gestern schon mit Nikki unterwegs war, glaube ich nicht, dass ich heute schon wieder Lust auf einen Shoppingmarathon an der Promenade habe. Obwohl ich heute derart guter Laune bin, dass ich wahrscheinlich ganze Boutiquen leerkaufen würde. Statt mich mit Nikki zu verabreden, beschließe ich meinen Dad anzurufen und schnappe mir meinen Latte Macchiato, um mich damit auf die Terrasse zu setzen.
Inzwischen brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab und ich schiebe meinen Stuhl so nah an den Pool, dass ich meinen Füße ins Wasser baumeln lassen kann. Dort, wo ich mit den Zehen im Wasser plansche, entstehen kreisförmige Wellen, die die ansonsten spiegelglatte Wasseroberfläche durchbrechen. Ich wähle auf meinem Smartphone die Nummer von Dads Arbeitsplatz und halte mir das Handy ans Ohr. Schon nach wenigen Sekunden ist er am Apparat.
„Ella-Maus. Ist alles okay?" Ella-Maus, so hatte er mich immer genannt, wenn er sich Sorgen um mich gemacht hatte, wenn ich gestürzt war, oder später, wenn ich mit hängenden Schultern aus der Schule zurückgekehrt war. Plötzlich fühle ich mich wieder wie ein Kind und ich habe schreckliches Heimweh.
„Ja, Dad. Alles okay bei mir. Wie geht's dir?", krächze ich in den Hörer und hoffe, dass er nicht merkt, dass meine Stimme auf einmal zittert.
„Uns geht es gut. Mom konnte gestern sogar ein bisschen ohne ihre Sauerstoffmaske im Bett liegen, ist das nicht fantastisch?"
„Ja, Dad. Wirklich toll. Also schlägt die neue Therapie an?"
Ich habe ihn lange nicht mehr so aufgeregt erlebt und freue mich, dass es den beiden wieder so gut geht.
„Ach Ella, wenn du wüsstest. Das ist mehr, als wir je gehofft haben. Vielleicht wird doch noch alles gut!", lacht er und ich lache unwillkürlich mit.
„Jetzt aber zu dir, wie geht es dir? Was ist mit diesem... Roger? Behandelt er dich gut?", sein Tonfall hat sich geändert und er klingt besorgt.
„Ja Dad, wirklich alles okay. Es ist toll hier und mir geht es wirklich gut. Roger ist ein guter Mann, er ist nur eben..."
„Alt.", schließt mein Dad trocken und wird dann wirklich ernst. „Hör mir zu Schatz, wenn da drüben in L.A. irgendwas passiert, was du nicht möchtest oder wobei dir nicht wohl ist, dann komm sofort nach Hause zurück, hörst du? Wir bekommen das auch so irgendwie hin."
Bekommen wir nicht!, will ich in den Hörer schreien, doch stattdessen versichere ich ihm, wie jedes Mal, dass ich natürlich sofort in den nächsten Flieger nach Seattle steigen werde, sobald Roger anfängt sich wie der Lustmolch zu verhalten, für den Dad ihn hält und versuche so ihn zu beruhigen. Ganz zu Anfang dieser Beziehung hatte er sich furchtbar über Roger aufgeregt („Selbst wenn ich so viel Geld hätte, würde ich mir kein dreiundzwanzigähriges Mädchen suchen, das es mir auf meine alten Tage schön bequem machen soll!") bis er schließlich resignierte und einsah, wie dringend wir das Geld für Mom brauchten. Ich weiß, dass es ihm das Herz zerreißt, mich nicht aus Santa Monica wegholen zu können und mich gleichzeitig nach der nächsten Überweisung zu fragen. Wenn er nur wüsste, wie wenig ich tatsächlich dafür zu tun brauche! Doch er würde mir ohnehin nicht glauben und so behalte ich mein Geheimnis vorerst noch für mich. Nachdem wir uns verabschiedet haben bleibe ich noch eine Weile im Garten sitzen und genieße die Ruhe, die mich nun auch von Innen auszufüllen scheint.
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Sugarlove - Verborgene Leidenschaft
Romance1. Teil der Geschichte von Ella und Andrew ***** Ella lebt mit ihrem Freund und Sugardaddy Roger in Beverly Hills. Nach einigen Turbulenzen scheint ihr Leben endlich wieder in geordneten Bahnen zu verlaufen - doch der Schein trügt. Als Rogers Sohn A...