Kapitel 20 - Der Brief

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Ich tauche für einen kurzen Moment unter. Das Wasser ist tatsächlich noch warm wie in einer Badewanne und durchtränkt augenblicklich mein T-Shirt. Glücklicher Weise träge ich noch den Bikini, in dem ich heute Nachmittag nach meiner Unterhaltung mit Roger schwimmen war. Rachel und ich hatten einfach zusammen auf zwei Luftmatratzen gelegen, frische Grapefruitlimonade getrunken und uns gefühlt (und wahrscheinlich auch aufgeführt) wie zwei Prinzessinnen, die sich von ihren Prinzen verwöhnen ließen. Phil und Roger hatten zusammen auf der Terrasse gesessen, Bier getrunken und über Sport diskutiert. In dieser Hinsicht waren beide echte Männer und weder Rachel noch ich waren interessant gewesen.

Ich tauche prustend auf, blinzle das Chlorwasser aus meinen Augen, höre Phil so etwas sagen wie: „Verdient ist verdient!" und versuche in böse anzufunkeln, doch als ich Roger entspannt und aus vollem Halse Lachen höre, entspanne ich mich wieder.

Wenn meine zerstörte Frisur und meine verlaufene Wimperntusche ihn glücklich machen, möchte ich kein Spielverderber sein. Trotzdem recke ich Phil die Faust entgegen und versuche ihn am Bein wieder ins Wasser zu ziehen, doch er ist zu stark.

„Schön, dass ihr mich alle so witzig findet.", ich versuche immer noch böse zu gucken, doch kann mir ein Schmunzeln nur schwer verkneifen.

„Jetzt müsst ihr eben kurz ohne mich auskommen, bis ich mich umgezogen habe.

"Während ich aus dem Becken klettere, beobachte ich, wie sich Rachel und Roger ansehen und betont gleichgültig mit den Schultern zucken.

„Fall du mir nicht auch noch in den Rücken!", ich bin mit drei schnellen Schritten bei ihm und bohre ihm den Finger in die Brust.

Roger hebt abwehrend die Hände, teils um sich vor mir und teils um sich vor den Tropfen, die aus meinen Haaren und Klamotten rinnen und auf sein weißes Hemd tropfen, zu schützen: „Ist ja gut, ist ja gut. Ich werde jede Sekunden leiden, die du nicht hier bist."

Ich ziehe überrascht die Augenbrauen in die Höhe. So sarkastisch kenne ich ihn gar nicht. Ein Blick auf sein Glas verrät mir, dass auch er heute auf Alkohol verzichtet und ich freue mich so über seine ausgelassene Art, dass ich mich vorbeuge und ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn drücke.

„Bin gleich wieder da."

Barfuß und nass flitze ich durch das Wohnzimmer, an der Küche vorbei, in die Eingangshalle und die Treppe hoch. Ich versuche so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen, weiß aber trotzdem, dass Lou morgen mit großer Wahrscheinlichkeit die Spritzer bemerken und noch einmal Wischen wird.Oben angekommen schlinge ich mir ein flauschiges Handtuch wie einen Turban um den Kopf und schlüpfe aus meinen feuchten Klamotten. Grade habe ich frische Unterwäsche an, als mein Blick auf den Brief fällt, den Rachel mir beim Mittagessen gegeben hatte. Ich nehme ihn vom Tisch und falte ihn auseinander.

Meine liebe Tochter,

Ich erkenne Dads Schrift und bin fast ein bisschen enttäuscht - ich hatte gehofft die Schrift meiner Mom zu lesen. Während ich mich aufs Bett sinken lasse, lese ich weiter:

Ich schreibe dir diesen Brief, weil es etwas Besonderes gibt, das ich dir sagen möchte. Die Tumorwerte deiner Mom sinken. Sie sinken immer weiter und die Ärzte rechnen ihre Chancen auf eine komplette Heilung inzwischen viel höher, als noch vor einem halben Jahr.

Meine Augen schwimmen in Tränen. Freudentränen. Ich bin unfassbar glücklich, dass es Mom immer besser zu gehen scheint. Ich hatte schon aus den letzten Telefonaten mit Dad und Rachel heraushören können, dass es ihr immer besser geht. Ich springe auf und hüpfe leichtfüßig durchs Zimmer. Pures Glück strömt durch meine Zellen und ich frage mich unwillkürlich, womit ich all das verdient habe. Wer wählt die Menschen aus, die noch eine zweite Chance kriegen und wer lässt Diejenigen fallen, die keine bekommen? Ich muss meinem wirbelnden Gedankenkarussell ein bisschen Abkühlung verschaffen und öffne leise die Balkontür.

Sugarlove - Verborgene LeidenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt