Kapitel 34

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Wir hatten abgesprochen, erst zu unseren Stationen zurückzugehen, um uns korrekt bei unseren Betreuern abzumelden, da diese sonst innerhalb kürzester Zeit nach uns fahnden würden, und anschließend zu unserem Platz zu gehen. So hatte Flint das kleine Teichgebiet genannt, in dem wir das erste Mal miteinander gesprochen hatten.

Würde er wirklich kommen? Das war die Frage, die ich mir in den nächsten fünfzehn Minuten immer wieder stellte. Auf meine vorige Aufforderung hatte er verbal nicht reagiert und auch seine Haltung auf keine Emotionen schließen lassen, was mir noch mehr Angst machte als ein Wutausbruch; denn so war er für mich nicht einschätzbar und ich wusste nicht, was ich ihm gegenüber sagen sollte.

Auf dem Weg ins Grüne fielen mir mehr Details als üblich ins Auge. Die älteren Menschen, die von Pflegern betreut wurden; Kinder, die gerade Schulschluss hatten und aus der klinikinternen Grundschule liefen; Meere an blühenden Blumen, die ein bisschen Farbe in den sonst so trist wirkenden Alltag der Klinik brachten. All solche Dinge waren mir zuvor nie aufgefallen, doch jetzt spendete ich ihnen umso mehr Aufmerksamkeit, um die verlorene Zeit wettzumachen.

Ich wurde bereits erwartet.

Sobald ich seine Gestalt unter dem weitreichenden Schatten ausmachen konnte, fiel mir ein Stein vom Herzen und mein zuvor verspannter Gang lockerte sich endlich. War er wirklich bereit, mit mir über sich zu reden? Bisher kannte ich nur seinen Vornamen und hatte zuvor nie das Gefühl gehabt, jemals mehr über ihn zu erfahren.

Flint begrüßte mich nicht, denn seine ganze Konzentration schien er auf sich selbst gerichtet zu haben. Seine Augen waren geschlossen und sein Kiefer angespannt. Was bedrückte ihn so sehr, dass es ihn nicht mehr loszulassen schien?

"Hallo. Störe ich?"

Meine Zweifel wurden bestätigt, als er voller Überraschung zusammenzuckte und meinen Blick aus nervös zuckenden und hin und her schweifenden Augen erwiderte. Doch nachdem er mich erkannt hatte, richtete er sich auf und riss sich so weit zusammen, dass er wieder diese undurchdringbare Mauer um sich bildete, die mir schon zuvor aufgefallen war. Wie sollte ich ihn jetzt erreichen?

"Nein, alles gut. Ich habe nur", an der Stelle unterbrach er sich selbst und sprach anschließend mit einem Frosch im Hals weiter, "über einige Dinge nachgedacht."

"Möchtest du denn darüber sprechen?"

Stille.

"Flint."

Noch immer sagte er nichts und starrte mit leerem Blick ins Grüne.

"Du hast mir geholfen, Flint. Ich möchte dir auch helfen; irgendetwas an dich zurückgeben. Außer deinem Vornamen weiß ich gar nichts über dich."

Mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen schaute er mich endlich wieder an; alle Leere war aus seinem Blick verschwunden. Seine Augen waren aufgrund des Schattens, in dem wir standen, noch dunkler als sonst und ließen keinen Aufschluss über seine Gefühle zu.

"So viel weiß ich auch nicht über dich, Scar."

Zögernd stellte ich fest, dass er damit Recht hatte. Doch wann ergab sich schon die Möglichkeit für ein ruhiges Gespräch, in dem ich mich eventuell öffnete?

Jetzt.

"Dann können wir das jetzt nachholen, oder?"

Ich erhielt keine Antwort, doch sein Blick sprach mehr als tausend Worte.

Er war krank, genauso wie ich.

Er war verunsichert, genauso wie ich.

Er war einsam, genauso wie ich.

Kurz darauf hatte ich eine natürliche Senkung am Fuße des Baumes entdeckt, in dessen Schatten Flint zuvor gestanden hatte. Wir beide setzten uns und beobachteten für einige Minuten stumm unsere Umgebung. Es war ein schöner Tag; die Vögel flogen singend von Ast zu Ast, die Schilfgräser neigten sich leicht in der sommerlichen Brise und die satten Sonnenstrahlen prallten geradezu auf das saftige, grüne Gras. Trotzdem saßen Flint und ich im Schatten.

"Ich leide unter schweren bipolaren Störungen, komplizierter Traumata und Aggressionsproblemen."

Mein Herz setzte aus.

Vorsichtig schielte ich nach links, um ihn zu betrachten. Noch immer regte er sich nicht, hatte die Beine betont locker angewinkelt und die Arme darauf abgestützt, doch etwas an seiner Haltung schien unnatürlich und verkrampft. Nur seine mit zurückgehaltenen Tränen gefüllten, glänzenden Augen verrieten, was sein Körper verzweifelt zu vertuschen versuchte.

Er fürchtete sich vor meiner Reaktion. Flint hatte tatsächlich Angst.

Was sollte ich jetzt tun oder sagen? Sollte ich verständnisvoll reagieren oder so tun, als hätte ich gar nichts gehört und einfach weiter hier neben ihm sitzen? Welche Reaktion erwartete er denn von mir?

Es war ungewohnt, den sonst so sarkastischen und starken Flint in dieser Position zu sehen. Warum hatte er sich gerade mir anvertraut?

"Wenn du keinen Kontakt mehr mit mir haben möchtest, versteh ich das; du kannst ruhig gehen."

Da kam es einfach über mich.

Innerhalb weniger Millisekunden überwand ich die noch zwischen uns bestehende Lücke und legte meine Arme um seinen Oberkörper, während ich meine Beine eng an mich zog. Flints Brust zitterte vor Erleichterung und Überraschung, als er sich nach einigen langen Momenten entspannte und langsam den Baumstamm entlang in Richtung Boden sank, bis wir schließlich beide nebeneinander auf dem langen Gras lagen. Mein Kopf lag auf seinem Brustkorb und ich hörte seinen Herzschlag, der mit den Minuten immer langsamer und beständiger wurde.

Poch, poch, poch.

Dieses Geräusch war so unglaublich beruhigend, dass ich am liebsten sofort im Hier und Jetzt eingeschlafen wäre, doch ich wurde von Fragen wachgehalten, die mich schon seit mehreren Tagen nicht mehr losließen. Ich wollte mehr über Flint wissen.

"Wie alt bist du?"

Nach einigen Sekunden spürte ich, wie Flint seinen Kopf neigte und tief ausatmete.

"Neunzehn."

Flint war neunzehn Jahre alt? Wieso wurde er dann überhaupt noch hier behandelt?

"Ist die Klinik eigentlich nicht für Minderjährige? Also, ich meine, wenn du Hilfe brauchst, müsstest du doch eigentlich in eine andere... Institution?"

Seine Brust erzitterte, als er ein leises, grummelndes Lachen von sich gab.

"Du meinst die Psychiatrie? Eigentlich würde ich da auch hingehören, aber mein Fall ist etwas speziell."

Damit schien das Thema für ihn abgeschlossen zu sein, doch mich ließ es nicht los.

"Rede weiter, bitte."

Meine Nachfrage schien ihn zu überraschen, doch einige Herzschläge später schien er sich gesammelt zu haben und holte lange Luft.

"Ich bin mit vierzehn hierher gekommen; davor war ich im Heim, aber das hat für mich nicht gepasst. Um ehrlich zu sein habe ich mich damals des Öfteren mit deutlich älteren Jugendlichen geprügelt und gab mich auch sonst nicht mit den besten Menschen ab. Ab meinem achtzehnten Geburtstag gab es die Überlegung, mich in eine Klinik für Erwachsene zu verlegen, doch aufgrund der vorangegangen langjährigen Therapie, die ich hier bereits abgesessen hatte, erschien es meinen Therapeuten als Rückschritt, jetzt noch einmal bei einer anderen 'Institution'", bei diesem Wort änderte er die Tonlage und neckte mich eindeutig, "von Neuem zu beginnen. Deshalb blieb ich der Einfachheit halber hier."

Nach dieser für ihn ungewöhnlich langen Antwort atmete er wieder etwas unregelmäßig, doch sein Herzschlag blieb derselbe.

Poch, poch, poch.

"Das ist eine ganz schön lange Zeit."

"So hat es sich auch angefühlt."

Ein Blumenstrauß an Krankheiten | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt