Kapitel 8 - Geheimnisse

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Irgendwann, nachdem ich schon befürchte einen Sonnenbrand zu riskieren, höre ich durch die offene Schiebetür Stimmen aus der Küche zu mir nach Draußen dringen. Ich nehme an, dass es Roger ist, schnappe mir mein leeres Glas, klemme mir mein Smartphone unter den Arm, und hüpfe im Takt meines freudig schlagenden Herzens nach Drinnen. Ich durchquere das große Wohnzimmer und bleibe dann enttäuscht im Durchgang zur Küche stehen. Es ist nicht Roger, der sich mit Lou unterhält, sondern Jackson. Die beiden stehen entspannt an die Theke gelehnt da und lachen. Jackson sieht mit diesem freundlichen Gesichtsausdruck aus, wie ein komplett anderer Mensch und ich könnte mir sogar vorstellen, dass er in etwas sportlicherer Kleidung und mit längeren Haaren wirklich gut aussehen könnte. Er berührt Lou am Arm und lässt seine Hand deutlich länger als nötig dort liegen. Okay, jetzt weiß ich also endgültig, dass Jackson mich nicht ausstehen kann. Die beiden haben mich noch nicht bemerkt, und ich kann beobachten, wie Lou plötzlich rot wird und verlegen beginnt an den Haarnadeln in ihrem Dutt herumzunesteln. Erst jetzt fällt mir auf, dass die beiden vielleicht etwas zu nah beieinander stehen, um bloß Arbeitskollegen oder entfernte Bekannte zu sein und mir wird die Situation langsam unangenehm. Ich räuspere mich leise und versuche so unbeteiligt zu gucken, als wäre ich gerade erst in der Küche aufgetaucht. Jacksons Kopf fliegt zu mir herum und ich kann sehen, dass sich die blasse Haut an seinem Hals rosa verfärbt. Seine hellen Augen brennen sich mit schockiertem Blick in meine und sein Gesichtsausdruck wird augenblicklich wieder ernst.

Er strafft den Rücken, verschränkt die Hände hinter dem Rücken und tritt einige Schritte von Lou zurück. „...also dann, das ist dann alles.", sagt er laut, dreht sich auf dem Absatz um und flieht beinahe aus der Küche.

Lou grinst mich ertappt an, richtet dann das Messer, das sie immer noch in der Hand hält, auf mich und sagt mit einer Mischung aus Verlegenheit und Belustigung in der Stimme: „Kein Wort zu Mister Roger hiervon."

Ich halte mir verschwörerisch zwei Finger an die Lippen und ignoriere den kleinen Stich in der Magengrube, den Jacksons Ablehnung in mir verursacht. Vielleicht wird er irgendwann doch noch anfangen mich zu mögen, wenn er mich nur lange genug kennt. Ich stelle das leere Glas auf die Kücheninsel, da das Waschbecken voll mit Kartoffelschalen und anderen Gemüseabfällen ist und Lou mich sowieso niemals selbst spülen lassen würde.

„Weißt du wann Roger wieder kommt?", wechsle ich das Thema.

Sie zuckt mit den Schultern: „Das ist bei Mister Roger immer schwer zu sagen. Manche Termine dauern den ganzen Tag."

Ich spüre, wie ich in mich zusammensacke. Enttäuschung macht sich in meinem Magen breit und ich habe ernsthafte Probleme meine gute Laune aufrecht zu erhalten. Ja, ich liebe dieses Haus, ich liebe dieses Grundstück und sogar Lou, aber sobald ich zu viel Zeit mit mir selbst verbringe, fange ich an mein Zuhause und besonders Mom und Dad zu vermissen. Ich hatte mich auf einen weiteren Tag voller neuer spannender Entdeckungen und Ausflüge gefreut. Ich war zum Beispiel noch nie am Pier spazieren oder bin am Santa Monica Beach in der Sonne gesessen. Auch in L.A. würde ich furchtbar gerne durch die Einkaufsstraßen schlendern und dabei ein Eis essen oder zum Lunch in eines der vielen kleinen Straßencafés gehen. All das hätte ich jetzt gerne mit Roger erlebt. Er hatte mich zwar vorgewarnt, dass er, sobald wir in Santa Monica ankommen würden, auch wieder arbeiten müsse, doch ich war von ein paar Telefonaten und E-Mails ausgegangen und nicht etwa, dass er tagelang nicht für mich da sein würde. Das ist es wohl also, was das Leben eines Sugarbabes ausmacht. Ich erinnere mich daran, dass ich Nikki erst gestern noch zu aufdringlich fand und kann allerdings jetzt verstehen, dass sie mich vor lauter Langeweile zu ihrer Besten Freundin auserkoren hat.

„Mh... Okay.", murmele ich und tappe unsicher auf der Stelle.

„Dann... gehe ich ein bisschen schwimmen." Obwohl ich gar keine Lust habe zu Schwimmen, verlasse ich die Küche, in der sich Lou schon wieder fröhlich summend ihrem Gemüse zuwendet und steige die Treppe zu den Schlafzimmern hoch. Oben lasse ich mich rückwärts auf mein Bett fallen, wickle das Handtuch von meinem Kopf und breite meine, inzwischen fast trockenen, Haare auf dem Kopfkissen aus. Ein Blick auf meinen Radiowecker verrät mir, dass es inzwischen zwei Uhr nachmittags ist. In einer Stunde müsste Rachel, meine beste Freundin und frühere Arbeitskollegin Feierabend machen und ich nehme mir vor, sie später anzurufen. Obwohl ich keine Nachrichten erwarte, checke ich mein Smartphone und entdecke eine Nachricht von Nikki.

Hey Sweetheart,

morgen fahren Richard und Roger zusammen zum Golfen. No Way, dass du da mitgehst. Wir zwei machen Wellness!

Ich seufze lange und tief, so lange, dass ich das Gefühl habe, jeglichen Sauerstoff aus meinem Körper geatmet zu haben. Ein weiterer Tag mit Nikki, viel Alkohol und Maniküre Terminen klingt in meinen Ohren noch nicht unbedingt besser, als eine Runde Golf zu spielen, doch ich vermute, dass ich diese Einladung meiner neuen besten Freundin nur schwer abschlagen kann. Ich tippe ein schnelles Okay und stehe auf um in das Bad zu gehen, das an mein Zimmer angrenzt. Da ich nicht weiß, wann Roger von seinem Geschäftstermin nach Hause kommt, föhne ich meine Haare und drehe sie zu großen Locken ein, die seidig über meinen Rücken fallen. Danach lege ich ein dezentes Makeup auf und schlüpfe in silberne Riemchensandalen. Nachdem ich nun weiß, dass Roger mich nicht auf die Art braucht, wie Richard Nikki zu brauchen scheint, versuche ich die perfekte Freundin für ihn zu sein. Ich glaube nicht, dass ich es besser hätte treffen können. Er ist so großzügig was mich betrifft und wirklich ein ehrenwerter Mann. Er hätte meine Situation schamlos ausnutzen können, spätestens seit gestern Abend weiß er, dass ich zu allem bereit wäre, doch er behandelt mich wie eine Freundin und nicht wie jemanden, den man schnell durch eine andere Frau ersetzen könnte.

Sugarlove - Verborgene LeidenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt