-Teil 16-

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-LOGAN'S SICHT-

Ich saß vor Aarons Zimmer und hoffte er würde noch mal raus kommen oder zumindest mich rein lassen. Doch nichts von dem geschah.

Ich machte mir solche Vorwürfe. Ich wollte doch nur etwas über diesen Noah rausfinden. Ich wollte nicht, dass es ihm schlecht ging. Doch genau das hatte ich mit meinen Fragen bewirkt. Ich wusste nicht was ihm von Noah angetan wurde. Ich wusste jedoch, dass es nichts gutes gewesen sein konnte. Aaron war so verwirrt und aufgelöst gewesen, als würde er nicht verstehen, dass Noah ihm nichts gutes getan hat. Aaron schien diesem Mann alles geglaubt zu haben. Er schien nur zu ihm hundertprozentiges Vertrauen zu haben. Ich wüsste so gerne was in seinem Kopf vorging. Aber wie sollte ich es wissen wenn er nichts sagte und mich immer wieder weg stieß? Ich hatte in den letzten Monaten oft versucht ihn darauf anzusprechen aber immer hatte er mein Fragen über sein Leben im Heim ignoriert. Hatte meistens einfach weiter gesprochen ohne auch nur auf die Frage einzugehen. Als wolle er nicht, dass wir etwas über ihn wussten.
Auch mein Vater hatte mir nicht sonderlich viel verraten, lediglich wusste ich, dass der Verdacht auf Missbrauch bestand. Und durch Aarons Reaktion von vorhin hatte sich für mich der Verdacht bestätigt.

Ich hatte jedoch so viele Fragen. Wie konnte dieser Mann jahrelang einen Jungen missbrauchen ohne, dass es jemand mitbekam? Wie konnte Aaron all die Jahre schweigen? Wie konnte man einen kleinen Jungen, der so schon völlig allein war und nicht wusste was Liebe ist, egal ob familiär oder nicht, körperlich und emotional so sehr missbrauchen? Und vor allem wie kann man sowas mit seinem Gewissen vereinbaren?

Es tat mir so weh, Aaron so leiden zu sehen. Es tat weh auf einer Weise die ich nicht verstand. Ich wusste nicht was dieses Gefühl zu bedeuten hatte.
Ich hatte mich schon mal so gefühlt, als Vanessa im Krankenhaus lag. Ich nicht wusste was sie hatte oder wie es ihr ging. Ich erklärte mir dieses Gefühl dadurch, dass ich sie liebte. Und ich liebte sie wirklich sehr. Seit Jahren war sie die erste die mich meinetwegen mochte und nicht wegen des Geldes, das mein Vater hatte. Ich liebte sie wirklich über alles.

Dieses mal jedoch fühlte es sich so viel schlimmer an. Als hätte ich die gleichen Gefühle auch für Aaron aber das konnte nicht sein. Er war mein Bruder. Ich konnte doch nicht solche Gefühle für meinen kleinen Bruder haben. Andererseits fühlte ich mich bei ihm sehr wohl, so hatte ich mich bei Vanessa lang nicht mehr gefühlt. Ich sah sie aber auch echt wenig in letzter Zeit. Ich machte sehr viel mit Aaron und versetzten sie deswegen oft. Was war nur los mit mir? Sonst hätte ich sie doch nie versetzt. Wieso jetzt aufeinmal, nur wegen Aaron?
Ich konnte doch nicht für meinen Bruder Gefühle entwickeln, wo ich doch eine Freundin hatte.
Dass ich dabei Gefühle für einen Jungen hatte wunderte mich nicht sonderlich. Ich wusste schon lange, dass ich bisexuell war. Ich war auch vor jedem meiner Freunde und in der Familie geoutet, nur bei Aaron kam das Thema nie auf.
Man könnte fast annehmen, dass er solche Schubladen wie Sexualität oder Geschlecht gar ausblendete. Ihm war sowas schlichtweg egal.

Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, vernahm ich ein leises wimmern. Als ich aufsah, erblickte ich Aaron. Er klammerte sich am Türrahmen fest, hielt sich den Bauch und machte ein gequältes Gesicht. Er war blass und sah aus als würde er jeden Moment zusammenbrechen.
Ich stand auf und wollte ihn stützen, doch als ich daran dachte wie er vorhin unter meinen Berührungen zusammengezuckt war, hielt ich inne. Ich wollte nicht, dass er wieder so reagierte. Er sollte sich nicht vor mir fürchten. Ich hatte jedoch nicht viel Zeit mir auch noch darüber Gedanken zu machen, denn im nächsten Moment fiel er nach vorn und verdrehte die Augen, so, dass nur noch weiß zu sehen war. Ich konnte ihn gerade noch auffangen. Seine Augen waren geschlossen und er war leichenblass. Um ihn besser halten zu können hob ich ihn in Brautstyle hoch.
Ich wiederholte immer wieder seinen Namen. Hoffte er würde gleich wieder seine Augen öffnen.

Doch nichts. Keine Reaktion.

So langsam machte dich Panik in mir breit. Er atmete nur stoßhaft und war verdammt kalt.

Als ich endlich meine Stimme richtig wiedergefunden hatte, rief ich lautstark nach meinem Vater. Wenig später kam aus seinem Zimmer. Er schien nicht geschlafen zu haben. Als er Aaron auf meinem Arm sah, kam er auf uns zugesprinntet.

"Was ist passiert, Logan?" fragte er ernst und fühlte Aarons Puls.

"Ich.. Ich.. Er ist einfach umgekippt." sagte ich hilflos. Nun bemerkte ich auch die Tränen in meinen Augen.

"Linda ruf den Krankenwagen und bring Amanda hier weg." sagte mein Vater, sah dabei hinter mich. Erst jetzt merkte ich, dass die Zwei auch hier waren. Amanda sah verängstigt aus. Verdammt. Das wollte ich nicht. Ich wollte sie nicht wecken. Ich wollte nicht, dass sie das mitbekam.

"Was ist vorhin passiert?" fragte nun mein Vater wieder. Ich drehte mich wieder zu ihm. Ich sah ihn nur verwirrt an, bis ich feststellte, dass ich vorhin nicht gesagt hatte was geschehen war.

"Er hat über Noah gesprochen. Ich.. Ich wollte nur wissen was er mit ihm gemacht hat.. Ich wollte nur was rausfinden. Ich wollte nicht, dass das passiert. Es tut mir so leid, Dad." sagte ich weinerlich. Ich war erschrocken über mich selbst, so kannte ich mich überhaupt nicht. Sonst weinte ich nie, zumindest versuchte ich dann allein zu sein.

"Es ist nicht deine schuld, Logan. Du konntest nicht wissen, dass das passiert. Bringen wir ihn ins Wohnzimmer. Der Krankenwagen muss gleich da sein." sagte er ruhig und nahm mir Arron ab. Seine Stimme signalisierte mir Ruhe und Sicherheit, doch seine Augen waren voller Sorge.

Die nächsten Minuten zogen sich an mir vorbei. Kamen mir vor wie Stunden. Es kam mir vor als würde Aaron von Sekunde zu Sekunde blasser werden. Er sah nicht mal mehr lebendig aus. Als der Notarzt eintraf und versuchte mich von Aaron wegzudrücken, weigerte ich mich. Ich wollte seine Hand nicht los lassen. Ich wollte ihn nicht alleine lassen, so wie ich es vorhin getan hatte. Erst als mein Vater mich von ihm wegzog, begannen sie Aaron auf eine Liege zu legen.

Sofort fing ich wieder an zu weinen. Es war meine Schuld, dass er hier so lag. Ich wollte schreien aber das konnte ich jetzt nicht bringen. Amanda stand an der Tür und sah uns verzweifelt an. Sie hatte mich noch nie weinen sehen. Vor ihr tat ich immer stark. Aber ich war nicht stark. Ich war so unglaublich schwach, weil ich es nicht schaffte Gefühle zuzulassen.
Und jetzt sah sie mich so. Was sollte sie nur von mir denken?
Sie war zwar schon dreizehn, aber immer noch ein Kind. Sie baute Schneemänner und schaute noch SpongeBob. Sie war nicht so wie die meisten in ihrem Alter. Sie war so unglaublich unschuldig. Sie konnte das alles doch gar nicht verstehen.
Ich machte nur Fehler. Erst zwang ich Aaron zum reden, dann war ich nicht für ihn da und jetzt weinte ich auch noch vor meiner kleinen Schwester? Wie viel konnte ein Mensch denn an einem Tag falsch machen?

"Logan ?... Logan!"

Ich reagierte nicht auf meinen Namen. Starrte einfach in die Leere, machte mir in Gedanken Vorwürfe und verzweifelte an meinem Kopf.
Erst als mein Vater mich an der Schulter packte und sich zu sich drehte, erwachte ich aus meiner Trance.

Ich blinzelte ein paar mal und sah ihn dann verwirrt an.

"Ich werde mit ins Krankenhaus fahren. Du bleibst hier mit Amanda und Linda. Ich habe Ian bescheid gegeben, er fährt euch morgen zu uns sobald ich ihn anrufe." sagte er ruhig und bestimmend. Die Ruhe in seiner Stimme ließ auch mich etwas zur Ruhe kommen. Dennoch wollte ich mit. Doch ich wusste, dass mein Vater dies nicht zulassen würde. Deshalb fragte ich gar nicht erst.

"Wieso ist Linda eigentlich noch hier? Sie hat seit Stunden Feierabend." fragte ich stattdessen, da mich diese Frage gerade Beschäftigte und davon ablenkt, dass ich nicht wusste was nun mit Aaron war.

"Darüber sprechen wir ein anderes mal. Ich äh muss jetzt los. Geh schlafen, der Unterricht fällt morgen aus." sagte mein Vater schnell, gab mir einen Kuss auf den Kopf und verschwand, nach draußen zu dem Krankenwagen.

Auf ein mal wirkte er so gehetzt. Nicht so gelassen wie sonst immer. Doch darüber machte ich mir nun keine Gedanken. Wie mein Vater es mir gesagt hatte, legte ich mich schlafen. Was ich nach zahlreichen Stunden, in denen ich mir Vorwürfe machte und in denen mich ein schlechtes Gewissen plagte dann auch endlich schaffte.

Nächstes Update: 6. August 2016

My new Brother [boyxboy] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt