135-die totale Blindheit

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"Macht die Tür wieder auf", rufe ich flehend, schlage dabei gegen das Holz. "Bitte!"

Total verzweifelt, voller Angst mit wackligen Knien stehe ich hier, hoffe einfach, dass sie es nur als einen kurzen Spaß ansehen und mich gleich rauslassen. "Charlotte!"

Fest und laut prallt meine Faust immer wieder gegen das Holz, während die Lacher der anderen hinter der Tür ertönen, sie sich über mich und meine Bitte lustig machen. Einer der Jungs zischt irgendeine Beleidigung, die ich jedoch nicht verstehen kann, darüber aber froh bin.

"Die guten, alten Zeiten", lacht Charlotte, worin die anderen mit einstimmen. "Erinnerst du dich noch, Freak?"

So viele Stimmen ertönen amüsiert, belustigt und boshaft in meinen Ohren. Alles kann ich hören, ihre Worte, die laute Musik, die Stimmen der Menschen von oben, nur nicht Harry, geschweige denn seinen beruhigenden Herzschlag.

Um mich herum befindet sich nur die Dunkelheit. Licht scheint bloß schwach durch das kleine Fenster, weiter unten im Keller, in den eine Steintreppe führt. Die kahlen, vom Mondlicht beleuchteten Wände sehen kühl und kahl aus, bereiten mir eine Gänsehaut, die ich auch von der Kälte in diesem Raum und meiner recht leichten, kurzen Kleidung erhalte.

"Lasst mich bitte raus", brülle ich erneut. Bitterlich schlage ich mit meiner Faust gegen das Holz, ohne Erfolg. "Bitte. Was hab ich euch denn getan?"

Keine Antwort.

Sie lachen alle, bis ich bemerke, wie sie sich immer weiter entfernen, mich ganz alleine hier lassen, ohne Worte, ohne eine geöffnete Tür.

Mein Weg ist verschlossen, eine Tür kann ich nicht aufbrechen und die Stufen der Treppe erscheinen mir nicht geheuer, auch wenn es nur fünf Stück sind, von denen ich mindestens zwei überspringen könnte, wie ich es immer Zuhause bei der knarrenden tat.

Zuhause.

Ich könnte mit Harry bei uns Zuhause auf der Couch liegen, oder in meinem Bett, anstatt hier unten in der Kälte zu bangen und zu frieren. Mom würde etwas wunderbar Warmes kochen, während Dad uns Witze und Geschichten von seiner Arbeit erzählt, wobei ich leicht schmunzelnd zuhöre, meinen Kopf auf Harrys Brust liegen habe, der mit seiner Hand sanft, zärtlich über meinen Arm streichelt, was ich liebe.

Alles in Corby gefällt mir mehr, als auf dieser Party, in diesem Haus, unter diesen Menschen!

Eventuell, wenn ich nicht diese schlechte Entscheidung getroffen hätte, würden Harry und ich auch schon längst zusammen wohnen, gemeinsam gerade in unserer kleinen, bescheiden, jedoch gemütlichen Wohnung kochen, wobei ich aber wahrscheinlich mehr zusehen und naschen würde, als wirklich zu helfen.

So stelle ich mir meinen perfekten Abend vor.

Doch befinde ich mich hier, lebe alleine zurzeit in London. Ich bin eingeschlossen in einem engen Raum, leide unter der Kälte, während ich eigentlich gemütlich auf einem bequemen Polster sitzen könnte, einen Film schauen oder einfach nur mit dem Lockenkopf stillschweigend aus dem Fenster blicken, wie wir es manchmal auf meinem Fensterbrett taten.

Es geschah nicht oft, da ich lange nur in meinem Bett lag, die Geschehnisse verarbeiten musste, doch irgendwann saß er bereits auf dem Brett, weshalb ich mich zu ihm gesellte, gemeinsam raus aus dem Fenster starrte. Wir machten uns auch vielleicht ein bisschen über unsere Nachbarn lustig, wurden aber nicht böse.

Man trifft nun mal ab und zu im Leben die falschen Entscheidungen -aus denen man aber lernen kann.

Ich weiß jetzt, dass ich nie wieder groß überlegen muss, wenn es um Harry geht, seiner Idee zustimmen muss, keine Zweifel an ihm, mir oder dem existierenden wir haben sollte, sondern Vertrauen.

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