Gähnend streckte ich mich. Es war sechs Uhr früh, Montag. Heute würde ich das Probearbeiten antreten und konnte somit vielleicht endlich einen Beruf ergattern, den ich länger halten konnte als die anderen zuvor.
Ich stand auf und stieg unter die Dusche. Das niederprasselnde, warme Wasser ließ mich langsam wach werden. Nach dem Abtrocknen, Haare Föhnen und Anziehen, betrachtete ich mich im Spiegel.
Im Großen und Ganzen war ich mit meinem Körper zufrieden. Ich war zwar nur 1,67 m groß, aber damit konnte ich leben. Meine langen braunen Haare fielen in leichten Locken über meine Schultern. Wenn das Licht günstig stand, hatten sie hin und wieder einen kupfernen Stich. Das war etwas außergewöhnlich, aber um das noch zu übertreffen, hatte ich unterschiedliche Augenfarben. Es fiel nie sofort auf, aber mein linkes Auge war grün, mein rechtes aber mehr blau als grün. Ich fand es interessant und in manchen Ländern auf der Welt bedeutete dies sogar Glück. Ich war normal gebaut. Nicht zu dünn, aber auch nicht dick. Durchschnitt halt. Nur meine Haare und die Augen waren besonders. Nicht mal meine Haut war besonders hell, weich, gut gebräunt oder sowas. Aber musste man immer in allem etwas Besonderes haben? Meiner Meinung nach, nicht. Ich war froh, wenn mich die Außenwelt nicht wahrnahm und ich unbemerkt durch die Menschenmenge laufen konnte, ohne dass sich jemand nach mir umdrehte.
Ich band meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und ging in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Ein Fan von Kaffee war ich noch nie gewesen. Ich war immer schon Teil des Tee-Teams und würde es wohl auch immer bleiben.
An der Arbeitsplatte lehnend, stand ich in meiner Küche und trank meinen Tee. Es war 6:54 Uhr. Ich musste mich bald auf den Weg machen. Leider musste ich gefühlt einmal quer durch die Stadt mit der U-Bahn und das dauerte seine Zeit. Ich stellte die leere Tasse in die Spüle, schmiss den Teebeutel von meinem English Breakfast Tea in den Mülleimer, schnappte mir meine Handtasche inklusive Handy, Schlüssel und Co. und machte mich auf dem Weg zur U-Bahn-Station. Um 7:45 betrat ich den Blacktower.
Mister Black wollte das Schwarz, das irgendwie zum Markenzeichen seiner Firma wurde, wohl auch in seinem Unternehmensgebäude widerspiegeln. Die Frontseite des Hochhauses bestand aus abgedunkeltem Glas, sodass man nicht hineinschauen konnte. Auch im Tower selbst fand man durchgehend schwarze Elemente. Der Boden war weiß, ich tippte auf Marmor, aber die Rezeption war schwarz. An den Wänden hingen in jeder Etage Schwarzweißaufnahmen. Es hatte Stil, das musste man Mister Black schon lassen.
Trotz dessen, dass ich letzte Woche schon einmal hier gewesen war, wurde ich wieder komplett umgehauen, als ich den Eingangsbereich betrat. Ich war so fasziniert, dass ich zu spät mitbekam, wie ein kleiner Junge in meine Richtung lief, aber nach hinten schaute. Bevor ich ausweichen konnte, lief er in mich hinein und riss er mich mit erstaunlich viel Kraft zu Boden.
Ich landete unsanft auf meinem Hinterteil und fing den Jungen dabei auf. Die Augen kurz zukneifend und kopfschüttelnd, um wieder Orientierung zu erhalten, fragte ich. „Huch. Alles gut bei dir?" Ich schaute zu dem Jungen, der mir mit großen Augen entgegenblickte.
„Es – es tut mir leid Ma'am", stammelte er. „Ich vergebe dir, wenn du mich nie wieder Ma'am nennst. So alt bin ich nun auch wieder nicht", neckte ich ihn. Er schien erst verarbeiten zu müssen, dass ich ihm nicht böse war und nickte daraufhin heftig. Auf seinem Gesicht bildete sich ein Grinsen. Die rotblonden Haare fielen ihm durch die starke Bewegung ins Gesicht und die dunkeln Augen funkelten. „Natürlich Miss-"
„April", unterbrach ich ihn. „Einfach nur April." Wenn möglich wurde sein Grinsen noch breiter. „Okay. Es tut mir leid, April", sagte er ehrlich schuldbewusst und stand auf. Gentlemanlike hielt er mir seine kleine Hand hin, die ich ergriff. Er half mir auf, aber anstatt mich hinzustellen, hockte ich mich hin, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. „Wie heißt du?", fragte ich.
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Reichst du mir deine Hand
Storie d'amore„Wenn du dich hier wohlfühlst, warum zum Henker willst du dann kündigen?" „Ich will nicht, ich muss. Ich werde alles, was mich umgibt mit mir runterreißen. Das kann ich dir und deiner Firma nicht antun." „Dumme Ausreden. Nenn mir einen Grund, waru...