Ich winkte, bis die Schlusslichter in der Dämmerung verschwanden, bis von dem Auto nichts mehr zu sehen war, bis nicht einmal mehr die leisen Motorengeräusche zu hören waren von dem Auto, das mich früher immer nach Hause gebracht hatte. Aber Zuhause war jetzt hier. Einen kurzen Moment kroch das Heimweh hervor, das bisher unbemerkt in einer kleinen Ecke irgendwo in meinem Knie geschlummert hatte. Heimweh nach meinem Zimmer, das vollbehängt war mit Bildern von meinen Freunden aus Kindertagen. Heimweh nach der Küche mit dem Esstisch, an dem wir so oft alle zusammen gegessen hatten, Mama, Papa, Jana und ich. Heimweh nach dem Sofa im Wohnzimmer, auf dem wir so oft gelegen und ferngesehen hatten.
Ich musste mich zusammen reißen. Das alles brachte doch nichts! Ich richtete den Blick nach vorne. Das hatte ich in der letzten Zeit gelernt: man musste nach vorne schauen, immer an das Nächste denken, was man Schönes machen würde, nicht an das, was vorbei war. Meine Familie war nach Hause gefahren, aber ich würde in einer Stunde mit den anderen raus auf die Richtung zum “Leben“ gehen und das zählte jetzt.
Es war kühl geworden. Ich schlang den Pulli enger um mich und drehte mich zum Gebäude. In Gedanken setzte ich “Warme Kleidung anziehen“ ganz oben auf die Checkliste.
Ich hatte die Tür noch nicht ganz geöffnet und sah schon Lucas seitlich lehnen - ausnahmsweise allein, nur in Begleitung seines Handys. Ich wusste nicht, warum er ständig hier am Ausgang herumlungerte, aber die Tür war für mich schon fest mit Lucas Anblick verknüpft.
Ohne nach links oder rechts zu schauen ging ich an ihm vorbei, den Kopf stur gesenkt. Es war eine Stille zwischen uns, die sich bis in den nächsten Stock zog und mich noch bis zu meinen Zimmer verfolgte. Bedrohlich, spannungsvoll, unangenehm.
Zur Ablenkung öffnete ich in YouTube eine Playlist mit Liedern aus Rebecca, einem meiner Lieblingsmusicals, und durchforstete besonders lange meinen Kleiderschrank nach bequemen warmen Klamotten. Cat hatte gesagt, Dresscode Legere und daran wollte ich mich halten. Dann packte ich Chips und Schokolade, die meine Eltern mitgebracht hatten, in meinen Rucksack.
Tja, und dann hatte ich nichts mehr zu tun. Ich legte mich auf mein Bett, aber ich wurde zapplig. Alles war so still. Die Musik aus meinem Handy konnte den Raum nicht füllen. Ich war Stille nicht gewohnt. Zuhause war Stille selten und kostbar gewesen, doch jetzt schien sie mich zu erdrücken. Ich sang mit, um mein Handy zu verstärken, aber meine Stimme klang so einsam, dass es mich erschreckte.
Ich spürte, dass die Erinnerungen an Marco wieder aufleben wollten. Inzwischen wusste ich, wenn es soweit war, wenn alles wieder hochkommen wollte.
Ich konnte hier unmöglich länger liegen bleiben. Ich sprang auf, schnappte meinen Rucksack und mein Handy und wanderte durch die Flure.
Rebecca leise im Hintergrund lauschte ich den Geräuschen, die hinter den geschlossenen Türen hervordrangen.
“Ja, aber wenn der natürliche Logarithmus...“ Uh, da waren noch welche fleißig! Ich lief lieber schnell weiter.
“Du kannst doch jetzt auch mal mit Shisha rauchen gehen! Ich war jetzt schon in zwei so Kinderfilmen mit dir, jetzt können wir doch auch mal was andres machen.“ Das war unverkennbar die Stimme eines Jungen, daran blieb keinen Zweifel. Und dem Ton nach zu schließen diskutierte er gerade mit seiner Freundin. Ich musste grinsen.
So ging es weiter, von Tür zu Tür.
“Was machst du denn eigentlich?“ Nein, das war nicht hinter einer Tür hervorgedrungen. Ruckartig drehte ich mich um. Mark lehnte lässig an der linken Flurwand und beobachtete mich interessiert.
Ich zuckte mit den Schultern und starrte ihn unbewegt an. “Das geht dich n Scheiß an. Und du? Auf dem Weg zu einer deiner fünf Freundinnen?“
Mark lachte. “Nein, ich bin nicht wie Lucas. Ich hab keine fünf Freundinnen gleichzeitig.“ Ich musterte ihn erstaunt. Warum sagte er mit das?
Was er nun tatsächlich hier wollte, verriet er mir nicht.
“Ja, also, ich muss dann auch gehen“, presste ich heraus und beeilte mich zu Cat zu kommen.
DU LIEST GERADE
Just another Badboy
RomanceAls Lynn auf das Internat kommt, hat sie von Männern und Jungs absolut die Nase voll. So sehr sie auch die Zeit mit ihren neuen Freundinnen genießt, so sehr hält sie alle männlichen Wesen auf Abstand. Doch einer erregt ihre Aufmerksamkeit und lässt...