Der Zufall

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Benni warf noch einen letzten Blick auf den mehr als dürftigen Blumenstrauß, mit dem er sich bei Eva für den Streit vorhin entschuldigen wollte. Nicht nur für den Streit wollte er sich entschuldigen, sondern auch für seinen kleinen Abstecher im Puff. Aber das würde er ihr natürlich nicht sagen.
Nachdem er alle welken und kaputten Blüten aus dem Strauß gezupft hatte, war nicht mehr besonders viel davon übrig und ihm wurde klar, dass dieses armselige Etwas bei Weitem nicht reichen würde, um Eva zu besänftigen und sein schlechtes Gewissen zu beseitigen.

Er überlegte kurz, ob er ihn nicht einfach wegwerfen sollte, aber dann fand er, sie würde seine Mühe schon zu schätzen wissen. Auch, wenn er sie sonst regelrecht mit Geschenken überhäufte, kam es nur sehr selten vor, dass er ihr Blumen mitbrachte. Das hatte doch auch irgendwo etwas romantisches. So hoffte er es jedenfalls, denn manche von Evas Reaktionen auf Dinge, die er tat, kamen ihm nicht selten vor, wie eine andere Sprache.
Also schloss er nun die Tür auf und hoffte, dass dieses bisschen Strauß sie ein bisschen freuen würde.

Schon im Flur hörte er, dass Eva sich gerade Dirty Dancing anschaute. Also musste es mit ihrem Gemütszustand gerade sehr schlecht aussehen. Je mieser sie drauf war, umso mieser waren auch die kitschigen Filme, die sie sich anschaute. Und dieser Film gehörte seiner Meinung nach zu den miesesten Liebesfilmen, die er kannte. Da Eva in den letzten zwei oder zweieinhalb Jahren, die sie nun zusammen waren, ziemlich oft zickig war, kamen da nun so einige zusammen und er wusste nur beim Hören des Liedes, was da gerade lief, dass der Film vor Kurzem erst angefangen hatte.
Ebenso wusste er, dass er sich jetzt neben sie setzen musste, um diesen Film, der direkt aus der Hölle entsprungen war, mit ihr zusammen zu Ende zu sehen.

Er ging um die Ecke in sein großes Wohnzimmer und fand Eva dick eingepackt in einer flauschigen Decke, völlig verheult, und mit zwei leeren Pralinenpackungen auf dem Sofa vor.

„Na?", fragte er sie mit geballtem Einfallsreichtum.
„Was?", nuschelte sie leise in die schneeweiße Plüschdecke hinein.
Er setzte sich neben sie auf das Sofa und hielt ihr die paar Blümchen hin, während er sich richtig dämlich vorkam. „Äh... ich hab Blumen gekauft."
„Und?"
„Es tut mir... leid", murmelte er.
Eva nahm das Sträußchen an sich und betrachtete es sehr skeptisch. „Was genau?"
Er seufzte und streifte sich seine Schuhe ab. „Vorhin halt."
„Benni..."
„Dass ich gesagt hab, du sollst dir nen andern Kerl suchen und so. Weil, das sollst du nicht. Glaub ich. Also irgendwie... ach ich lieb dich ja schon und... sorry halt."

Eine andere Frau wäre an dieser Stelle wohl ausgerastet, aber Eva wusste, wie viel Mühe es Benni gekostet hatte, sich auf diese - wenn auch sehr unelegante Weise - zu entschuldigen.
„Ich soll also bei dir bleiben?", fragte sie.
„Ja", sagte er und schaute auf den Boden. Die Putzfrau hatte mal wieder nicht richtig gesaugt. Der würde er morgen direkt mal ein paar Takte erzählen.

Eva dachte kurz darüber nach, es damit gut sein zu lassen. Doch dann fiel ihr das Telefonat ein, das sie vorhin mit Timis Freundin Sophie geführt hatte. Timi hatte diese gestern nicht, wie versprochen, um vierzehn Uhr angerufen, sondern hatte es erst um sechzehn Uhr geschafft. Als Entschuldigung war er dann mit ihr heute den ganzen Tag in einem Spa gewesen.
Benni hatte heute fast mit ihr Schluss gemacht, da konnte sie im Vergleich keine drei Blumen als Entschuldigung akzeptieren. Da war eindeutig noch mehr für sie drin.

„Wir waren schon lange nicht mehr essen", sagte sie und legte ihren Kopf schief.
Benni seufzte. Das letzte Essen im Restaurant war gerade mal ein paar Tage her, aber hatte jetzt wirklich nicht die Nerven, sich auf eine Diskussion einzulassen. Eigentlich wollte er sich nur noch ins Bett legen und den heutigen Abend vergessen. Der Streit hatte seine Nerven gewaltig strapaziert und auch der Schock über seinen Ausrutscher, den er da gerade fast im Puff hatte, steckte ihm noch in den Knochen.
„Von mir aus", sagte er. „Mach dich fertig, dann gehen wir."

Eva grinste zufrieden und machte sich auf den Weg ins Badezimmer, aus dem sie erst eine geschlagene halbe Stunde später wieder herauskam. Währenddessen hatte Benni sich die Mühe gemacht, eine Vase aus der Vitrine zu suchen, um seinen Blumenstrauß - den Beweis der Schande - ins Wasser zu stellen.

Wenig später waren sie in einem Restaurant angekommen, das Eva sich ausgesucht hatte. Es war zur Abwechslung mal nicht ihr Lieblingsitaliener. Sie hatte dieses Restaurant von einer Bekannten empfohlen bekommen, die extrem von dem Essen dort geschwärmt hatte.
Als Benni einen Blick in die Karte warf, konnte er das nicht wirklich verstehen, denn die Preise lagen deutlich unter seinem Niveau.
Man hatte sich bei der Einrichtung von diesem Laden schon etwas Mühe gegeben. Überall standen Kerzen und Blumen herum und die Tische waren glänzend poliert und mit Tischdecken, die edel aussahen, ausgelegt. Sie sahen aber eben nur edel aus, waren es aber nicht wirklich, wie er an dem kratzigen Gefühl an seiner Hand erkannte.
Es sah zwar alles sehr gemütlich aus, aber hatte bei Weitem nicht die Klasse, die für ihn schon lange zum Standard geworden war.

„Ach Benni-Schatzi. Ich bin ja so froh, dass jetzt alles wieder gut ist", sagte Eva mit einem zuckersüßen Lächeln in ihrem überschminkten Gesicht.
„Mh", gab er von sich, während er die Karte studierte. Das teuerste Gericht hier kostete gerade einmal fünfzig Euro.

Als der Kellner kam, orderte er sich dann doch nur ein Steak für vierzig Euro und bestellte direkt die „teuerste" Flasche Wein dazu, die vorrätig war. Das würde ein sehr billiger Abend für ihn werden.
Eva bestätigte ihn in seinen Gedanken. „So richtig toll ist dieses Restaurant ja nicht. Ich glaube, das nächste Mal gehen wir doch wieder ins Reinstoff."

Während die beiden auf ihr unspektakuläres Mahl warteten, sah sich Benni ein wenig im Restaurant um. Ziemlich viele junge Leute, wahrscheinlich Studenten, saßen hier. Außerdem noch ein paar Normalos und Rentner. An einem Tisch blieb sein Blick hängen, und Benni erkannte nicht direkt, was seinen Blick dort festhielt.
Erst, als er ein zweites Mal wieder hinsah, erkannte er Sie. Da saß doch tatsächlich die Prostituierte von vorhin, zusammen mit der Empfangsdame des Bordells, an einem Tisch. Angezogen sah sie völlig anders aus, aber es waren ihre stechend blauen Augen, die er unter tausenden erkannt hätte.
Diese stechend blauen Augen, die ihn vorhin so verletzt angesehen hatten, als er hundert Euro vor sie geworfen hatte.
Es gab so viele Restaurants in Berlin. Warum musste diese Frau jetzt ausgerechnet in diesem hier sitzen, und ihn daran erinnern, was er fast getan hätte? Es waren schon sehr seltsame Zufälle, die das Leben manchmal so bereit hielt.

Er hoffte, dass sie ihn nicht erkennen würde. Aber selbst wenn, würde sie sich wohl kaum die Blöße geben, ihn auf sich aufmerksam zu machen, nachdem er so einen Abgang aufs Parkett gelegt hatte.
Er nahm sich noch einmal die Weinkarte und betrachtete Irina über den Rand von dieser hinweg.

Sie machte einen ziemlich glücklichen Eindruck und sah sich mit unversteckter Begeisterung im Restaurant um. Sie strahlte mindestens so sehr wie Eva, als er dieser im letzten Monat ein Armband geschenkt hatte, das ihn um zweitausend Euro erleichtert hatte.
Die Freude, die Irina ausstrahlte, schien so groß zu sein, dass er sie fast zu spüren glaubte. Dabei war dies doch nur ein total billiges Restaurant und bei Weitem nichts besonderes.
Er wendete seinen Blick ab und sah zu Eva rüber. Diese schaute sich gerade völlig gelangweilt ihre lackierten Nägel an und zeigte sich absolut unbeeindruckt.

Er hatte schon ziemlich viel Glück im Leben gehabt, fand er. Wie würde sein Leben wohl heute aussehen, wenn er das nicht gehabt hätte? Wenn für ihn ein Besuch hier das Größte wäre, was er seit Langem erlebt hätte? Darüber wollte er jetzt gar nicht nachdenken.




Mädchen, mach die roten Lichter aus!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt