Der Luxus

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Berlin, im Dezember 2013

Benni reihte seinen auf Hochglanz polierten Audi zwischen all den anderen, fast schon lächerlich teuren Wagen, die auf dem Parkplatz des Luxushotels standen, in das er jetzt mit Irina gehen wollte, ein und betrachtete mit einem breiten Grinsen deren mehr als irritiertes Gesicht.

Die Lichter der weihnachtlichen Lichterketten, die man alles andere als sparsam um die Bäume herum drapiert hatte, spiegelten sich in ihren schönen Augen und einzelne Schneeflocken schmolzen auf ihren vollen Lippen, während sie einfach nur dastand und bewegungslos die Atmosphäre in sich aufsog und das überwältigend große Gebäude vor ihnen ansah.

Vom Parkplatz aus führte ein breiter, von Bäumen dicht gesäumter Weg, der durch die weihnachtliche Extrabeleuchtung hell angestrahlt wurde. Hin und wieder fanden sich aufwendig verzierte Laternen am Wegesrand, in denen echte Kerzen brannten. Vor dem Hotel stand ein großer Brunnen, der das Wasser in allen erdenklichen, spektakulären Formen in die Höhe schoss und dabei von einem Wechselspiel aus warmen Farmen wie rot, orange und gelb begleitet wurde.

Das Hotel selbst war in einem Halbkreis um den riesigen Brunnen herum erbaut worden und erstrahlte im reinsten Weiß. Vermutlich strich man es mehrmals im Jahr, damit die Fassade so strahlte, wie sie es tat. Viele der Zimmer auf den terassenförmig angeordneten Stockwerken hatten Balkone mit Geländern aus dunklem Holz, welche ebenfalls mit Lichterketten ausgestattet worden waren. All diese Lichter tanzten zusammen mit dem hellen Mond und den Sternen am Himmel auf dem Schnee und sorgten für eine Atmosphäre, deren Magie sich niemand entziehen konnte und sogar Benni pfiff leise anerkennend durch die Zähne und ein leichtes Grinsen zog sich erneut über sein Gesicht.

Er nahm sich eine Zigarette aus der versilberten Box, die in seinem Sakko steckte und zündete sie in aller Seelenruhe an. Als er die Zigarettenbox wieder wegsteckte, ließ er es sich nicht nehmen, kurz andächtig über den weichen, hochwertigen Stoff zu streichen, der sich genau so teuer anfühlte, wie er war, was sein Grinsen noch um einiges breiter werden ließ.

Er konnte es Irina nicht verübeln, dass sie jetzt hier stand, ohne wirklich zu wissen, was sie tun sollte. Immerhin hatte er sie am Heiligabend einfach so entführt. Zweitausend Euro hatte er an Ronny gezahlt, damit er mit einer Prostituierten in ein Luxushotel verschwinden konnte, in dem er mit ihr etwas vorhatte, von dem sie aktuell ja noch gar nichts ahnte.

Benni nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, scharrte mit seinem belackschuhten Fuß ein wenig durch den Schnee, sah Irina an und schüttelte leicht und für andere kaum zu erkennen den Kopf über sich selbst.

Heute war Heiligabend.
Der ultimative Tag, um das Fest der Liebe mit seinen Liebsten zu feiern.
Und wo stand er? Auf einem Parkplatz. Mit einer Prostituierten.

Hätte ihm jemand anderes die Situation, in der er sich gerade befand, geschildert und er würde nicht selbst gerade darin stecken, dann hätte er dieser Person wohl den Vogel gezeigt, sie gefragt ob sie noch ganz bei Trost war und wissen gewollt, was zur Hölle diese Scheiße eigentlich sollte. Warum er nicht bei seiner Familie war und den Braten seiner Mutter in sich hineinstopfte, warum er nicht mit seinem Vater den ekelhaft süßen Eierpunsch herunterkippte, warum er nicht mit seiner Freundin im Arm auf dem Sofa saß und mit dämlich verliebt-verträumtem Blick in den Kamin starrte.
Diese Fragen würde er wahrscheinlich jemand anderem stellen, der ihm von diesem Moment berichten würde.
Doch diese Fragen stellte er sich selbst nicht. Weil das, was er hier tat, für ihn selbst absolut Sinn machte.

Benni hatte sich verändert. Das merkten nicht nur die Personen um ihn herum, das merkte er so langsam sogar selbst.
Natürlich war er noch immer luxusversessen und liebte die schönen Dinge des Lebens. Dieser Umstand würde sich so lange er lebte auch sicherlich niemals ändern. Aber er ging einfach anders damit um. Schon vor einigen Wochen hatte er sich immer öfter Gedanken darum gemacht und sich selbst gesagt, was für ein Glück er im Leben hatte und dass es absolut nicht selbstverständlich war, dass er das hatte, was er eben hatte.
Und dass er so langsam zu dieser inneren Einstellung kam, begann ihm allmählich zu gefallen.
Er hatte sich jedoch noch nicht so wirklich entscheiden können, ob er diese neuen Erkenntnisse für alle offensichtlich nach außen tragen wollte.

Mit Plan B ging es so langsam richtig los, sie wurden bekannter, hatten größere Auftritte und die Mädels, die in den Clubs auf seinen Schoß hüpfen wollten, wurden mehr und mehr. Er hatte diesen Charakter entwickelt, diesen geldgeilen Proll. Und in dieser Rolle gefiel er sich, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im privaten Bereich.
Er fragte sich, ob er immernoch dieser absolut geile Luxusproll war, wenn er sich dem Wert seiner Besitztümer bewusster war als früher, oder ob ihn das dann irgendwie uncooler machte.

Seine Kippe neigte sich dem Ende zu und Benni ließ sie vor sich in den Schnee fallen. Er sah zu, wie die Glut immer schwächer wurde und schließlich erstarb.
Wie er seine Veränderung einordnen sollte wusste er noch nicht und wahrscheinlich würde es auch noch eine ganze Weile dauern, vielleicht war es auch sein Lebensprojekt, zu einer finalen Meinung zu kommen und vielleicht würde er auch in diesem Leben überhaupt keine vollständige Klarheit darüber bekommen, doch das alles zählte jetzt in dem Moment auch eigentlich gar nicht.

Was zählte war, dass er Irina, die es in ihrem Leben noch nie leicht gehabt hatte, einmal einen schönen Weihnachtsabend bescheren wollte und dass ihn der bloße Gedanke daran glücklicher machte, als die ganzen Stunden, die er vorhin bei seiner Familie unter dem Weihnachtsbaum verbracht hatte.

Mittlerweile hatte sich der irritierte Blick in Irinas Gesicht in ein leichtes Lächeln verwandelt und während Benni sie so stumm betrachtete, wäre fast ein lautes Lachen aus ihm herausgebrochen, das er sich gerade so noch verkneifen konnte.

So war das manchmal bei ihm. Wenn er nicht wusste, wie er reagieren sollte, dann lachte er hin und wieder einfach los, auch wenn gerade absolut nichts lustig war. Das war nun mal seine Reaktion auf alles, mit dem er im ersten Moment nicht umzugehen wusste.
Früher in der Schule, wenn er wider Erwarten eine Eins kassiert hatte, ohne auch nur das kleinste Bisschen etwas dafür zu lernen, war das ja noch okay. Aber als ihm seine Mutter eines Tages eröffnete, dass sein Onkel bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war... nun, da war sein hysterischer Lachanfall nicht so angebracht gewesen.

Benni kicherte heiser in sich hinein und schüttelte erneut den Kopf, um das Chaos an Gedanken, das gerade in seinem Kopf herrschte, zu vertreiben.
Während er darüber nachdachte, dass er noch vor einigen Monaten, bevor er Irina getroffen hatte, nie über sowas nachgedacht hatte, wollte sich ein erneuter Lachanfall an die Oberfläche bahnen. Jetzt machte er sich Gedanken über die ungerechte Verteilung von Geld auf dieser Welt, über Hunger, über Krankheiten, über Chancen und Prostituierte und irgendwelche Sozialfälle in irgendwelchen Ländern, wo er früher einfach nur in Ruhe sein Leben gechillt hatte und sich Gedanken über den nächsten Urlaub oder den nächsten Audi oder die nächste Rolex gemacht hatte.

Und obwohl ihn das alles auf eine Art schon sehr verwirrte und diese neuen Gedanken fast schon an den Grundfesten seiner Persönlichkeit rüttelten, gefiel es ihm.

„Okay, ich denke du hast jetzt genug von dem Hotel gesehen, oder?", fragte Benni und trat einen Schritt näher an Irina heran. Diese zuckte leicht zusammen und sah ihn an, mit einem Blick, den er nicht so richtig zu deuten wusste.
„Also ich meine, von außen genug gesehen. Ich fahr dich ja nicht ne halbe Ewigkeit durch die Gegend, damit wir uns den Schuppen hier nur vom Parkplatz aus anglotzen."
„Gut", sagte Irina nur.

Diese konnte sich noch immer absolut keinen Reim darauf machen, was sie hier sollte. Warum hatte Benni zweitausend Euro an Ronny abgedrückt, damit er sie hierhin mitnehmen konnte?
So wie sie Benni kennengelernt hatte, bei ihren Gesprächen und an dem Abend, an dem sie zusammen auf dem Weihnachtsmarkt waren und er ihr diesen wunderschönen Mantel gekauft hatte den sie gerade trug, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er sie jetzt an Heiligabend gebucht hatte, bloß um doch mit ihr zu schlafen.
Er hatte sich über all die Wochen, in denen sie jetzt diese Freundschaft (oder wie auch immer man das nennen sollte, was da zwischen ihnen ablief) führten, nie sexuell interessiert gezeigt, wenn man von dem missglückten Versuch bei ihrer allerersten Begegung mal großzügig absah.
Warum sollte er sie also jetzt wollen? Das machte doch alles keinen Sinn.

Benni setzte sich in Bewegung, wieder mit diesem leichten Grinsen im Gesicht. Was brachte ihn so zum Grinsen? Irina hatte schon viele Thriller und Horrorfilme mit irren Triebtätern gesehen und mit viel Fantasie glich sich Bennis Gesichtsausdruck sogar mit dem der Hauptprotagonisten in diesen Streifen, wenn sie ihr ahnungsloses Opfer ins Verderben führten.

Doch als sich die große Tür zur Eingangshalle des Hotels öffnete, waren diese abstrusen Gedanken wie weggeblasen. Direkt vor ihnen erstrahlte ein prunkvoll geschmückter Weihnachtsbaum und die Luft roch nach Nelken und Wärme, nach Zimt und Geborgenheit und Irina war sich sicher, egal was die nächsten Stunden bringen würden, würde schöner sein als alles was sie im vergangenen Jahr erlebt hatte.

Mädchen, mach die roten Lichter aus!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt