Die nächsten Wochen vergingen schnell und ohne weitere Zwischenfälle. Ich hatte somit die Möglichkeit, vollkommen bei Blacktronic anzukommen. Adam und ich sprachen sehr wenig miteinander. Es war fast, als wüssten wir nicht, wie mir miteinander umgehen sollten und Angst hätten eine Grenze zu überqueren. Adam benahm sich distanziert wie in meiner ersten Woche, aber er war immer zuvorkommend und höflich. Vor allem bei Außenterminen, bei denen ich ihn begleitete. Er richtete meinen Stuhl, half mir aus meiner Jacke, stand vom Tisch auf, wenn ich aufstand und so weiter und so fort.
Als Nick zwei Wochen nach dem Zusammentreffen mit William morgens auf mich zu gerannt kam, hatte ich ein kleines Déjà-vu. Dieses Mal bekam er allerdings seinen Kakao, was ihn sichtlich freute. Ich weiß nicht, was ihm erzählt wurde, warum ich vor zwei Wochen nicht mehr in die Küche zurückgekommen war, aber ich fragte auch nicht nach, um die Geschichte nicht zu ruinieren. Dennoch sah ich Nick an, dass er irgendwas vermutet hatte, aber da er mich gesund und munter und vor allem mit verheilten, kaum sichtbaren Verletzungen gesehen hatte, war er beruhigt.
Ich hatte sogar das Gefühl, dass von Adam eine große Last abgefallen war, als er mich eines Morgens ohne das störende Pflaster gesehen hatte. Seine Augen waren Tag für Tag immer wieder zu dem Pflaster an meinem Hals gewandert. An dem Tag, als ich das erste Mal ohne Pflaster zur Arbeit kam, war er nähergekommen und hatte die Wunde genau begutachtet. Als er gesehen hatte, dass alles gut verheilt war, strich er einmal kurz mit der Fingerspitze drüber und ging wortlos in sein Büro. Mich ließ er verstört und mit Gänsehaut am ganzen Körper zurück. Mein Herz raste immer wieder, wenn ich an diesen Moment zurückdachte. Das war unsere erste Berührung seit dem Vorfall gewesen. Ihn schien das alles nicht weiter zu beeinflussen, also tippte ich darauf, dass er doch nichts weiter in seine Handlungen und Worte reingepackt hatte. Zumindest nicht das, was mir hin und wieder durch den Kopf gegangen war. Da ich nicht weiter darauf eingehen wollte, schob ich die Gedanken, wann immer sie kamen, so schnell es ging beiseite, und kümmerte mich um meine Arbeit, von der es mehr als genug gab.
Anrufe hier, Telefonate da, Geschäftsessen, Meetings, noch mehr Meetings, Termine vereinbaren, Emails, Briefe. All das bestimmte mein neues Leben. Damit war ich aber voll und ganz zufrieden. Ich lebte mehr oder weniger für meine Arbeit. Der Einzige, der noch mehr arbeitete als ich, war Adam. Sowohl ein IT-, als auch ein neues Unternehmensprojekt standen vor der Tür und sollten noch vor bzw. kurz nach Thanksgiving, das nächste Woche Donnerstag war, abgeschlossen werden. Adam hatte für den Freitag nach Thanksgiving im ganzen Unternehmen Betriebsferien angekündigt, damit alle Mitarbeiter ein verlängertes Wochenende mit Familie und Freunden verbringen konnten. Wahrscheinlich gab es viele, die den Black Friday voll und ganz ausnutzen wollten – mit all seinen Sonderangeboten.
Ich dachte immer wieder, dass Adam einen Teil der Arbeit abgeben müsste. Ich habe auch schon Patrick auf ihn einreden hören, dass Adam nicht immer so weitermachen könne, dass er sich mal zurücknehmen müsse, aber Adam hatte den Einwand weggewischt und gesagt das würde sich beruhigen, wenn beide Projekte unter Dach und Fach waren. Doch manchmal kam nun einmal das Leben dazwischen.
Patrick und mir war aufgefallen, dass Adam sich öfters über die Stirn oder die Augen rieb. Ich hatte ihn auch vor zwei Tagen eine Tablette nehmen sehen, wusste aber nicht wofür oder wogegen sie gewesen war. Da dieser Zustand schon über eine Woche andauerte, machte ich mir mittlerweile ziemliche Sorgen.
„April." ertönte Adams Stimme eines späten Nachmittags aus der Gegensprechanlage an meinem Schreibtisch. „Ja?"
„Könnte ich noch einen Tee haben?", fragte Adam. Seine Stimme klang kratzig und ich hatte ihn den Tag über schon immer wieder seinen Hals reiben sehen. Dieser Mann wollte es wohl darauf anlegen, ging es mir durch den Kopf. Ich ließ mich jedoch nichts anmerken.
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Reichst du mir deine Hand
Romance„Wenn du dich hier wohlfühlst, warum zum Henker willst du dann kündigen?" „Ich will nicht, ich muss. Ich werde alles, was mich umgibt mit mir runterreißen. Das kann ich dir und deiner Firma nicht antun." „Dumme Ausreden. Nenn mir einen Grund, waru...