147-Backpfeife

1.2K 122 28
                                    

Es rumpelt und wackelt alles hin und her, rattert und knallt, zischt und dröhnt.

Laut höre ich ein Zischen, das ich den Bremsen des Zuges zuweise, öffne daraufhin meine müden Augen. Die ganze Zugfahrt habe ich niemals durch geschlafen, vielleicht ein paar Minuten.

Vor meinem Auge sehe ich nur schwarz, erkenne nichts, das wie aus einem Zug aussieht. An meinem Ohr, auf dem ich liege, spüre ich einen warmen Stoff und auf der gegenüberliegenden Wange eine Hand, die nun sanft über meine kalte Haut streicht.

Ich friere.

Um endlich fest zustellen, was hier los ist, drehe ich mich auf meinen Rücken. Meine Beine ziehe ich, da ich anders nicht auf diese Sitzbank passen würde, die ich mir mit Harry teile.

Wir befinden uns immer noch im Zug, indem ich scheinbar irgendwann zur Seite kippte und meinen Kopf müde auf Harrys Schoss legte, mein Gesicht zu seinem Bauch gerichtet und eng ein gekauert, da ich zu groß für diese kleine Bank bin. Und deswegen schmerzt mein Rücken ein Stück.

"Du kannst noch zehn Minuten schlafen", ertönt es rau von Harry, in dessen Augen ich hochblicke, mich dann aber sofort aufrichte.

Er hat geweint. Er hat lange und bitterlich geweint.

Die grünen Augen sehen so schwach aus, so kaputt, werden von Rot umrahmt. Getrocknete Tränen schimmern leicht im Licht, das von draußen immer wieder in unser Abteil fällt. Harrys Hände zittern dazu, was ich bemerke, als er erneut sanft über meine Haut streichen will.

Ängstlich setze ich mich gerade auf meinen Sitz, ergreife seine Hände, die ich fest drücke, während mein Herz schmerzhaft gegen meinen Brustkorb pocht. Es tut weh, weniger aber, als der Anblick, der sich mir bietet.

"Wir sind bald da, keine Angst", murmele ich, höre das Krächzen meiner eigenen Stimme. Irgendwas beruhigendes muss ich ihm doch sagen, damit er nicht so leidet. Nur ob meine Worte helfen, weiß ich nicht, bezweifle es sogar ein ganzes Stück. Wahrscheinlich bin ich die schlechteste Person auf Erden, was aufmuntern betrifft.

Schluckend gibt der Mann mir ein Nicken, presst dabei seine Lippen aufeinander, wodurch ich bemerke, wie sehr er in seinen Gedanken bei dem Mädchen ist, ihre Hand in seiner Phantasie hält, meine nur einen ersetzenden Körper erstellt.

Ich kann damit leben, wenn es etwas ist, an das er sich klammern kann, wenn ich so für ihn da sein kann. Ich nehme es hin.

Wir wackeln weiterhin hin und her, lauschen den Rädern des Zuges, bis die ersten Häuser der kleinen Stadt am Horizont erscheinen, wir vielleicht nur noch fünf Minuten warten müssen.

Gut erinnere ich mich daran, wie ich diese Stadt gehasst habe, an dem Tag, als ich sie durch mein Fenster im Auto wiedersah. Ich wollte hier nicht wieder hin, wollte in Leeds bleiben, bei Ethan und Nathan. Wenn ich nur gewusst hätte, was mich durch diesen Umzug erwartet.

Der wahrscheinlich beste Sommer meines Lebens.

Harrys gemeine Worte interessieren mich nicht mehr, erklingen nur noch schwach, wie aus einer dicken Nebelwand und werden von den wichtigen Worten übertönt. So oft sehe ich den Mann vor mir, wie er mit mir auf einem dunklen Parkplatz steht, mich so ernst ansieht und wir uns gegenseitig Dinge sagen, die wir vor vier Jahren niemals erwartet hätten.

Noch oft erinnere ich mich an seinen einen Satz, den ich mir so zu Herzen nehme, den ich liebe, da er einfach wunderbar und ehrlich ist. "Jeder braucht einen Freak, Honor."

Ich brauchte Harry an einigen Tagen, meinen Freak benötigte ich an meiner Seite, und heute, in den nächsten Stunden, Tagen braucht er mich, wird mich bei sich haben, egal was geschieht. So wie er mich nicht verließ, werde ich ihn nicht verlassen.

Big FreaksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt