Zeit

1.8K 49 2
                                    

Der Samstag kam schneller als gedacht und noch ehe ich Begriff, das meine erste Woche schon vorbei war, saß ich schon auf der Mauer draußen, Fellball auf meinem Schoß, und wartete auf meine Familie.
Die Sonne brach den langsam verschwindenden Nebel in helle Strahlen und der aufklarende Himmel versprach einen schönen Tag.
Fellball schnurrte leise und schleckte mit ihrer rauen, warmen Zunge über meinen Handrücken. Mit meiner freien Hand spielte ich mit ihren Ohren, die genervt zuckten.
Ein herannahendes Auto schreckte das Kätzchen auf. Ein Lächeln verzog meine Mundwinkel. Dieses Auto kannte ich. Vorsichtig nahm ich Fellball auf den Arm und lief zum Parkplatz. Fast gleichzeitig wie ich kam unser Auto an. Die erste, die heraussprang, war Jana. Wie ein Blitz sauste sie auf mich zu. Lachend fiel sie mir um den Hals und ich musste sehr aufpassen, dass sie Fellball nicht zerquetschte.
"Wie süüüüß!", quietschte Jana auch schon. "Wo hast du die den her? Darf ich auch mal halten?"
Grinsend hob ich ihr Fellball entgegen.
"Sie wohnt hier irgendwo. Ist mir zugelaufen." Ich zuckte mit den Schultern.
Begeistert strich Jana Fellball über den Kopf, aber Fellball wollte nicht auf Janas Arm bleiben. Sie wand sich, bis Jana sie notgedrungen runterließ. Schneller als ich schauen konnte, verschwand sie im Wald hinter der Wiese.
Auch meine Eltern erreichten uns nun endlich. Nacheinander nahmen sie mich fest in die Arme.
"Hey, und Lynn, wie geht es dir?", fragte Mama sofort.
"Wunderbar. Alles ist gut", beruhigte ich sie.
Papa hiefte währenddessen meinen Koffer aus dem Kofferraum. Jana zog pflichtbewusst noch einen Wäschekorb mit Spielen und sonstigem Krimskrams von der Rückbank, Mama drückte mir eine Kiste mit Knabberzeug in die Hand und schnappte sich selbst noch eine große Tasche mit Büchern und Winderkleidung.
"Ist das jetzt alles?" Papa sah ins Auto und schloss ab.
Puh, ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich so viele Sachen eingepackt hatte.
Vorsichtig dirigierte ich meine Familie durch den Hof, bemüht, nichts fallen zu lassen.
Jana blieb ganz dicht bei mir.
"Hier wohnst du jetzt also?", fragte sie neugierig.
"Jup. Gefällts dir?"
"Hmmm. Ja, ganz hübsch. Aber jetzt ist es so einsam Zuhause." Ihre Stimme klang plötzlich wehmütig und sehnsuchtsvoll.
"Du weißt, dass ich gehen musste."
Eine Bewegung links vom Eingang lenkte mich ab. Unauffällig sah ich hinüber.
Lucas. Und wer hät's gedacht? Er war dabei, einer neuen Blondine mit der Zunge die Zähne zu putzen.
Ich empfand so einen Ekel. Und Wut.
Warum Wut?
Ich sollte nicht wütend sein. Es ging mich nichts an. Es sollte mir einfach egal sein!
Es ist mir egal, es ist mir egal, wiederholte ich mein Mantra.
"Wer ist das?", fragte Jana und sah ebenfalls hinüber. So viel zu unauffällig. 
Ich zuckte mit den Schultern. "Lucas."
"Du stehst auf ihn?", irgendwie hörte es sich nicht wirklich wie eine Frage an.
"Er ist ein Idiot." Wir bogen um eine Ecke und endlich konnte ich den Blick abwenden.
Jana sah mich scharf an. "Das war keine Antwort."
"Warum sollte ich auf einen Deppen stehen?"
"Weil er heiß ist", konterte Jana.
Da war was dran. Aber trotzdem: SEINE Gehirngröße konnte nicht mal sein Aussehen ausgleichen.
"Nein. Ich stehe nicht auf ihn", entschied ich und wollte  mich selbst genauso überzeugen wie Jana.
"Aber egal ist er dir auch nicht."
Wir erreichten mein Zimmer und ich lenkte Jana schnell ab, indem ich ihr die Einrichtung und die Aussicht zeigte.
"Woooow", murmelte Jana, während sie sich auf mein Bett fallen ließ. Ich stellte mein Gepäck ab, bot meinen Eltern, die mittlerweile eingetroffen waren, die Stühle an, und legte mich dann neben meine Schwester.
Vertrauensvoll schmiegte sie sich in meinen Arm und ich fühlte mich wie früher, als wir noch Kinder und unsere Welt heil war, und ich drückte Jana noch enger an mich, als könnte ich mit ihr die Zeit festhalten.

Just another BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt