-Teil 37-

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Am zweiten Weihnachtstag kam Grandma zu Besuch. Sie würde einige Tage bleiben. Maik hingegen würde erst Neujahr abreisen.

Als ich früh morgens noch im Pyjama ins Wohnzimmer schlurfte, saßen bereits alle versammelt dort, bis auf Maik. Wo der steckte, wusste ich aber nicht. Sie hatte Grandma abgeholt während ich noch geschlafen hatte. Ich gähnte einmal ausgiebig und rieb mir mit meinem Ärmel über meine Augen.

"Morgen zusammen." murmelte ich und ließ mich neben Amanda in einen Sitzsack fallen. Kaum saß ich, fielen mir schon fast wieder die Augen zu. Gestern war es wieder echt spät geworden. Miles hatte sich abends rausgeschlichen und mich dann angerufen. Wir hatten bis nach 01:00 Uhr telefoniert. Ich hatte ihm vom meinen letzten Tagen berichtet und er mir von seinen. Seine Schwester hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht, dieses Weihnachten zum besten zu machen - das bedeutete keinerlei technischen Schnickschnack. Aber das machte sie wohl jedes Jahr. Er erzählte wie sehr Ty sich über den ferngesteuerten Hubschrauber gefreut hatte, den er bekommen hatte und wie sehr er geweint hatte als dieser kaputt gegangen war. Wir hatten darüber gesprochen, dass wir meine Idee zu Silvester uns das große Feuerwerk am Rodelberg anzusehen, in die Tat umsetzen würden. Da wir beide aber nicht von unseren Familien los kommen würden, würden wir dafür sorgen müssen, dass sie uns begleiteten.

"Da hat wohl jemand nicht viel geschlafen." meinte eine Stimme genau vor meinem Gesicht. Ich schlug die Augen auf und blickte direkt in die meiner Schwester.

"Ist gestern spät geworden." murrte ich und drehte mich auf die Seite. Kurz davor wieder einzuschlafen. Vielleicht hätte ich im Bett bleiben sollen.

"Du bist doch als erster ins Bett gegangen." erwiderte Liah von meiner rechten. Ich merkte jetzt, wie alle Blicke auf mir lagen. Machte jedoch keine Anstalten mich aufzusetzen oder sie anzusehen.

"Ist gestern spät geworden." als ich bemerkte, dass ich mich nur wiederholte, fügte ich hinzu: "Miles und ich haben telefoniert. Wir wollen uns Silvester sehen. Das geht doch klar, oder?"  nuschelte ich unverständlich in den Sitzsack hinein.

"In Ordnung. Aber nicht allein. Wir kommen mit!" verkündete Dad.

"Was anderes hatten wir gar nicht geplant." ich hing schon wieder halb in der Welt der Träume, als Amelie sich auf mich warf.

"Uff." verblüfft öffnete ich die Augen und sah zu der kleinen Rabaukin runter, die sich auf meinen Bauch geworfen hatte.

"Miles, also ja?" grinste Amanda, nun wieder neben mir sitzend.

"Wir sind nur Freunde. Ich seh genau was du denkst und das stimmt nicht!" und damit sagte ich ausnahmsweise mal wirklich die Wahrheit. Ich und Miles waren Freunde. Nicht mehr, nicht weniger.

"Jaja. So fängts an." flötete sie nun amüsiert.

"Bekomm ich keine Begrüßung?" rief Grandma gespielt empört dazwischen. Schmunzelnd stand ich auf, ging zu ihr rüber, umarmte sie kurz und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

"Hallo Grandma. Schön, dass du da bist. Wie war die Reise?"

Sie schien über die Frage sehr erfreut, denn sie fing sofort an darauf los zu plappern. Der Flug von Venedig hier her war ja soo überfüllt gewesen und die Stewardessen waren ja soo unhöflich und das Essen erst! Noch nie hatte sie soo schlechtes Essen gegessen!

"Du warst in Venedig? Was hast du da gemacht?" fragte ich schließlich.

"Ach, nur ein bisschen Reisen, weißt du." erwiderte sie schulterzuckend. Es stellte sich raus, dass sie ihre meiste Zeit mit Reisen verbrachte - leisten konnte sie sich es ja.

"Ich wollte schon immer nach Venedig. Nach Rom und London." sagte ich verträumt.
"Oh ich auch. Ich war noch nie im Ausland." warf nun auch Amanda ein.

Nun redeten alle durcheinander, über Länder die man selbst besuchen wollte, in denen man schon war und über schräge Urlaubsgeschichten. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen.

In Mitten dieser Menschen fühlte ich mich so wohl. Ich hatte eine Familie. Einen Platz an den ich gehörte, an dem ich mich dazugehörige fühlte und es auch wirklich war. Ich hätte mir das niemals so ausmalen können. Nun saß ich hier, auf dem Boden im Schneidersitz, umgeben meiner Familie und machte mir keinen einzigen Gedanken über die Dinge, über die ich mir früher Gedanken gemacht hätte. Darüber, dass man schlecht über mich dachte, mich blöd ansah, hinter meinem Rücken darüber sprach, dass ich Analphabet und Asthmatiker war, auch darüber, dass ich irgendetwas falsch machte. Diese sorgen waren in den letzten Monaten verflogen. Ich gehörte hier hin. Hier würde sie keiner über mich lustig machen. Ich war glücklich hier.

Nachdem ich eine Tasse Tee getrunken hatte, war auch der letzte Rest Müdigkeit in seine dunkle Ecke zurück gekrochen. Grandma und Liah waren in die Küche gegangen, weil sie kochen wollten. Dad und Linda hatten sich irgendwohin verzogen. Ich meinte, den Namen »Logan« aufgeschnappt zu haben, als sie das Zimmer verließen, war mir jedoch nicht sicher. Amanda und ich waren hier zurück geblieben, um uns um Amelie zu kümmern.

Unmittelbar nachdem ich meine leere Teetasse auf dem Wohnzimmertisch abgestellt hatte, betrat Maik mit der kleinen Milla auf dem Arm, den Raum. Er machte den Eindruck, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen und, als hätte sie ihn die ganze Nacht wach gehalten. Im Moment schlief sich friedlich, eingewickelt in eine grüne Decke. Maik sah aus, als würde er sich gleich auf dem Boden zusammenrollen und zu unseren Füßen einschlafen. Er wirkte jedoch keineswegs genervt, er sah glücklich aus. Stolz darüber, sein zweites Kind in den Armen zu halten, dass in seinen Augen das wunderschönste kleine Menschlein sein musste. Darüber hinaus war sie gesund und das war schließlich das wichtigste. Mir war aufgefallen, dass Milla zwar ruhiger bei ihrer Mutter war, als bei Fremden aber, dass sie nur bei ihrem Vater vollkommen entspannt aussah und sich oft auch dagegen sträubte, wenn ihr Vater sie an ihre Mutter weitergeben wollte. Sie nahm auch nicht die Brust. Maik gab ihr immer die Flasche und er war auch derjenige, der nachts Aufstand, wenn sie schrie. Nicht Liah war nach der Geburt zuhause geblieben, sondern er. Sie war ziemlich Karriereorientiert. Er war der Familienpapa schlecht hin. Da sollte mal jemand nochmal sagen, Männer würden nichts mit Babys anfangen können und Kinder hätten immer eine bessere Bindung zur Mutter!

Maiks gähnen holte mich zurück in die Wirklichkeit.

"Na, ihr zwei? Wisst ihr wo Liah ist?" er lächelte erschöpft. Die Nacht hatte er wahrscheinlich viel zu wenig Schlaf bekommen.

"Sie ist mit Grandma kochen." sagte Amanda und stand auf. Als Amelie aus dem Wohnzimmer stürmen wollte, hielt sie die Rebellin Handgelenk zurück. Wir hatten den Auftrag bekommen, sie nicht aus den Augen zu lassen.

"Oh. Ich wollte kurz duschen und Milla bei ihr lassen. Ich möchte nicht, dass sie alleine ist." murmelte er und sah besorgt auf seine Tochter hinab.

"Wir können auf sie achten! Sie schläft ja eh und dann kannst du dich etwas ausruhen." warf ich ein und erhob mich ebenfalls. Maik wollte gerade zum Protest ansetzen, als ich ihm das Wort abschnitt. "Keine widerrede! Du gibst sie her und gehst dich ausschlafen. Du siehst müde aus." damit nahm ich ihm, das kleine in die grüne Decke eingewickelte Bündel ab, Amanda schob ihn derweil aus dem Wohnzimmer.

"Ich bin nur duschen. Ich komm gleich wieder!" rief er noch, bevor er komplett aus meinem Seh- und Hörfeld verschwand.

Ich ließ mich auf die Couch sinken und stütze Milla auf meinem Arm. Sie kuschelte sich in meine Armbeuge und schlief zufrieden schmatzend weiter. Amelie hatte sie vor mir auf den Boden gesetzt und spielte mit ihrer Lokomotive, die sie zu Weihnachten bekommen hatte. Sie war immer ruhiger, wenn ihre schwerster schlief. Die beiden waren zum vergöttern. Später wollte ich unbedingt selbst Kinder haben.

Insgeheim wusste ich auch, dass Maik vorerst nicht zurück kommen würde. Und das tat er auch nicht. Als ich ihn später zum essen rufen wollte, entdeckte ich ihn, schnarchend, auf dem Bauch liegend im Bett, in seinem Gästezimmer. Er war noch immer voll bekleidet. Hatte nicht geduscht. Beide Arme weit von ihm ausgestreckt, als wäre er gleich nach dem er das Zimmer betreten hatte, ins Bett gefallen und eingeschlafen. Ich schmunzelte. Dann deckte ich meinen Onkel zu. Unten sagte ich den anderen er würde schlafen und, dass wir ihn schlafen lassen sollten.

Nächstes Update: 30. Dezember 2016

My new Brother [boyxboy] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt