Prolog

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Er verlässt den Nachtclub. Alleine. Die Straßen sind leer und abgesehen von der Musik, die gedämpft durch die schwere Tür des Clubs dröhnt, herrscht angenehme Stille.

„Andrew!"

Er dreht sich um, lässt seinen Blick suchend durch die Dunkelheit wandern, bis er das Mädchen entdeckt, das neben dem Eingang lehnt. Sie trägt einen kurzen Lederrock und viel zu viel dunkles Makeup, das ihre Augen riesig und die ohnehin schon blasse Haut fast weiß erscheinen lässt.

„Was willst du?", fragt er unwirsch.

Er ist müde und sein Körper sehnt sich nach Ruhe. Alles was er möchte, nach diesem anstrengenden und lauten Tag, ist eine kurze Pause vom oberflächlichen und trivialen Nachtleben, das an seinen Nerven zerrt und ihm kontinuierlich Energie und Kraft raubt.

Sie wirft den Kopf in den Nacken und lässt ein rauchiges Lachen hören: „Ich will mit dir nach Hause gehen."

„Ich nehme niemals Frauen mit zu mir."

Es ist keine Erklärung und auch keine Entschuldigung – es ist eine Tatsache, an der es nichts zu verhandeln gibt. Noch nie hat eine Frau auch nur einen Fuß in seine Wohnung gesetzt und das ist gut so.

Sie stößt sich von der Wand ab und kommt auf ihn zu, scheint nicht zu verstehen, dass er es ernst meint: „Ach komm schon, Andrew. Du bist so unglaublich heiß und ich bin einfach nur scharf auf dich – was hast du zu verlieren?"

Er ballt die Hände zu Fäusten um das wütende Zittern seiner Finger zu verbergen. Warum hört sie nicht auf zu reden? Sie kennt ihn nicht, weiß nichts über ihn. Außerdem ist sie betrunken und an ihrer Oberlippe schimmert immer noch das weiße Koks, dass sie sich die ganze Nacht über immer wieder auf ihr Zahnfleisch gerieben hat.

„Lass mich in Ruhe, Courtney."

„Ich heißte Cailey, du Wichser!", schreit sie und streckt ihren Mittelfinger in einer obszönen Geste nach oben.

Betont gleichgültig zuckt er mit den Schultern und wendet sich wieder zum Gehen, um seinen Heimweg fortzusetzen. Hinter sich hört er sie mit schriller Stimme schimpfen und er muss sich ein hämisches Grinsen verkneifen, denn natürlich weiß er, dass sie Cailey heißt und heute Abend ist nicht der erste, an dem sie sich ihm an den Hals wirft. Und wie jedes Mal muss er sie und auch andere Frauen abwimmeln. Er kann ihre Annäherungs- und Flirtversuche nur bis zu einem gewissen Maß ertragen und das ist jetzt voll.

Andrew beschleunigt seine Schritte, vergräbt die Hände tief in den Taschen seiner Jeans und zieht den Kopf zwischen die Schultern. Für heute hat er genug von all den nichtssagenden und bedeutungslosen Gesichtern, die sich immer wieder versuchen in sein Leben zu drängen – alles was er will, ist ein kleines bisschen Ruhe. Eine kurze Pause, bevor ein neuer belangloser Tag in diesem Leben beginnt.

Erst als die Tür endlich hinter ihm ins Schloss fällt, kann Andrew durchatmen und sich zumindest für kurze Zeit entspannen. Er seufzt erleichtert, reibt sich müde übers Gesicht und macht sich auf den Weg in sein Badezimmer. Es gibt ohnehin niemanden, der auf ihn warten würde und so ist das einzige Licht, das er einschaltet die grelle Lampe über dem Waschbecken, die nach wenigen Augenblicken surrend und flackernd zum Leben erwacht. Blutunterlaufene blaue Augen starren ihn ausdruckslos unter dunklen Wimpern an und er fragt sich zum wiederholten Mal, was all Courtneys und Caileys dieser Welt wohl an ihm finden. Würden sie die tiefen Abgründe seiner Seele und die hässlichen Geister seiner Vergangenheit kennen – könnten sie nur hinter diese Fassade blicken – würden sie schneller die Flucht ergreifen, als ihre dünnen Beinchen sie auf ihren wackeligen hohen Schuhen tragen könnten.

Doch sein Geheimnis ist genau dort, wo er es haben will – gut behütet und für immer unausgesprochen und es gibt Niemanden hier in dieser Stadt, der auch nur annähernd ahnt welch dunkle Abgründe in seinem Inneren schlummern.

Sugarlove - Verborgene LeidenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt