Kapitel 20

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Die Kiesel knirschten unter meinen Füßen, während ich vorsichtig den schmalen Steinweg entlangschlich. Die Sonne blendete mich und ich ertastete mir vorsichtig meinen Weg über das Klinikgelände. Während ich mich immer weiter von der Station entfernte, malte ich mir verschiedenste Szenarien und Möglichkeiten aus, wie ich verloren gehen und nie wieder zurückfinden könnte.

Langsam hatte ich den Roten Weg, wie meine Betreuer ihn genannt hatten, hinter mir gelassen und kam nun auf eine Art Hauptstraße, die über das gesamte Gelände zu führen schien. Nur hin und wieder störten Motorengeräusche die sonstige Stille, und ich traute mich über den grauen Asphalt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blickte ich mich erst einmal um. Rechts von mir stand die Klinikschule, auf die laut Frau Hendel die jüngeren Patienten gingen, und von innen hörte ich Stimmen und andere laute Geräusche. Schnell drehte ich mich in die entgegengesetzte Richtung und ging die Straße entlang tiefer in das Gelände hinein und somit weiter vom Haupteingang weg, der zur Freiheit führen würde.

Nach kurzer Zeit sah ich schon das erste Grün und meine Hoffnung auf eine Verschnaufpause bewahrheitete sich, als ich die sanfte Biegung des Weges entlangging. Vor mir befand sich ein weitläufiger und dicht bewachsener Park, auf dessen Wiesen sich ein paar Therapiepferde versammelt hatten und grasten. Die gesamte Szenerie bildete einen krassen Gegensatz zu der restlichen Welt, die mich in den letzten Tagen umgeben hatte, und ich atmete erleichtert tief ein und aus. Nicht zur Beruhigung oder Abschwächung einer sich ankündigenden Panikattacke, sondern zum vollständigen Genießen eines entspannten Momentes, der schon jetzt unglaublich kostbar für mich war.

Immer weiter ging ich den Weg entlang, bis ich mich in der Nähe eines kleinen Sees befand. Am Ufer wurde es sumpfiger, doch das machte mir nichts aus. Erst kurz bevor ich drohte einzusinken blieb ich stehen und beobachtete die sanften Wellen, die über die blaugrüne Wasseroberfläche tanzten. Ich stand zwischen großgewachsenen Schilfgräsern, die mich umgaben und von der Außenwelt abgrenzten, und sah für ungezählte Minuten starr auf die Natur, die sich bewegte, atmete und lebte. Und obwohl ich der Mensch war, benahmen sich diese Pflanzen menschlicher an als ich.

Es waren mittlerweile zwei Tage vergangen, seit ich aus der Krankenstation entlassen wurde. In dieser Zeit wurde ich immer wieder angesprochen, ob ich nicht endlich an die frische Luft wolle, doch ich verneinte jedes einzelne Mal.

Bis heute.

Der Grund meines Gemütsumschwunges war selbst mir unbekannt, doch nach dem Mittagessen meldete ich mich unter argwöhnischer Beobachtung meiner Betreuer ab und ging eigenständig aus der Station. Zuerst hatte ich keine Ahnung, wohin ich meine Schritte lenken sollte, doch letztendlich entschied ich mich für den Park, der sich angeblich auf dem Klinikgelände befand. Und hier stand ich nun, alleine am kleinen See zwischen den Schilfgräsern.

Die kurze Zeit an diesem kleinen See war wie eine langandauernde Erholungskur für mich; heilender und sorgsamer als jeder Moment, den ich innerhalb der Klinikmauern verbringen musste. Schon jetzt wusste ich, wo ich mich die nächsten Wochen überwiegend aufhalten würde.

Draußen.

Am kleinen See.

Zwischen den Schilfgräsern.

Eine sanfte Brise wehte vom Wasser in meine Richtung und strich sanft an meinem verspannten Gesicht und den zusammengebundenen Haaren entlang. Aus purem Instinkt griff ich nach meinem Haarband und lockerte es, bis ich es schließlich komplett löste. Die Haare fielen in dicken Strähnen über meine Schulter, doch wurden sehr bald vom Wind in der Luft herumgewirbelt und bildeten somit ein wirres Bild, das ich in der mich spiegelnden Wasseroberfläche betrachtete.

Meine zusammengepressten Lippen öffneten sich, der verspannte Blick lockerte sich auf und beide Augenbrauen ruhten in einer entspannten Position.

Ich sah anders aus.

Ein Blumenstrauß an Krankheiten | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt