Berlin, im Oktober 2012
Mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Verwunderung, Schock und Erleichterung einzuordnen war, saß Irina auf der Kante ihres Bettes und starrte den grünen Schein an, der da vor ihr auf dem Boden lag. Den grünen Schein, den Benni ihr vor rund fünf Minuten und während sie noch dort auf dem Boden kniete, einfach hingeworfen hatte.
Sie fragte sich, warum er wohl gerade so übereilt aus dem Zimmer gestürmt war. Sie hatte sich unten in der Lounge doch nicht einmal darum bemüht, ihn als Kunden zu gewinnen. Vollkommen ignoriert hatte sie ihn. Wenn er auch nur in ihre Nähe geschaut hatte, hatte sie den Blick absichtlich abgewendet. Er war es gewesen, der unbedingt mit ihr aufs Zimmer wollte.
Auf der einen Seite war sie nun doch ziemlich froh darüber, dass Benni unverrichteter Dinge abgehauen war und sie rein gar nichts für diese hundert Euro hatte tun müssen. Auf der anderen Seite jedoch hatte seine Aussage, dass das hier total ekelhaft sei, ein dumpfes Stechen in ihrem Herzen hinterlassen.
Auch für sie stand es außer Frage, dass es nicht das appetitlichste war, wenn ein Mann eine Frau bumste, auf der vor ihm am gleichen Tag schon fünf andere lagen. Aber das war den Männern doch bewusst, wenn sie hierher kamen. Dann sollten sie doch entweder einfach wegbleiben, oder aber diese Gedanken für sich behalten. So zumindest die Therorie. Nur leider gab es nicht gerade wenige Männer, die im echten Leben nicht viel zu melden hatten und es dann genossen, für ein paar Scheine in eine Machtposition zu kommen.
Männer, die im Job eine niedrige Stellung hatten und den ganzen Tag nach der Nase ihres Chefs tanzen mussten, machten nach Feierabend im Puff ihre Geldbörse weit auf, schlüpften in einen Lederanzug und trieben ein Mädchen auf Knien rutschend am Halsband durch die Nacht, während sie in der anderen Hand die Peitsche hielten.
Männer, die im Job vielleicht etwas einflussreicher waren, aber Zuhause von ihren Frauen unterdrückt wurden, die das nicht zu schätzen wussten, kamen am Abend ins Bordell und suchten sich ein Mädchen aus, das sie ersatzweise unterdrücken konnten. Gleichzeitig wollten sie dann natürlich überschwänglich für ihren Erfolg im Beruf gelobt werden, während sie das Mädchen fest an den Hüften gepackt hart durchfickten.
Im Umkehrschluss gab es dann auch die Männer, die Verantwortung trugen, sowohl im Job, als auch daheim. Für diese war es dann der Himmel auf Erden, wenn sie von einem der Mädchen, die auch SM praktizierten, richtig hart rangenommen wurden. Einmal nicht für alles verantwortlich sein. Einmal nicht die Richtung bestimmen müssen. Für manch einen Kerl bedeutete dies, drei Stunden lang eine lebendige Fußbank für seine Herrin zu spielen, oder sich hilflos mit einer Windel bekleidet in ein überdimensionales Babybett zu legen, oder sich auspeitschen zu lassen, um am nächsten Morgen im Büro die Nachwehen wieder an den wehrlosen Mitarbeitern auslassen zu können.
In der kurzen Zeit, die Irina nun hier arbeitete, hätte sie schon ein Buch so dick wie die Bibel schreiben können, welches sich ausschließlich damit beschäftigte, aus welchen Beweggründen diese Männer den Weg in ihr kleines Zimmer fanden.
Aber Benni, der ließ sie heute mehr als ratlos zurück. Ein Mann, der sich erst fast schon verzweifelt darum bemühte, um mit ihr hochgehen zu dürfen, ihr dann mehr als das doppelte zahlte, ohne das etwas passiert war und dann wieder abhaute, das war ihr noch nie untergekommen.Sie saß noch immer einfach so da und starrte dieses Geld weiter an. Es widerstrebte ihr sogar, das Geld vom Boden aufzuheben. Er hatte es ihr so vor die Füße geworfen, wie man Abfälle vor ein Schwein wirft. Auch, wenn sie ihren Slip anbehalten hatte, um an dieses Geld zu kommen, hatte sie das Gefühl, sie hätte noch nie solch schmutziges Geld besessen. Wenn ein Mann sie sonst bezahlte, dann hatte sie sich das verdient, weil sie etwas dafür getan hatte. Doch mit diesem Schein hier hatte Benni versucht, sich aus der Situation freizukaufen. Er hatte sie bezahlt, damit sie nicht enttäuscht darüber war, wenn er die Meinung vertrat, dass sein wertvoller Körper doch nicht mit ihrer schmutzigen Haut, auf der heute schon das Sperma von vier anderen Männern klebte, in Berührung kommen sollte.
Wenn es nicht dieser Grund war, dachte Irina, dann war es ein anderer aus dieser Kategorie. Dass dieser in Lacoste gehüllte Prolet ihr das Geld aus Mitleid gegeben hatte, war wohl mehr als unwahrscheinlich.
Sie hatte sich schon oft für das geschämt, was sie hier tat. Doch so schlimm, wie an diesem Tag, war es bisher noch nie gewesen.Da Irina ihre Familie in Osteuropa bei Gott nicht mit diesen, vor Dreck und Scham triefenden hundert Euro ernähren wollte, nahm sie das Geld nun an sich, zog sich einen dünnen Satinbademantel über ihren nur spärlich bekleideten Körper und machte sich auf den Weg nach unten in die Lounge.
"Wie lange arbeitest du heute?", fragte sie ihre Kollegin, die Bardame Valerie, und setzte sich auf einen Hocker auf der anderen Seite des Tresens.
Diese stellte ein frisch poliertes Weinglas in das Regal hinter sich und drehte sich dann seufzend wieder zu Irina um. "Zwei Stunden noch."
"Gut. Wir gehen dann mal so richtig ordentlich essen, wenn du fertig bist. Zieh dir was schickes an!", sagte sie. Dann beugte sie sich weit vor und sprach etwas leiser. "Ich habe hundert Euro, die ich loswerden will."
Irina erntete einen mehr als skeptischen Blick. "Warum willst du denn hundert Euro loswerden? Zum Essengehen? Einfach so?"
Irina ließ sich von Valerie einen Vodka einschenken - sofern man keine Alkoholikerin war, die eine ganze Flasche am Tag wegzog, erlaubte es Ronny den Mädchen tatsächlich, in Maßen kostenlos zu trinken. Nach dem ersten folgte noch ein zweiter und dann erzählte Irina Valerie ausführlich, was da gerade mit Benni in ihrem Zimmer vorgefallen war."Was ein Arsch. Naja, aber ist doch gut, dass du mit dem nichts machen musstest, oder?"
"Klar, schon. Aber... ach ich weiß doch auch nicht, es geht ums Prinzip! Jedenfalls, gehst du jetzt mit mir essen, oder nicht?"
Nachdem Irina dann in ihrem Schrank mit Müh und Not ein Kleid gefunden hatte, das nicht sofort Nutte schrie, machte sie sich mit Valerie auf den Weg in ein Restaurant, in das sie ohne diese hundert Euro wohl niemals in ihrem Leben gegangen wäre.
DU LIEST GERADE
Mädchen, mach die roten Lichter aus!
Aktuelle LiteraturBenjamin Kerber ist ein reicher, verwöhnter Luxusproll, dem andere Menschen augenscheinlich nicht besonders am Herzen liegen. Doch eines Tages tritt über ungewöhnliche Umstände die Prostituierte Irina in sein Leben und verändert plötzlich alles. Cov...