Wir waren zu sechzehnt, als wir den Weg zur Lichtung einschlugen.
Weg Richtung Leben.
Es war kaum einen Kilometer weit zum Leben. Dort packten wir Wasserkocher und Spaghetti aus, Su stellte Boxen auf und ließ Musik laufen. Plötzlich herrschte Partystimmung auf der Lichtung.
Wir waren neun Mädchen und sieben Jungs, ich kannte alle nur flüchtig. Es roch nach Tomatensoße und Chips. Noch bevor das Wasser kochte, flogen Gummibärchen durch die Luft, Schokoladentafeln wurden ausgepackt, Getränke geöffnet, erste Bierflaschen geleert. Ein blonder Typ, den ich schon in meinem Englischkurs gesehen hatte, bot mir sein Bier an, als er sah, dass ich leer ausgegangen war. Ich lehnte dankend ab.
Ich hasste Bier.
Ich hasste Alkohol.
Ich wollte die volle Kontrolle über mich behalten.
Der Blonde mit den freundlich lachenden Augen stellte seine Flasche zur Seite und setzte sich neben mich ins Gras.
“Du bist das erste Mal dabei, oder?“
Ich lachte. “Es ist überhaupt mein erster Samstag hier.“
“Ach stimmt ja. Wahnsinn. Mir kommt es schon so vor, als wärst du schon ewig bei uns.“
“Ist das jetzt gut oder schlecht?“ Ich wollte nicht flirten, aber er war einfach so nett.
Sein Lachen hatte etwas ansteckendes. “Natürlich ist das gut. Nichts im deinem Zusammenhang könnte je schlecht sein.“ Jetzt neckte er mich.
Ich wusste nicht einmal, wie er hieß.
“Hey, und, wie gefällt's dir?“ Cat ließ sich auf meine andere Seite fallen. “Die Nudeln sollten bald fertig sein.“
Ich grinste. “Es ist super. Dank guter Unterhaltung“, ich deutete auf meinen neuen Freund.
Der senkte gespielt geschmeichelt den Kopf und sagte huldvoll: “Ich bemühe mich, unser Beisammensein aufs Würdigste zu präsentieren.“
“Na, da hast du ja den Richtigen gefunden.“ Cat schwenkte ihre Bierflasche. “Willst du nichts trinken?“
“Ne, lass mal.“
“Sicher?“
Warum konnten die Leute es nicht einfach glauben, dass ich keinen Alkohol wollte?
“Ja, ganz sicher. Ich mag das einfach nicht.“
Mag das nicht, war noch untertrieben. Ich hasste es. Mir wurde schlecht vom Geruch von Alkohol. In mir krampfte sich alles zusammen. Ich wollte weglaufen, schreien, um mich schlagen. Denn mit dem Alkohol drängte sich auch Marco zurück in meine Gedanken.
“Okay.“ Cat akzeptierte es endlich.
“Essen ist fertig“, schrie ein Mädchen aus meinem Relikurs und lenkte uns ab.
Der Hunger war groß, das Gedränge noch mehr. Doch waren erst mal alle versorgt, wurde die Stimmung immer ausgelassener. Es wurde gegessen und getrunken und noch mehr getrunken.
Je alkoholisierter die Stimmung wurde, desto unwohler fühlte ich mich, je leerer der Bierkasten wurde, desto dringender wollte ich zurück. Bis ich schließlich Jen Tschüss sagte und ging.
Ich war eine Spielverderberin geworden, eine Spießerin. Ich hatte einfach keinen Spaß mehr daran, zu trinken und zu tanzen und mich dann am Morgen nicht mehr daran zu erinnern.
Irgendwo musste ich die falsche Abzweigung genommen haben. Mein Zeitgefühl war nie gut gewesen, aber irgendwann war sogar mir klar, dass ich inzwischen in der Schule angenommen sein müsste. Ich drehte um und ging zurück.
Schwarze Äste ragten bedrohlich bis auf den Weg. Meine Augen sahen kaum einen Meter in den dunklen Wald. Alles mögliche könnte dahinter sein.
Ich ging schneller.
Irgendwas raschelte.
Mein Fuß rutschte über den Schotter und knickte um. Es tat nicht weh, aber hatte mich erschreckt. Jetzt fiel mir auch ein, dass ich kein Handy mitgenommen hatte.
Ich blieb stehen.
Irgendwo hier hätte eigentlich der kleine Trampelpfad weggehen müssen, über den wir gekommen waren, aber es war viel zu dunkel, um auch nur ansatzweise etwas zu sehen. Würde ich den Weg weitergehen, käme ich wieder zur Lichtung, da wollte ich aber definitiv nicht hin. Ich wusste auch sicher, dass nicht weit von mir rechts die Schule sein musste, nur der Weg dorthin war wie verschwunden. Die einzige Möglichkeit war, querfeldein mitten ins Schwarze zu gehen. In der Hoffnung, dass ich auch wieder rauskommen würde.
Warscheinlich war es nicht meine beste Idee, allein im Dunklen in einen mir kaum bekannten Wald zu laufen.
Eigentlich musste ich nur gerade aus laufen und konnte die Schule gar nicht verfehlen. Eigentlich.
Denn tatsächlich kann man im Wald nicht gerade aus gehen. Es begann gleich mit der ersten Bodenwelle. Ich sah sie ja eh kaum. Plötzlich war der Boden unter mir ein Stückchen tiefer und ich stolperte zur Seite. Noch konnte ich mich orientieren, aber vor mir erstreckte sich eine Reihe Sträucher und als ich mich umdrehte, merkte ich, dass ich mitten in die Sträucher hinein gestolpert war. Ich versuchte es nach links, aber da war kein durchkommen. Geradeaus konnte ich sowieso vergessen. Nach rechts tat sich eine kleine Lücke auf. Ich schob die Äste so gut es ging zur Seite und stapfte beherzt drauf los. Aber kleine Äaste sind im Dunkeln eben doch schwer auszumachen. Einen hatte ich wohl übersehen. Und der rammte sich mir direkt in die Backe.
Überrascht kreischte ich auf, wich zur Seite und bekam einen Ast in die Hüfte gestochen.
Und jetzt bekam ich Angst. Tiefe, irrationale Angst. Angst, nicht mehr herauszufinden, Angst, mich zu verirren. Angst, Gefangene des Waldes zu sein.
Mein Gehirn sagte mir, dass ich spätestens bei Tageslicht ohne Probleme zurück finden konnte.
Aber ich wollte unter keinen Umständen die Nacht im Wald verbringen. Nicht ohne Zelt oder Schlafsack. Nicht ohne Handy. Und vor allem nicht allein.
Seltsamerweise wehrte sich aber auch alles in mir dagegen, mach Hilfe zu rufen. Ich wollte nicht gefunden werden. Wer konnte schon wissen, wer mich finden würde. Dazu kam mein Ego, das nicht mal von Cat gefunden werden wollte. Nicht hier, hilflos, dabei vielleicht nur 10 Meter vom Weg entfernt.
In dem Moment schaltete mein Gehirn ab. Rannte einfach los. Egal ob da Äste waren, egal wo ich dagegen lief. Blätter peitschten in mein Gesicht, spitze Hölzer zerrissen meine Hose, mein T-Shirt. Keine Ahnung, wohin ich rannte. Vielleicht im Kreis, möglich wäre es.
Irgendwann kam ich raus.
Irgendwann viel später.
Ich war Umwege gerannt.
Ich kam auf einer Wiese raus und konnte in 500 Meter Entfernung die Schule sehen. Und ich rannte, als wäre ich auf der Flucht, nur dass mir keiner folgte und ich auch keinen Grund zu Flucht hatte. Rannte trotzdem weg. Weg von meinem Heimweh, meinem Ego, weg von meiner Angst, weg von mir selbst.
Ich erreichte das Internat völlig erschöpft und wäre gern noch weiter gerannt.
Müde, von allem Adrenalin verlassen, stieß ich die Eingangstür auf.
“Wie siehst du denn aus?“, fragte Lucas spöttisch erstaunt.
Ich brauchte nicht an mir herabzusehen, um zu wissen, dass ich scheiße aussah.
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Just another Badboy
RomanceAls Lynn auf das Internat kommt, hat sie von Männern und Jungs absolut die Nase voll. So sehr sie auch die Zeit mit ihren neuen Freundinnen genießt, so sehr hält sie alle männlichen Wesen auf Abstand. Doch einer erregt ihre Aufmerksamkeit und lässt...