-Teil 34-

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Ich stand am Fenster und beobachtete, wie Dad Logans Koffer in den Wagen seines Bruders räumte. Sie wollten schon früh aufbrechen. Es war gerade mal um acht und trotzdem waren alle schon seit Stunden auf den Beinen. Damit André und Logan ihren Zug nicht verpassen, hieß es. Eigentlich hatte ich noch etwas schlafen wollen, da Dad aber darauf bestand, dass wir alle beim Abschied anwesend waren, - was gewiss nicht so gewesen wäre, wenn Logan tatsächlich nur für eine Woche aufs Land gereist wäre - weckte Amanda mich bereits um sieben Uhr! Für gewöhnlich hätte das für mich ja kein Problem dargestellt, da ich aber die halbe Nacht damit verbracht hatte, mit Miles zu telefonieren, war ich jetzt hundemüde. Eigentlich durfte er nicht telefonieren, seine Schwester schätzte es nicht, wenn er während der Feiertage am Handy hing. Um drei Uhr war sie in sein Zimmer gestürmt und hatte das Telefonat ohne irgendwelche Widerrede beendet. Sie hatte sich zwar nicht wütend angehört, so weit ich das beurteilen konnte, dennoch empfand ich ein wenig Mitleid mit ihm.

Wie dem auch sei, eigentlich hätte ich mich nun bei Florian in der Küche »versteckt«, um Logan vor seiner Abfahrt nicht zu begegnen. Aber Florian und Ian hatten über die Feiertage frei bekommen. Auch Linda hätte frei bekommen - das hatte ich extra gefragt, weil es mich gewundert hatte, dass sie noch immer hier war - aber sie wollte nicht. Weshalb war mir nicht bewusst. Sie verbrachte allgemein immer mehr Zeit bei uns, unabhängig der Tatsache, dass sie hier arbeitete natürlich. Abends fuhr sie nicht nach Hause, sondern übernachtete bei uns! Einmal hatte ich sogar gesehen, wie sie morgens aus dem Zimmer meines Vaters kam. Ich hatte es für unwichtig gehalten und schon fast vergessen gehabt.

"Aaron." erschrocken fuhr ich herum, als ich die Stimme meines Bruders hinter mir hörte. Schnell bemühte ich mich, meine Fassung wieder zu erlangen, was mir jedoch nicht so gelingen wollte. Logan war schon fertig für die Abreise. Er hatte seinen Rucksack auf einer Schulter und hielt seine Lederjacke in der Hand. Bei ihrem Anblick rümpfte ich die Nase, ich hatte diese Jacke schon immer verabscheut.

"Ich hoffe dir gefällt es auf dem Land." log ich. Natürlich würde es ihm auf dem Land nicht gefallen, er würde ja nicht aufs Land fahren.

"Ich muss mit dir reden." irrte ich mich, oder schwang ihn seiner Stimme Verzweiflung mit? Naja, was es auch sei. Ich hatte in den letzten Wochen, meinen Vorsatz ihm aus den Weg zu gehen nicht gebrochen und würde es auch jetzt nicht tun.

"Ich möchte mich nicht mit dir unterhalten." fuhr ich ruhig fort. Ich hasste mich für das was ich sagte, aber ich konnte nicht in seiner Nähe sein. Felix hatte  recht behalten - wie so oft auch -,  nach dem Wochenende wurde er immer verletzender und das konnte ich nicht ertragen.

"Du unterhältst dich bereits mit mir. Hör auf mir aus dem Weg zu gehen. Du... Du bist so anders, seit dem du diesen Holzkopf kennst." fuhr er mich gereizt an. Holzkopf. Das war sein Spitzname für Miles.

"Hör auf ihn so zu nennen." wütend ballte ich meine Fäuste und gab damit bestimmt das Bild eines aggressiven Zwerge ab.

"Ihr kennt euch keine fünf Minuten, Herr Gott noch mal! Aber darum geht es nicht. Darüber will ich nicht reden." stieß er eifersüchtig hervor. Ich hatte nicht vor dieses Gespräch weiter zu führen. Weshalb ich mich umdrehte und weg gehen wollte. Doch er packte mich an meinem Handgelenk und zog mich bis in eines unserer vielen ungenutzten Gästezimmer. Sofort wollte ich das Zimmer verlassen, doch er stellte sich mir in den Weg.

"Du gehst jetzt nicht wieder weg." fuhr er ungeduldig fort.

"Was willst du denn? Über was willst du mit mir reden? In letzter Zeit behandelst du mich entweder wie einen Fremden oder als hätte ich dir sonst was angetan. Als... Als wäre ich ein Monster. Als wäre ich es nicht wert, dass man mich mag. Kein einziges Mal hast du vernünftig mit mir geredet. Felix hatte recht: Ich sollte mich von dir fern halten. Und das habe ich von nun an auch vor. So sehr ich dich auch bewundert habe, als ich hergekommen bin." sprudelte es aus mir heraus. Er sah mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst.

"Felix?" fragte er matt. Seine Stimme war kaum mehr ein flüstern.

Ich antwortete nicht, sondern wartete darauf, dass er mit dem anfing was er mir hatte mitteilen wollen.

"Hinter der Bühne, Aaron..." fing er nach gefühlten Stunden an. "Ich... Es tut mir leid, was da passiert ist. Vergiss das einfach. Ich war... Nicht ganz ich selbst." erklärte er.

"Ich wüsste nicht warum du mir das erzählen solltest. Es hatte nicht die geringste Bedeutung." log ich. Gewiss hatte es eine Bedeutung. Auch wenn ich nicht sagen konnte welche. So was hätte schließlich immer eine Bedeutung, oder? Sein Gesicht verzog sich kurz Schmerz erfüllt, so als hätte ich ihn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Das war das erst mal, seit Ewigkeiten, dass er mir gegenüber überhaupt seine Gefühle zeigte.

"Ich.. Nun ja ich..." er räusperte sich. "Ach nicht so wichtig. Ich wollte mich nur entschuldigen. Das hätte nicht passieren dürfen.Ich... Ich bitte dich um Verzeihung, für mein Verhalten." er wirkte auf einmal so klein und verletzlich. Erstaunt sah ich ihn an. Seit zwei Wochen, zeigte er gerade zum erstenmal Reue und entschuldigte sich, anstatt sich beleidigend und spottend über Dinge zu äußern die ich sagte oder machte. Ich schüttelte leicht meinen Kopf.

"Du verwirrst mich, Bruderherz." war alles was als Antwort gab. Als er mich jedoch nur unbeholfen ansah, fuhr ich fort. "Seit dem ich dich in der Küche erwischt habe, verhältst du dich zunehmend distanziert. In kurzen Momenten suchst du meine Nähe, um mich kurz darauf wieder fort zustoßen. Und jetzt, seit... Seit der Sache in dem Café bist du so unhöflich. Du verhältst dich wie eine andere Person. Die letzten Wochen bist du mir nur mit Spott und Wut begegnet. Kein einziges Mal hast du versucht vernünftig mit mir zu sprechen und jetzt, wo du kurz davor stehst diesen Entzug anzutreten, ziehst du mich hier her und sagst mir diese Dinge. Dabei sehe ich keinen Grund, warum du das tun solltest, es sei den es hat dir doch etwas an diesem Kuss gelegen... Aber das ist irrelevant. Du bist mein Bruder, Blut hin oder her. Wir sollten uns nicht derartig nahe stehen. Das habe ich in der letzten Zeit, in der du dich so abweisend verhalten hast, begriffen." als ich fertig war, zog er die Luft ein.

"Woher weißt du das mit dem Entzug? Dad hat doch gesagt, wir halten es geheim. Amanda sollte das doch nicht mit bekommen." den letzten Teil murmelte er mehr zu sich selbst.

"Sie weiß es nicht. Keine Sorge. Aber ich bin nicht blind. Ich hab bemerkt wie Dad dich keine Sekunde aus den Augen lässt."

"Du sagst es ihr doch nicht? Sie denkt noch so gut von mir." flehte er.

"Ich sag ihr nichts. Versprochen. Du solltest jetzt vielleicht zu Dad und André gehen. Ihr fahrt doch gleich los." ich hoffte mich, mit diesen Worten an ihm vorbei drücken zu können, um mich möglichst weit weg von ihm zu entfernen.

"Warte. Da gibt es noch etwas." 

Ich schluckte. "Und das wäre?" 

"Halte dich von Miles fern. Er bedeutet Ärger." sagte er ohne zu zögern. Trotz der Tatsache, dass er zum ersten Mal Miles Namen ausgesprochen hatte, ohne ihn dabei wie eine Beleidigung klingen zu lassen, kochte in mir die Wut auf. Wie konnte er sowas von mir verlangen?

"Nein. Das werde ich nicht. Was hast du bloß gegen ihn?" fragte ich aufgebracht und stemmte meine Hände in die Hüften.

"Das hab ich dir schon gesagt." zischte er.

Ehe ich zu einer Antwort ansetzen konnte, hörte man Andrés Stimme vom Flur aus, nach Logan rufen hören.

"Ich muss jetzt. Wir sehen uns dann." diese Worte äußerte er so kalt und entnervt, dass ich kurz zusammenzuckte. Er machte auf den Absatz kehrt und ließ mich allein in dem Raum zurück.

Benommen ließ ich mich auf das Gästebett sinken. Wie konnte er von einen auf den anderen Moment, so unhöflich und gefühllos klingen, wenn er sich nur wenige Sekunden zuvor für genau eben dieses Verhalten entschuldigt hatte?

Nächstes Update: 23. Dezember 2016

My new Brother [boyxboy] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt