-Teil 12-

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Die Nacht schlief ich nicht gut. Immer wieder wachte ich auf. Immer wieder träumte ich von Noah. Und immer wieder verfluchte ich mich dafür. Er war schon vor Jahren gegangen, ich sollte ihn schon längst vergessen haben. Und doch hatte ich es nicht. Aber er war doch mein bester Freund, beste Freunde vergisst man nicht, richtig? Und er hat mich geliebt, oder? Es wäre falsch gewesen ihn zu vergessen. Er wollte mir nie was böses. Er wollt immer nur mein Bestes. Aber warum war er dann gegangen? Warum hatte er mich allein gelassen? Ich verstand es nicht. Aber ich verstand so vieles nicht. Ich verstand nicht, warum mein leiblicher Vater sich das Leben nahm als meine leibliche Mutter starb, obwohl er wusste, dass es mich gab. Ich verstand nicht, warum mich nie einer adoptieren wollte. Ich verstand nicht, warum ich für Logan mehr sein wollte als ein Bruder. Ich verstand nicht, wie einem Geld so wichtig sein konnte. Ich verstand nicht, warum ich Louis nicht einfach Dad nennen konnte. Ich verstand nicht, dass alle sagten Noah wäre ein schlechter Mann. Ich verstand auch nicht, warum Noah mich damals so berührt hat. Aber das war nicht falsch, nicht wahr? Er war mein bester Freund. Er hat mich geliebt. Das hat er immer gesagt. Nein, es war nicht falsch, es konnte einfach nicht falsch sein! Doch am wenigsten verstand ich diese Gedanken. Ich wollte nicht so denken. Diese Gedanken verwirrten mich so ungemein.

Mit zittrigen Beinen stand ich von meinem Bett auf. Ich wollte ins Bad, eine kalte Dusche nehmen um einen klaren Kopf zu bekommen. Was sich sofort als Fehler raus stellte. Denn kaum war ich einen Schritt gegangen, so ließen meine Beine unter mir nach. Zitternd zog ich meine Beine an den Körper und schlang meine Arme um diese. Ich hasste diese Art von Zusammenbrüchen, ich hatte sie schon damals im Heim gehabt. Weinend und zitternd saß ich auf dem Boden, konnte mich nicht bewegen, konnte nichts sagen. Ich starrte einfach in die leere und wurde von diesen Gedanken die mich so quälten überflutet.

Ich saß wahrscheinlich nicht lang dort, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Irgendwann schaffte ich es dann mich an meinem Bett hochzuziehen und wackelte langsam in mein Badezimmer. Ich zog mir die Boxer aus und stellte mich unter das kalte Wasser. Ich musste einen klaren Kopf bekommen, ich wollte nicht dass mich jemand so sieht.

Nach etwa 30 Minuten stellte ich das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Ich schlang mir ein Handtuch locker um die Hüften, rubbelte mir mit einen anderen Handtuch die Haare trocken und stellte mich dann vor den Spiegel. Ich sah furchtbar aus. Meine Haut war kreidebleich, ich hatte tiefe, dunkle Augenringe, meine Augen waren vom ganzen weinen vorhin noch immer total angeschwollen und meine Haare hingen mir im Gesicht. Die wuchsen auch wie Unkraut. Ich sollte echt mal zum Friseur.

Ich stolperte zurück in mein Zimmer und dann zu meinem Schrank. Ich zog mir eine frische Boxer und ein Shirt über, das Handtuch legte ich mir um die Schultern und machte mich anschließend auf den Weg ins Wohnzimmer. Dort war jedoch niemand. Auch im Esssaal und auf der Terrasse war niemand aufzufinden. Aufgebracht setzte ich mich auf den Terrassenboden, dort wo ich gestern auch mit Logan saß. Ich ließ mir unser Gespräch nochmal durch den Kopf gehen. Er war ein guter Bruder, er wusste stehts was er sagen sollte. Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. Letzte Nacht hatte mich echt aufgewühlt.

"Aaron?" fragte eine Stimme hinter mir. Ich erschrack und fuhr herum. Als ich feststellte dass es nur Logan war entspannte ich mich und setzte ein lächeln auf. Zwei Terrassen-Gespräche hintereinander musste echt nicht sein.

"Guten morgen." sagte ich und stand vom Boden auf.

"Morgen? Es ist nach eins, du hast echt lang geschlafen." lachte er. Beschämt sah ich wieder zu Boden.

"Die anderen sind André, Maik und Maggie zum Bahnhof bringen, sie kommen erst heute abend wieder. Linda hat heute frei. Und Sue ist gestern abend noch gefahren, du bleibst selbstverständlich hier." fuhr er fort. Ich nickte.

"Was machen wir den ganzen Tag?"

"Vanessa kommt zu Besuch, wir wollen bisschen Zeit für uns haben, wenn du verstehst. Du erzählst Dad doch nichts?" als er das sagte hatte er ein komisches grinsen auf den Lippen, versaut irgendwie. Und wenn ich ehrlich war, verstand ich nicht was er meinte. Irgendwie verletzten mich seine Worte auch. Aber warum? Er verbrachte doch nur Zeit mit seiner Freundin.

"Nein, nein. Ich verrate euch nicht." sagte ich mit aufgesetztem lächeln.

"Super, danke! Sie kommt in einer halben Stunde.. Ich muss ja noch aufräumen! Wir sehen uns heute abend." Und schon war er wieder verschwunden.

Ich mochte Vanessa nicht, dabei war sie eigentlich doch recht nett. Vielleicht sollte ich mich mit ihr anfreunden? Vielleicht sollte ich mich auch einfach damit abfinden dass Logan sie liebte und nicht mich. Aber halt, wollte ich denn überhaupt dass Logan mich liebte? Ich wusste ja nicht mal was diese Gefühle, die ich für ihn hatte, zu bedeuten hatten. Liebe konnte es nicht sein, liebe fühlte sich anders an. Noah hat mich geliebt. Bei Noah hat sich es immer anders angefühlt. Nein, ich liebte Logan nicht. Außerdem wäre es falsch, oder? Ich meine man verliebt sich nicht in seinen Bruder, das ist nicht richtig. Doch was war es dann was ich für ihn fühlte? Ich verstand es nicht. Das wäre ja nicht die erste Sache die ich nicht verstand.

Der Rest des Tages verlief eigentlichen relativ langweilig. Was heißt eigentlich? Er war verdammt langweilig. Ich saß im Wohnzimmer rum, sah fern und aß später mit Florian zu mittag. So wie es schien wusste er von Vanessa, denn Logan machte sich scheinbar keine sorgen dass er es mit kriegen könnte. Naja, mir sollte es eigentlich egal sein.

Vanessa ging kurz bevor Louis, Amanda und Ian wieder zurück kamen. Davor hatte ich Logan kein einziges mal gesehen. Aber im Moment wollte ich eh niemanden sehen. Ich war noch immer so unglaublich verwirrt. Den ganzen Tag plagten mich diese Gedanken schon. Ich mochte diese Gedanken nicht. Ich verstand sie nicht. Ich wollte nicht so denken. Ich wollte einfach alles was ich nicht verstand verdrängen. Einfach normal sein und normal denken. Und ein guter Sohn sein, jemand auf den man stolz sein konnte. War das zu viel verlangt?

My new Brother [boyxboy] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt