Berlin, im Dezember 2013
Irinas Herz schlug ihr bis zum Hals.
Den ganzen Tag über hatte sie schon Freier bedient und sie konnte sich kaum noch bewegen. Schon seit den frühen Morgenstunden waren die Typen einer nach dem anderen ins Bordell gekommen und bis in den späten Abend hinein war der Strom nicht abgerissen. Pausenlos hatten sie auch an ihre Zimmertür geklopft. Sie wusste schon jetzt nicht mehr, wie sie sitzen sollte und dabei war der Abend, und somit auch die Stunden in denen das Bordell am stärksten besucht wurde, noch lange nicht vorbei.
Und als ob dies noch nicht genug wäre, war Ronny vor einer halben Stunde in ihr Zimmer gekommen und hatte ihr mitgeteilt, dass sie sich langsam fertig machen sollte, da sie bald jemand abholen würde.
Irina wurde noch nie zuvor für einen festen Termin im Voraus gebucht, und schon gar nicht für ein Treffen außerhalb der Wände des Bordells.„Ronny, was soll das?", fragte sie unsicher, als sie fertig gestylt unten an der Bar saß und auf den mysteriösen Mann wartete, der sie abholen wollte. In ihrer Fantasie malte sie sich schon jede mögliche Grausamkeit aus, die es nur geben konnte.
„Du hast es wohl jemandem schwer angetan, und der möchte dich für ein paar Stunden ganz für sich alleine haben", antwortete der bullige Bordellbesitzer und trank grinsend einen großen Schluck aus der Vodkaflasche.
„Und wo soll das sein?", fragte Irina, während sich ein riesiger Kloß in ihrem Hals bildete.
„Er holt dich ab und will dann mit dir in ein Hotel", antwortete er und Irina spürte, dass sie Ronny so langsam gehörig auf die Nerven ging.Panik machte sich in Irina breit. In einem Hotel würde sie niemand schreien hören und falls doch, wäre es den Leuten wahrscheinlich total egal. Zwar konnte man sich auch hier nicht unbedingt immer zu hundert Prozent auf die Aufseher verlassen, doch in einem Hotel würde es gleich gar keine geben.
Was hatte dieser Kerl, der sie gebucht hatte, bloß mit ihr vor? Er könnte sie doch einfach hier ficken, so wie jeder andere auch.
„Ich kann die zweitausend Euro, die der Typ dafür hinblättert auch mit einem anderen Mädchen teilen, wenn du keinen Bock hast", meinte Ronny und warf Irina einen schiefen Blick zu.
„Wieviel würde ich davon denn bekommen?", fragte Irina und so langsam wurde ihr richtig heiß vor lauter Angst.
„Die Hälfte."
Irina schluckte schwer. Für tausend Euro musste sie jetzt wohl da durch, ganz egal was es sein würde. So sehr sich ihre Vernunft auch dagegen wehrte, aber zu dieser Summe konnte sie schlecht Nein sagen.Ein lautes Motorengeräusch drang durch die geschlossenen Fenster und obwohl Irina nicht gesehen hatte, was für ein Wagen gerade angekommen war, hatte sie schon die Vorahnung, dass es sich bei dem nächsten Typen, der durch die Eingangstür kommen würde, um ihren Kunden handelte.
Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihr Herz schlug in der Frequenz von den Flügelschlägen eines Kolibris und ihre Beine zuckten unter dem Tresen. Alles in ihr schrie nach Flucht, aber sie blieb trotzdem sitzen.Sie sah sich hektisch in der Bar um. Die Mädchen hatten heute lächerlich kurze Weihnachtskostüme an, die Freier waren gut drauf und tranken Glühwein und aus den Boxen dröhnte völlig nervige Weihnachtsmusik.
Für einen Bruchteil einer Sekunde blitzten Bilder aus vergangenen Weihnachten vor ihrem inneren Auge auf, die sie mit aller Macht wieder nach unten kämpfte. Wenn sie sich jetzt vorstellen würde, wie Weihnachten zuhause bei ihrer Familie ablaufen würde, dann würde es sie wohl innerlich brechen und zerreißen vor Sehnsucht.Die Glocke, die immer klingelte sobald sich die Tür öffnete ertönte und Irina wurde direkt schlecht vor Panik. Was würde in den nächsten Stunden bloß mit ihr passieren?
Es dauerte einen quälend langen Moment, ehe sie realisierte, wer gerade durch die Tür ging und auch, als sie ihn erkannte, konnte sie nicht wirklich glauben, dass er tatsächlich hier war.
Benni.
Er sah sich schnell in der Bar um und als er sie entdeckte, ging er geradewegs auf sie zu.„Hi", sagte er und grinste völlig entspannt, als wäre das hier gerade das Normalste auf der Welt.
„Hallo", anwortete Irina fassungslos.
„Können wir dann?", fragte Benni, drehte sich um und ging Richtung Ausgang.
Völlig unfähig zu sprechen folgte Irina ihm wortlos.„Was machst du hier?", fragte sie ihn dann, als er gerade dabei war, seinen Autoschlüssel aus der Manteltasche zu suchen. „Hast... hast du mich gebucht?"
Benni lachte. „Naja, wenn du es so nennen willst", sagte er und öffnete die Beifahrertür. Irina stieg ein und lehnte sich völlig verwirrt gegen die weiche Lehne des Sitzes.
Sie war zwar ziemlich verunsichert und konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was Benni nun mit ihr vorhatte, auf der anderen Seite war sie trotzdem erleichtert. So, wie sie ihn bisher kennengelernt hatte, glaubte sie nicht, dass er jetzt irgendwas komisches oder perverses mit ihr vorhaben könnte.
Nur was genau es war, was er nun von ihr wollte, davon hatte Irina nicht die leiseste Ahnung.„Benni, was wird das hier?", fragte sie ihn, als sie auf die Stadtautobahn fuhren.
„Ich bin der Meinung, dass du an Heiligabend etwas besseres verdient hast, als im Bordell zu arbeiten", antwortete er und sie sah ihn im Licht der Laternen grinsen.
„Und was soll das sein?", fragte sie vorsichtig.
„Lass dich einfach überraschen. Es ist nichts schlimmes, ganz bestimmt nicht."
Nun schlich sich auch ein leichtes Grinsen in ihr eigenes Gesicht. „Das hätte ich auch nicht gedacht."Nach zwanzig Minuten verließen sie die Autobahn wieder und Irina wusste nicht mehr, in welchem Teil Berlins sich die beiden nun befanden. Jedenfalls war sie noch nie zuvor hier gewesen, soweit sie das im Dunkeln beurteilen konnte.
Ein paar Schneeflocken rieselten vom Himmel herab und tausende Lichter der Weihnachtsbeleuchtung, die überall zu finden war, reflektierten sich darin. Es waren nicht besonders viele Menschen zu dieser Zeit unterwegs und die ganze Umgebung hatte etwas friedliches an sich. Die meisten saßen jetzt in ihren Häusern und Wohnungen unter dem Tannenbaum, umgeben von ihren Liebsten. Irina fragte sich, warum das gerade nicht auf Benni zutraf.„Musst du denn jetzt nicht eigentlich bei deiner Familie sein?", fragte sie leicht irritiert. Was für einen Grund sollte er denn auch dafür haben, seine Zeit lieber mit einer Hure, die er kaum kannte, zu verbringen?
Und das auch noch an Heiligabend?
„Da war ich schon", sagte Benni grinsend. „Es gab einen kleinen Streit mit meiner Freundin und... ach egal. Erzähl ich dir vielleicht später."
„Okay", antwortete Irina mit tausend Fragezeichen im Kopf, während sich in ihren Augen die Lichter des Luxushotels spiegelten, auf dessen Parkplatz Benni nun fuhr.
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Mädchen, mach die roten Lichter aus!
Ficção GeralBenjamin Kerber ist ein reicher, verwöhnter Luxusproll, dem andere Menschen augenscheinlich nicht besonders am Herzen liegen. Doch eines Tages tritt über ungewöhnliche Umstände die Prostituierte Irina in sein Leben und verändert plötzlich alles. Cov...