Schuld

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Ich hätte gerne gesagt, dass es genau so schnell verging, wie es gekommen war. Dass es nur ein kurzer Ausbruch war. Dass ich mich nach wenigen Sekunden wieder in den Griff bekam, aufstand, Lucas stehen ließ und ging. Aber das wäre gelogen.
Die Wahrheit ist: ich hatte gar nichts im Griff und die Tränen strömten endlos über meine Wangen auf den Boden, benetzten das Gras und wollten einfach nicht mehr aufhören zu fließen.
Ich kauerte zu Lucas Füßen, ein kleines Häufchen Elend, geschüttelt von Schluchzern, und war nicht in der Lage zumindest gerade sitzen zu bleiben.
Cat war im Krankenhaus, hämmerten mir meine Kopfschmerzen im Takt meines Herzschlages ein.
Das Gesicht nur knapp über den Boden gebeugt konnte ich Lucas nicht sehen. Ich spürte nur, dass er stocksteif und unbewegt über mir stand. Dann, vorsichtig, zögernd, legte sich seine Hand auf meinen Kopf.
Wäre es ein anderer Moment hätte ich vielleicht gelacht, darüber, wie bizarr diese Situation doch war. Aber es war kein anderer Moment und statt eines erlösenden Lachens spürte ich nur raues Wimmern und Schluchzen in meiner Kehle.
"Hör bitte auf zu weinen, ja?", hörte ich Lucas zaghaft flüstern. Aber das konnte ich nicht.
"Verdammt Lynn, hör auf damit! Du machst mir Angst." Jetzt schrie er fast. In meinen Ohren war seine Stimme nur ein dumpfes Echo, drang kaum in mein Gehirn vor.
Seine Hände unter meinen Armen. Er zog mich hoch, schüttelte mich. Ich hing willenlos in seinem Griff. Alle Angst, alle Abscheu die ich ihm gegenüber empfunden hatte, waren wie weggeblasen, verdrängt von schlimmerem. Sollte er doch mit mir machen, was er wollte. Mir war alles egal.
Plötzlich ließ er mich aus seinen Händen gleiten, ließ mich gegen seinen Oberkörper fallen, schlang die Arme um mich in einer festen Umarmung.
"Schschsch", murmelte er leise. "Ganz ruhig." Als würden seine Worte ihn selbst beruhigen, wurde er selbst auf einmal ganz ruhig. Seine Unsicherheit von gerade eben war verschwunden. Stattdessen strich er mir in geübten, sanften Bewegungen durch die Haare und über den Rücken und drückte mich an sich.
"Cat liegt im Krankenhaus", flüsterte ich.
Und da war noch mehr. Etwas, das mich zu dem hassenswertesten Wesen dieser Schule machte. Aber ihm gegenüber war das egal, ihm konnte ich es sagen; er hasste mich sowieso schon.
"Cat liegt im Krankenhaus und ich bin schuld", flüsterte ich.
Lucas antwortete nicht, er wiegte mich nur in seinen Armen wie ein Kind und gelegentlich murmelte er ein leises “schschsch“.
Und dann: “Ich weiß, wie du dich fühlst.“
Die Worte drangen irgendwie durch sen Nebel in meinem Kopf. Wie sollte er wissen, wie ich mich fühlte? Wie sollte er wissen, wie es sich anfühlte, wenn man diesen einen, entscheidenden Fehler gemacht hatte? Ich war einfach nur zu faul gewesen, um mich Cat zu diskutieren. Zu faul für diese paar Worte, die all das hätten verhindern können. Kommst du mit Schwimmen? Vier Worte, die Cat vor dem Krankenhaus bewahrt hätten, vier Worte, die ich nicht gesagt hatte, weil ich sie tief in meinem Inneren nicht dabei haben wollte.
Lucas bewegte sich leicht. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was er da tat. Er schob uns beide ganz langsam auf das Internat zu. Ich ließ es geschehen.

Just another BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt