Ferner, roter Morgen

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Fast hätte Mathilda endlich ihren langen, wohlverdienten Schlaf bekommen.

Die Anordnung des Lagers war umgeworfen worden und sie hatte nur ein winziges Zelt bekommen, das gerade genug Platz für sie und einen Beutel ihrer wichtigsten Sachen bot, wenn sie nicht die Zehen vor die Plane strecken wollte. Es war zu ihrem eigenen Schutz, erklärte ihr Elowin überzeugt, dunkle Ringe unter den Augen und die Stimme sprunghaft und hektisch von der ständigen Bedrohung unbekannter Mächte. Sie konnten eine Fürstin schlecht mit Männern im Zelt nächtigen lassen, und ein kleines Zelt war leichter von allen Seiten zu bewachen als ein großes.

Die Enge gab ihr wieder erwarten ein seltsames Gefühl der Geborgenheit, das sie, gepaart mit der Schlaflosigkeit der letzten Nächte, fast sofort sanft entschlummern ließ, nach dem sie früh zu Bett gegangen war, um den ermüdenden Diskussionen der anderen Edelleute zu entgehen, die alles aufkeimende Gerede von wachsenden Dornen und geheimnisvollen Warnungen alter Frauen als lächerlich abtaten.

Doch dann schreckten sie tapsende, lauernde Schritte eines Tieres direkt an der Zeltplane mitten in der Nacht wieder auf und sie fuhr hoch. So sehr das kleine Zelt ihr beim Schlafen geholfen hatte, hatte sie sich doch noch nicht daran gewöhnt und stieß den Kopf an die Plane.

Sie schüttelte sich den Schlaf aus dem Gesicht und wollte näher lauschen, ob das Tier wirklich so nahe war, wie es klang und womöglich gefährlich wäre, aber da waren die Schritte schon wieder verstummt und sie hörte nur leises Schnarchen in der Nähe ihres Zeltes, dort, wo ihr zugeteilter Wachposten sitzen musste. Mathilda schnaubte leise auf und wollte sich gerade wieder zurücklegen, als sie weiter fort Männer darüber rufen hörte, dass einer etwas im Wald zu sehen vermeinte.

„Sah groß aus!", rief einer. „Wie dieses Ungetüm von einem Bär, das wir gestern verjagt haben – würde mich nicht wundern, wenn ihn der Geruch unseres Essens hinter uns her gelockt hat."

„Hast du nicht gehört, dass es ein magischer Bär ist?", kam die spöttische Antwort, „Wenn, dann ist er nur hier um uns guten Rat zu geben."

Mathilda war sich eigentlich recht sicher, dass sie nur scherzten. In der Dunkelheit, gerade wenn man sich in so unsicheren Gefilden wie diesen hier befand, konnte ein einzelner Mann gut aus einem huschenden Dachs einen mächtigen Bären machen, wenn er sich nur genug von den Geräuschen der Nacht verunsichern ließ. Dennoch konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass der Bär des Vortages tatsächlich wieder gekommen sein konnte, so zufällig seine Wiederkehr auch sein mochte.

Vorsichtig, um nicht mehr Lärm als nötig zu machen, schälte sie sich aus ihrer Decke und tastete in der Dunkelheit nach Mantel, Schuhen und ihrem Schwertgürtel. Es war schwer, in ihren beengten Verhältnissen alles anzuziehen, aber schließlich gelang es ihr und sie kroch noch behutsamer zum Eingang ihres Zeltes und schlug die Plane zurück.

Ein sanft glühendes Feuer sendete ihr warmrote Strahlen entgegen, die alles gerade genug erhellten, um erkenntlich zu sein. Tatsächlich, ihr Wachposten war neben ihrem Zelt im Sitzen eingenickt. Einzelne Männer saßen um das Feuer, hatten ihr aber den Rücken zugewandt oder starrten so unbeirrt nach vorne in die Glut, dass sie wohl kaum auf sie aufmerksam werden würden. Sie krabbelte auf den bereits taufeuchten Waldboden hinaus und richtete sich langsam auf, bevor sie sich aufmerksam umsah.

In alle Richtungen standen Zelte, schwach erleuchtet von halb niedergebrannten Baumfackeln und Feuern, mit nur wenigen Männern, die zwischen den Flammen umherhuschten. Dort, wo sie die Wachen um das Lager erkennen konnte, standen sie ruhig und spannungslos, ihre Glieder sichtlich schwer von Müdigkeit.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt