Das Geschenk

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Berlin, am Heiligabend 2013

Auch Benni lief beim Anblick des Festessens, das sich üppig vor den beiden erstreckte, das Wasser im Mund zusammen und unglaublicherweise knurrte von dem leckeren Geruch sogar sein Magen leicht, obwohl er sich wenige Stunden zuvor schon bei der Familienfeier im Haus seiner Eltern so dermaßen vollgestopft hatte, dass er später kaum noch hatte laufen können.

Beide nahmen sich einen Teller, luden ihn voll und setzten sich dann an einen kleinen Tisch direkt neben einem großen, bodentiefen Fenster, von dem aus man einen direkten Blick auf den Springbrunnen hatte, der auf Bennis Wunsch hin noch immer nicht abgeschaltet worden war, obwohl die Zeit mittlerweile deutlich vorangeschritten war und die Uhr schon weit nach zwei Uhr morgens anzeigte.

Fast schon gierig schnitt Benni sich ein riesengroßes Stück von seinem Braten ab und schlang es höchst zufrieden runter. Der Braten seiner Mutter (beziehungsweise der Braten von der Haushälterin Magda, den seine Mutter vor den Verwandten stets als den ihren ausgab) war eben immer noch der beste.
Eigentlich hatte die Planung für diesen Abend zunächst vorgesehen, dass Benni ein üppiges Menü bei dem Edelrestaurant, welches direkt an das Hotel angebunden war, orderte. Doch als er dann früher am Tag gesehen hatte, welche Massen an Festessen in der Wohnung seiner Eltern niemals von den Besuchern bewältigt werden konnten, hatte er eigenhändig das beste davon eingetuppert, bevor es später sowieso nur in den Müll wandern würde.

Genau diese Handlung war zugleich auch sein Glück gewesen und es war ihm dadurch gelungen, die Party früher zu verlassen, um sich hier mit Irina treffen zu können. Während er jede Menge Essen für zwei Personen in die nie benutzten Tupperdosen seiner Mutter gefüllt hatte, hatte Eva hinter ihm gestanden und konnte nicht fassen, dass er nach diesem endlosen Fressgelage, das er sich zuvor geliefert hatte, tatsächlich noch mehr für Zuhause mitnehmen wollte.
Eva machte kein Geheimnis daraus, dass sie Benni mittlerweile viel zu fett fand und dass er momentan alles andere als attraktiv für sie war. Wenn es nach ihr ginge, hätte er nach Heiligabend erst einmal fünf Tage Nulldiät einschieben müssen, ehe er wieder etwas essen dürfte, und in ihre Spinnerei hatte sie sich dann so dermaßen hineingesteigert, dass sie sich am Ende heulend auf der Toilette eingesperrt und Benni sein Elternhaus mit knallender Tür und vollen Tupperdosen verlassen hatte.
Sein Handy lag noch immer ausgeschaltet im Handschuhfach seines Audis und er wollte erst gar nicht daran denken, was für Nachrichten ihn darauf später erwarteten.

„Ihr hattet Streit?", fragte Irina zwischen zwei Bissen. Der nachdenkliche und zugleich leicht angenervte Blick von Benni sprach Bände.
„Ja, aber ist nicht so wichtig", antwortete er und bemühte sich sogleich um ein Lächeln. Er genoss die Situation gerade viel zu sehr. Er genoss es, dass er Irina sprachlos gemacht hatte, genoss all die unaussprechlichen Gefühle, die das Stück des Streichquartetts eben bei ihm ausgelöst hatten. Nie im Leben würde er sich das von seiner hysterischen Freundin, geschweige denn einem Gespräch über diese, kaputtmachen lassen.

„Was war denn eigentlich mit dir los, während die das Stück gespielt haben?", fragte er um das Thema zu wechseln und um gleichzeitig endlich diese Frage auszusprechen, die schon seit geraumer Zeit unbeantwortet in seinem Kopf herumspukte.
Irina schaute auf ihren Teller herunter, schluckte schwer, dann hob sie ihren Kopf und sah ihn mit einem leichten Lächeln an. „Ich weiß nicht, wo ich da anfangen soll."
Benni lehnte sich ein Stück zurück, um auf die massive Standuhr auf der anderen Seite des Raumes sehen zu können.
„Wir haben alle Zeit der Welt", sagte er.

Es war viertel vor drei, mitten in der Nacht. Eva müsste mittlerweile klar sein, dass er in dieser Nacht sehr spät, oder vielleicht auch gar nicht mehr zurückkommen würde. Er glaubte nicht, dass es in ihrer Wut, die sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt wahrscheinlich gerade verspürte, noch eine Steigerung gab. Völlig gleichgültig also, ob er nun in einer Stunde oder in vier zu ihr zurückkehrte.

Mädchen, mach die roten Lichter aus!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt