Kapitel 34 - Verzweiflung

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Hoch erhobenen Hauptes trete ich durch die Terrassentür ins Freie und setze mich unter den Sonnenschirm in den Schatten. Über der Lehne von einem der Stühle hängt ein zusammengeknülltes feuchtes Handtuch und ich muss mich zusammenreißen, es nicht ausgebreitet zum Trocknen in die Sonne zu hängen. Genervt von mir selbst beiße ich die Zähne zusammen und rücke die Sonnenbrille auf meiner Nase zurecht.

Ich sehe zum Pool hinüber, wo Andrew mich mit finsterem Blick mustert und dann in atemberaubendem Tempo eine Bahn nach der anderen entlangkrault. Da ich meinen Blick selbst beim Essen kaum von ihm abwenden kann, ziehe ich mein Smartphone aus der Seitentasche meiner weißen Leinenhose. Andrew soll ruhig denken, dass ich furchtbar beschäftigt bin, sobald er wieder auftaucht und keine Sekunde meiner wertvollen Zeit damit verbracht habe, ihn anzustarren.

Ich suche in meinen Kontakten nach Nikkis Nummer und starte den Anruf. Schon nach wenigen Sekunden nimmt sie ab.

„Oh Gott, Ella. Das mit gestern Abend tut mir ja so leid! Ich kann mich an rein gar nichts mehr erinnern. Hab ich was Blödes gemacht?"

„Guten Morgen erstmal.", brumme ich und beiße von meinem French Toast ab: „Und nein, hast du nicht. Du bist einfach nur irgendwann umgekippt. Danke übrigens für die Beule."

„Oh, Gott sei Dank! Ich hab so ein Blackout. Und: Sorry wegen deinem Kopf. Ich weiß nicht mal mehr, dass ich überhaupt hingefallen bin."

„Nikki... Warum machst du das?", frage ich kauend und wische mit der Hand ein paar Krümel von der Tischplatte.

Sie zögert einen Moment, ehe sie antwortet: „Tut mir Leid, okay? Ich weiß auch nicht. Das Zeug macht mir einfach gute Laune. Dieses Mal hab ich wohl ein bisschen zu viel genommen und naja. Den Rest weißt du ja eher als ich. Danke nochmal, dass du mir geholfen hast."

Ich bin mit ihrer Antwort zwar alles andere als zufrieden, beschließe aber, es für heute gut sein zu lassen.

„Da musst du dich eigentlich eher bei Andrew bedanken – er hat sich um dich gekümmert. Ich war selbst viel zu betrunken. Ich dachte erst du wärst tot."

Am anderen Ende der Leitung höre ich Nikki überrascht auflachen: „Andrew?"

Ich reibe mir seufzend mit Daumen und Zeigefinger über die Stirn: „Jep, genau der. Er wusste auch sofort, was du genommen hast und warum es dich umgehauen hat."

Ich sehe zu ihm hinüber. Wie gerne hätte ich den sensiblen und hilfsbereiten Andrew von vor ein paar Stunden zurück. Ich würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken gegen den griesgrämigen Miesepeter eintauschen, der inzwischen in langen kräftigen Zügen knapp unter der Wasseroberfläche von einer zu anderen Seite des Beckens taucht.

„Oh, okay. Das ist ja interessant. Warum weiß er denn so viel darüber?", fragt Nikki aufrichtig interessiert.

„Keine Ahnung – mit mir redet er ja nicht.", schnaube ich und trinke einen großen Schluck Kaffee, um die Schmerztablette hinunterzuspülen.

„Ist ja auch egal. Vielleicht schaffe ich es ja mal, mich bei ihm zu bedanken. Und bei dir auch nochmal persönlich, Ella. Ich muss jetzt duschen und mich fertig machen – Richard kommt gleich nach Hause und er denkt, dass wir gestern Abend zusammen einen DVD-Abend mit Rachel gemacht haben. Ich liebe dich! Bis bald."

Sie hat aufgelegt, bevor ich etwas antworten kann und ich lasse langsam mein Smartphone sinken. Sie klingt so fit und munter, dass ich ernsthaft überlege, mir für den nächsten Clubabend auch ein bisschen Liquid Extasy zu besorgen, verwerfe den Einfall aber schnell wieder, als mir Nikkis schlaffer bewusstloser Körper wieder in den Sinn kommt. So möchte ich sicherlich von keinem meiner Freunde gesehen werden, und von Andrew erst recht nicht.

Sugarlove - Verborgene LeidenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt