Kapitel 15 - Erinnerungen

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Ich schleiche über den Flur in Rogers Arbeitszimmer und ziehe die Tür hinter mit grade so weit zu, dass sie nicht einrastet. Lou scheint unten beschäftigt zu sein, denn ich höre immer wieder, wie sie ihren Wischmopp über einem Wassereimer auswringt.

Zuallererst nehme ich mir den großen Mahagonischreibtisch in der Mitte des Raumes vor. Ich finde ihn ein bisschen zu groß und protzig und vermute, dass er ein Geschenk gewesen sein muss. Vielleicht sogar von Richard.

Auf der Tischplatte finde ich Nichts, außer unzähligen Quittungen, Stiften, schwerem Briefpapier aus Bütten und einem Füller. Keine Hinweise auf Andrew. Ich blättere grade durch einen Stapel ausgedruckter und mit Post-Its versehener E-Mails, als mir die kleine Kommode im hinteren Teil des Zimmers auffällt.

Auf Zehenspitzen schleiche quer durch den Raum und lasse mich vor dem Möbelstück auf den Boden sinken. Die Kommode hat drei Schubladen, alle gleich schmal und mit jeweils zwei goldenen Ringen versehen, um sie zu öffnen. Zuerst will ich die oberste durchsuchen und ziehe an den Ringen. Es quietscht ein bisschen, aber sie lässt sich leicht öffnen. Zum Vorschein kommen einige Kontoauszüge und weitere Ordner mit Unterlagen der Wells Fargo Bank. Eigentlich uninteressant für mich, trotzdem springt mich der Name Andrew Jefferson von einigen Auszügen förmlich an. Ich atme tief ein und aus, um meine zitternden Finger zu beruhigen. Ich war noch nie sonderlich gut im Schnüffeln, oder überhaupt darin, verbotene Dinge zu tun. Doch im Prinzip will ich Roger doch nur helfen. Ich nehme den obersten Kontoauszug aus der Schublade und lese ihn genau durch. Es ist ein Dauerauftrag, über 10.000 US Dollar monatlich an ein Konto in Atlantic City. Ich bin unglaublich schockiert. Erstens: 10.000 Dollar! Welcher Mensch verprasst pro Monat so viel Geld? Dagegen sind die Behandlungen meiner Mutter Peanuts. Und Zweitens: Wer hasst seinen Dad so sehr, dass er ans andere Ende des Landes zieht? Zwischen ihm und Roger liegen fast 3.000 Meilen.

Rabenschwarze Wut steigt in mir auf und ich werfe den Kontoauszug achtlos in die Schublade zurück und knalle sie fester, als beabsichtigt, zu. Ich erstarre kurz in meinen Bewegungen, als sich aber im unteren Stock nichts tut, ziehe ich vorsichtig an den Ringen der zweiten Schublade. Eigentlich ist mir nach meinem ersten Fund die Lust vergangen, aber ich möchte die Gunst der Stunde trotzdem nutzen. Vielleicht habe ich ja Glück und finde Andrews Adresse, um ihm einen Brief zu schreiben, der ihm ordentlich den Kopf wäscht.

Schublade Nummer zwei enttäuscht meine Erwartungen, denn ich finde nichts, außer einem alten, fast schon antik wirkenden Fernglas und einem Fotoapparat. Ich könnte die Kamera anschalten, um zu sehen, welche Fotos sich schon auf der Speicherkarte befinden, doch das geht selbst mir, in meinem Schnüffelwahn, zu weit.

Schublade Nummer drei allerdings, ist ein echter Volltreffer. Ich ziehe an den goldenen Ringen und die sie bewegt sich nur beschwerlich in ihren hölzernen Schienen. Sie läuft nicht so flüssig, wie die ersten beiden und ich schließe daraus, dass sie nicht oft geöffnet wird. Vor mir liegt ein großes, schweres Fotoalbum mit schwarzem Einband und goldenen Verzierungen. Ich setze mich auf meine Fersen, nehme das Album aus der Schublade und lege es auf meine Oberschenkel. Das kühle Leder trifft auf die nackte, erhitzte Haut an meinen Beinen und ich verziehe kurz das Gesicht, reiße mich dann aber zusammen und öffne den Deckel.

Zuerst sehe ich nur eine blanke, cremefarbene Seite und will schon enttäuscht aufseufzen, als ich entdecke, dass offensichtlich ein Foto herausgerutscht und auf den Boden neben mir gefallen sein muss. Ich hebe es auf und sehe es mir an. Es zeigt Roger und Meredith. Es muss Meredith sein, denn er hat den Arm um ihre Schultern gelegt und lächelt sie verliebt an. Sie hat große blaue Augen und blondes halblanges Haar, dass ihr fast bis zu den Schultern reicht. Sie ist wunderschön und sieht so glücklich und liebenswürdig aus, dass ich mir sicher bin, dass ich sie auf Anhieb gemocht hätte, hätte ich sie je kennen gelernt.

Sugarlove - Verborgene LeidenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt