Kapitel Vier - Das Leben und Olympia nehmen sich nicht viel.

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In mir drehte sich alles. Wie lange hatte ich geschlafen? Mein Schädel brummte und in mir kam wieder das Gefühl von Niedergeschlagenheit auf. Gleichzeitig war ich verwirrt. Warum rief Diana jetzt an? Mitten in der Nacht. Vermutlich würde ich es nur herausfinden, wenn ich mich jetzt endlich mal zusammenreißen würde und ans Telefon ging. Langsam setzte ich mich aufrecht hin und klopfte mir mit den flachen Handflächen gegen die Wangen. Eine gefühlte Ewigkeit später griff ich nach dem Handy und betätigte ohne weiter zu überlegen den grünen Hörer. Ich musste ausgesehen haben wie ein Olympiateilnehmer in der Aufwärmphase... und auf der Suche nach seiner Olympiadisziplin. Worin war ich denn gut? Im Schauspiel? Ansichtssache. In der Musik? Geschmackssache. Vielleicht war auch das ganze Leben ein großes Olympiastadion, in dem wir uns immer wieder in neuen Disziplinen beweisen mussten. Meine nächste Hürde war wohl, mir Klarheit über alles zu verschaffen. Super, da hatte ich wieder einen grausam philosophischen Gedanken für das nächste Interview. Ein leises Schniefen holte mich zurück aus meiner Gedankenwelt. "Diana?" ich erschrak vor meiner eigenen Stimme, die sich anhört, als wäre ich jahrelanger Kettenraucher und noch dazu extrem betrunken. Na gut, etwas Alkohol hatte ich wohl noch Intus. "Flo? Was ist mit deinem Drehbuch? München, Köln, irgendein Dorf? Ich muss hier raus." Diana schien diese Uhrzeit wie für geschaffen um zu Telefonieren zu halten. Wie selbstverständlich plapperte sie los und erneut merkte ich, wie mir das gefehlt hatte. Doch sie klang diesmal anders. Ich kannte sie, wenn sie geweint hatte. Oft genug waren bei Doctor's Diary Tränen geflossen - wenn auch nur gespielte. Ihre Stimme klang so nasal. Warum hatte sie geweint? "Hey..." Viel mehr fiel mir im Moment nicht ein, um Diana zu beruhigen. Großartig. "Was ist denn überhaupt los?" hängte ich noch an, damit es nicht ganz so komisch wirkte. Doch Diana ging gar nicht drauf ein. "Hast du morgen Zeit? Dann können wir mal über dein Drehbuch sprechen. Ab 11 kannst du..." Es knackte kurz in der Leitung und plötzlich konnte ich Diana kaum noch verstehen. Als sie vermutlich kurz nichts sagte, versuchte ich die Situation ganz kurz zu schildern und sagte dann zu. Es hatte ja doch keinen Sinn. Ich legte einfach auf. Sollte ich wirklich nach Berlin fahren? Diana wohnte etwas außerhalb und ein wenig Abstand würde mir bestimmt gut tun. Jedoch wollte ich Arne nicht unbedingt begegnen. Er hatte mich damals schon immer angeglotzt, wenn ich irgendwelche intimen Szenen mit Diana hatte drehen müssen. Wenn Blicke töten könnten, dann müsste ich mich jetzt nicht mehr mit einem konfusen Leben herumschlagen. Vielleicht sollte das alles meine neue olympische Disziplin werden. Langsam musste ich mein Leben mal wieder in den Griff bekommen. Ich könnte ja noch einen Ostseeurlaub an den Besuch bei Diana anhängen. Um den Gedanken nicht sofort wieder zu verwerfen, setzte ich mich an meinen Esstisch, vor mir mein Laptop. Während er hochfuhr, nahm ich mir mein Handy und schrieb eine Nachricht an Diana. "Bis morgen. :)" Jetzt gab es kein Zurück mehr. Während ich den Flug nach Berlin, ein Zugticket von dort nach Rostock und ein Pensionszimmer mit Meeresblick heraussuchte, war der weiße Bildschirm des Laptops die einzige Lichtquelle in der ganzen Wohnung. Es musste ziemlich unheimlich ausgesehen haben, wie ich hier saß und wortwörtlich in einer Nacht- und Nebelaktion einen Urlaub buchte. Schlussendlich war es dann schon 6 Uhr. Viel zu spät um überhaupt noch schlafen zu gehen. Unvorsichtig riss ich meine Schranktüren auf, stellte meinen offenen Koffer darunter und schob all meine Klamotten mit beiden Armen aus dem Kleiderschrank. An die Seite steckte ich Elmos Lieblingsplüschtier, den ich übrigens bei meinen Eltern geparkt hatte. Hier im Stadtzentrum hatte er einfach nichts zu suchen, doch ich ergriff jede Möglichkeit ihn zu sehen. Ich packte noch ein paar Sachen ein, von denen ich glaubte, ich könnte sie irgendwann gebrauchen. Die letzten Minuten bevor ich losmusste, verteilte ich noch einige Nachrichten an meine Familie und die wenigen Freunde, die ich hatte. Kaum jemand antwortete mir um diese Uhrzeit schon, nur eine. Meine Schwester schrieb: "Siehst auch echt schlecht aus, Bruderherz. Erhol dich gut." Na toll. Dass ich scheiße aussah wusste ich selbst. Und eines wusste ich noch: Ich würde mich erholen. Ich würde als ganz neuer Mensch zurückkehren und nochmal von vorne anfangen. Und ich würde ganz neu lernen, was es hieß berühmt zu sein. Verkriechen konntr ich mich ja schlecht. Den ersten Schritt konnte ich heute schon machen. Am Flughafen angekommen, deckte ich mich mit ein paar Zeitungen ein. Die Leute vom Check-In machten glücklicherweise keine Probleme, obwohl das Buchen sonst immer bei meiner Agentin gelegen hatte. Auf dem Weg ins Flugzeug dachte ich noch weiter darüber nach, wie es wäre ein ganz privates und persönliches Leben ohne Manager und Agentin zu führen. Jedoch kam ich zu keinem Ergebnis und ließ mich erleichtert, aber auch etwas ängstlich auf den Sitz in der ersten Klasse fallen. Ich schrieb Diana noch kurz, dass ich in 1½ Stunden am Berliner Flughafen ankommen würde. Dann schaltete ich das Handy aus und würde es für die nächste Zeit wohl auch erstmal nicht wieder einschalten. Ich ließ meinen Blick durch das kleine Fenster nach draußen schweifen. Langsam setzte sich die Maschine in Bewegung und positionierte sich auf der Startbahn. Das Dröhnen der Turbinen wurde immer lauter und das Flugzeug immer schneller, bis es mitsamt aller Passagiere abhob.
Auf in ein neues Leben mit neuen olympischen Disziplinen, die ich hoffentlich meistern würde.

Soll ich mal pusten? (Florian David Fitz FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt