-Teil 31-

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Am nächsten Tag, gegen siebzehn Uhr, klingelte es an der Tür. Natürlich hatte ich gewusst, dass mich dieser Junge, mit den unverschämt flauschig aussehenden Locken, sprechen wollte, dennoch zuckte ich beim Ton unserer Klingel zusammen. Amanda und ich saßen gerade unten im Kinosaal. Unser Unterricht war schon lange vorbei und wir hatten beschlossen uns Cartoons anzusehen. Sie schien zwar zu wissen, dass etwas passiert war, wusste aber weder was genau denn nun passiert war, noch stellte sie irgendwelche unangenehmen Fragen. Dafür war ich ihr so unendlich dankbar. Irgendwie verhätschelten mich alle jetzt nur noch mehr als sonst. Sie hingegen behandelte mich wie immer; etwas bevormundend (obwohl ich älter war als sie!) aber dennoch liebevoll. Sie war eine großartige Schwester und ein noch großartigerer Mensch. Für sie wünschte ich mir wirklich nur das aller Beste auf der Welt. Trotz der Tatsache, dass wir keineswegs Blutsverwandt miteinander waren, war sie dennoch meine kleine Schwester! Und seine kleinen Geschwister gilt es immerhin zu beschützen.

Aus meinen Tagträumen wurde ich gerissen, als Linda ihren Kopf durch die Tür steckte. Sie sagte nichts, bedachte mich aber mit einem Blick, der sagte  »Komm hoch. Wir warten«.

Als ich aufstand, sah Amanda mich verwirrt an. Sie wusste nicht, dass dieser Lockenkopf mich sprechen wollte, weshalb ihre Verwirrung vollkommen gerechtfertigt war.

"Ich bin gleich wieder zurück, Am. Dann gucken wir weiter Cartoons." während ich das sagte, wuschelte ich ihr durch die braunen Locken. Dafür erntete ich einen wütenden Blick von ihr. Ich wusste, dass sie das hasste aber ich wusste auch, dass sie mir nicht lange böse sein konnte.
Linda hatte mich in unseren Esssaal begleitet, wo besagter Lockenkopf am Tisch saß und etwas verloren drein schaute. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich ihn mir nicht näher angesehen. Seine großen Augen waren grau. Ich meine kein langweiliges blaugrau oder uninteressantes graugrün, wie es bei Logan der Fall war, sondern einfach grau. Ein intensives, intelligentes grau. Ich hatte mal gehört, dass Athene, die Göttin der Weisheit graue Augen gehabt haben sollte, wenn das der Wahrheit entsprach, mussten ihre Augen genauso aussehen. Unter eben diesen strahlenden Augen waren deutliche dunkle Ränder zu erkennen - ein Zeichen für viele durchgemachten Nächte. Die Haut sah aus, als hätten sie noch nie einen Sonnenstrahl gesehen und ich würde darauf schwören, dass er auch im Sommer keine Farbe bekommen würde. Seine Gesichtszüge waren weich, fast feminin und irgendwie ganz anders als die von Logan, und dennoch wirkte er irgendwie auf seine ganz eigene Art und Weise maskulin und erwachsen. Er strahlte trotz seiner jungen Jahre eine gewisse Autorität aus - ganz im Gegenteil zu Logan. Seine Wangen waren leicht eingefallen und allgemein war er ziemlich mager. Sein dunkelgrauer, löchriger Pullover und seine schwarze, an den Knien aufgeschlage Jeans hingen locker an ihm herab. Im Gegensatz zu Logan, hatte er keine einzige Sommersprosse, dafür aber einige Pickel aber die hat wohl jeder in dem Alter. Um Himmels Willen, ich sollte aufhören alles und jeden mit Logan zu vergleichen.
Sein Gesicht wurde von einer dunklen Lockenpracht umrahmt. Diese war mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen. Man könnte meinen er würde etliche Pflegeprodukte verwenden aber es hatte den Anschein, als würden ihn seine Haare nicht sonderlich kümmern, ganz im Gegenteil - es sah eher so aus als wäre er aus dem Bett gestiegen. (Naja, eigentlich sah er aus als würde er gar nicht schlafen aber das habe ich ja schon deutlich gemacht.)
Gestern hatte ich angenommen er wäre ungefähr in meinem Alter, nun stellte ich jedoch fest, dass er um die zwei bis drei Jahre älter sein musste. Für sein junges Alter, zeugte sein Gesicht von viel zu vielen sorgen. Die Blässe und die Ringe unter den Augen - der Junge sah aus als würde er niemals auch nur ein Auge zumachen um zu entspannen oder sich auszuruhen.

Er war mittlerweile aufgestanden und hielt mir seine Hand entgegen. Eine überraschend kleine, zarte Hand. Erstaunt stellte ich fest, dass wir mittlerweile alleine in dem großen Saal waren. Ich ergriff seine Hand und schüttelte sie leicht.

My new Brother [boyxboy] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt