Berlin, im Oktober 2012
Total hektisch und ohne sich nochmal umzudrehen rannte Benni den Flur entlang und riss die Tür zum Treppenhaus auf. Er wollte jetzt einfach nur so schnell wie möglich hier raus. Er konnte sich gar nicht so wirklich erklären, warum er überhaupt mit diesem Mädchen nach oben gegangen war. Aber noch weniger erklären konnte er es sich, was denn nun gerade sein Problem war. Denn bis zu einem gewissen Punkt hatte er gedacht, dass er das ganz easy durchziehen würde.
Als er dann im Erdgeschoss angekommen war, verlangsamte er seinen Schritt und bemühte sich um einen lässigen bis neutralen Gesichtsaudruck. Würde er jetzt wie ein Irrer durch die Lounge rennen und mit quietschenden Reifen davonrasen, würde das Personal wohl direkt sonst was denken.
Vor allem mit diesem extrem bulligen Riesen, der vor der Tür positioniert war, wollte er sich nicht anlegen.
Benni versuchte, sein rasendes Herz zu ignorieren und fragte sich gleichzeitig, warum es gerade einen Marathon in seiner Brust lief. Auf der einen Seite war er zwar schon recht speckig geworden, aber so fett, dass er von ein paar gerannten Schritten Herzrasen bekam, war er nun auch wieder nicht.
Mittlerweile war es kurz nach neun Uhr abends und wohl - im wahrsten Sinne des Wortes - Hauptstoßzeit im Puff. Er durchquerte die große Lounge und sah sich verstohlen das Publikum an, das da saß und versuchte, auch wenn es ihm sehr schwer fiel, sich in die Rolle eines der Mädchen hineinzudenken.Mit wem der hier Anwesenden wäre es wohl am wenigsten eklig, Sex haben zu müssen? Wahrscheinlich war das am ehesten dieser große, lange Typ im Anzug, der an der Bar saß und sich ein Glas Champagner in den Hals kippte. Als er mit den Jungs vor einem halben Jahr schon mal hier drin war, war ihm das alles noch gar nicht so widerlich vorgekommen. An dem Tag war aber das Publikum auch angenehmer gewesen und die meisten Männer hatten eher durchschnittlich gewirkt.
Heute Abend jedoch schien sämtliches Ungeziefer Berlins aus seinen Löchern gekrochen zu sein. Wo waren all die Leute denn tagsüber? Wenn er genauer überlegte, konnte er das allerdings auch gar nicht wissen. Entweder, er hielt sich in seinem luxuriösen Appartment auf, fuhr mit seinem Audi durch die Gegend, ging in die teuersten Bars, Clubs und Restaurants oder hing im Studio oder bei seinen ebenfalls gut betuchten Freunden ab.
Er kam nicht wirklich mit dem Bodensatz der Menschheit in Berührung und wenn er sich diese Kerle da so ansah, war er auch ganz froh darüber.Kaum war Benni endlich aus der Tür raus, wurde sein Schritt wieder schneller und er ging direkt auf sein Auto zu. Dort ließ er sich erleichtert auf den Fahrersitz fallen und fuhr direkt mit quietschenden Reifen los.
Er wollte jetzt einfach nur heim und nie wieder über diesen Abend nachdenken. Sollte er jemals den Wunsch haben, mit einer Professionellen zu schlafen, dann würde das auf jeden Fall ein sauteures Escortmädchen sein, oder wenns sein muss, eine Edelhure. Jedenfalls steckte er sicher nicht seinen Schwanz in die selbe Olle wie einer von diesen Untermenschen.Als er in seine Straße einbog und den dringenden Wunsch verspürte, sich eine Stunde lang zu duschen und dann einfach nur schlafen zu gehen, fiel ihm ein, dass er diesen Plan wohl gleich wieder vergessen konnte. Denn da war ja auch noch der Streit, den er vorher am Tag mit Eva gehabt hatte. Die hatte irgendwas gefaselt von wegen, er würde sich nicht korrekt verhalten und sie würde sich am liebsten einen anderen Kerl suchen. Sie war so schon nicht der Typ, der einfach mal so nachgab und dazu kam heute noch, dass sie noch ihre Tage hatte und dadurch drei mal so zickig war, wie sonst üblich.
Benni seufzte und wendete an der nächsten Kreuzung. Er wusste nicht so recht, wie er diese Gefühle, die er nun hatte, einordnen sollte. Normalerweise ließ er sich nichts gefallen. Eva hatte ihn vorhin fast mit einer Vase am Kopf getroffen und im Normalfall wäre er jetzt noch wütend darüber. Aber jetzt wollte er einfach nur ein bisschen Frieden. Zudem glaubte er, hatte er tatsächlich ein schlechtes Gewissen, weil er gerade fast Sex im Puff hatte.
Und der Gedanke, dass Eva tatsächlich mit ihm Schluss machen könnte, schmerzte ihn doch mehr, als er zugeben wollte. Denn auch, wenn er sich sonst so überlegen gab und so tat, als würde es ihm nichts ausmachen wenn sie ging, weil um die nächste Ecke schon fünf neue Mädels standen, die nur auf ihn, den mit Geld um sich schmeißenden Labelboss, warteten, hing er an ihr. Sonst wäre er ja wohl auch kaum schon seit zwei oder zweieinhalb Jahren mit ihr zusammen.Er hielt an der ersten Tanke, an der er vorbeikam und ließ seine Augen auf der Suche nach etwas, das sie besänftigen könnte, durch das Sortiment wandern. Völlig überfordert zog er sein Handy und wählte die Nummer von Timi, der seit neuestem ein Experte auf dem Gebiet der Romantik zu sein schien.
"Timi, Alter. Ich brauch mal kurz deine Hilfe", seufzte Benni, als dieser abhob.
"Okay, aber beeil dich ein bisschen. Ich hab nicht so viel Zeit. Wir wollten gerade baden gehen und das Wasser wird kalt und..."
"Jaja", unterbrach Benni ihn grinsend. Er hatte wohl wirklich den richtigen Ratgeber gewählt. "Eva ist ein bisschen sauer auf mich. Ich muss mich entschuldigen und stehe jetzt an der Tanke. Was soll ich ihr denn kaufen?"
"Dein Ernst?", fragte Timi und Benni hörte eindeutig sein blödes Grinsen durch die Leitung. "Keine Ahnung, kauf ihr halt ein paar Blumen, falls die sowas an der Tanke haben. Ich mein, du solltest es nicht übertreiben, sonst denkt sie noch, dass du bei einer Anderen warst", sagte Timi und lachte total behämmert. Er hatte ja irgendwo recht. Er machte nie etwas romantisches, also konnte er nicht gleich mit einem ganzen Aufgebot an rosaroten Peinlichkeiten daherkommen. Da wäre ja wohl direkt klar, dass etwas im Busch war.
"Jo alles klar dann. Pass auf, dass du nicht ersäufst in deiner Badewanne", sagte Benni und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
Dann zog er schulterzuckend den letzten, nicht sehr ansehnlichen Blumenstrauß aus dem Eimer neben der Kasse und warf einen Schein auf den Tresen.
Zuhause angekommen machte er sich noch die Mühe und zupfte die verwelkten Blüten raus, dann drückte er den Knopf für den Fahrstuhl und hoffte, die Sache mit dem schlechten Gewissen würde sich gleich wieder erledigt haben.
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Mädchen, mach die roten Lichter aus!
General FictionBenjamin Kerber ist ein reicher, verwöhnter Luxusproll, dem andere Menschen augenscheinlich nicht besonders am Herzen liegen. Doch eines Tages tritt über ungewöhnliche Umstände die Prostituierte Irina in sein Leben und verändert plötzlich alles. Cov...