Willehad war sich sicher, dass er noch nie solche Schmerzen gespürt hatte. Es war ihm, als falle er ins Bodenlose hinab, den Schlund eines Vulkans, voller Glut und Hitze und Explosionen in ihm und um ihn herum.
Die Schmerzen kesselten seinen Verstand von allen Seiten ein und füllten sein Sichtfeld mit dunklen Punkten, die alles verschwimmen ließen und das Denken unmöglich machten.
Seine Soldaten taten ihr Bestes, um ihm zur Seite zu stehen, aber die kleinen Ungeheuer mit den Zügen entstellter Menschen hatten sich den Weg durch ihre Reihen dennoch gebahnt und ihn erwischt. Wo genau, das konnte er selbst kaum mehr sagen, der Schmerz durchzog ihn von den Zehen bis zum Haaransatz gleichermaßen stark.
Er fühlte, wie sich alles drehte und wie er taumelte, und dann waren die Dornen hinter ihm plötzlich so nah ...
Bevor er fallen konnte, hatte ihn einer seiner Soldaten aufgefangen.
„Bringt ihn zu den Wagen, schnell", hörte er Prinz Hagen von weitem rufen und dann packte ein weiterer Soldat seine Beine und er stöhnte auf, weil ihn der Schmerz in einer neuen Welle durchrollte. Zum Schreien fehlte ihm die Kraft, die aus ihm herausgeronnen war wie das Blut. Blut. Irgendwie konnte er seine frei baumelnden Hände dazu bewegen, sich an seinem Körper entlang zu tasten, und als er seinem Bauch nahe kam spürte er die warme Feuchtigkeit, die sich durch sein Gewand fraß. Er wollte weiterfahren mit der Hand, doch davon wurde ihm fast schwarz vor Augen. Über sich konnte er die Dornendecke betrachten, und die toten Äste, um die sich die Ranken schlangen. Sie waren weit fort, noch mussten sie sich am Bachlauf befinden.
Die Rufe und Schreie klangen wie weit entfernt, aber Willehad wusste trotzdem, dass sie ganz nah waren, weil er die Stimmen seiner Soldaten erkannte.
„Das muss der Anführer sein!", rief jemand, „Da oben, das Monstrum, dass dreimal so groß wie die anderen ist!"
Anführer, dachte Willehad dumpf. Koboldkönig, Herr der Meute. Er ließ zu, dass sein Kopf zur Seite fiel und konnte schräg betrachten, wie hoffnungslos in der Unterzahl die verbliebenen Männer am Ufer des Baches wahren, umringt von springenden und um kraftvoll um sich schlagenden Kobolden. Der Boden war übersäht mit Körpern, unzähligen Koboldleichen, aber auch genug größeren Körpern, übel zugerichtet und halb zerfetzt ... zu den Schmerzen kam die Übelkeit, und als sie erst einmal da war konnte Willehad gar nicht mehr aufhören damit, zu würgen.
Er konnte aus seiner Höhe den nächsten Kobolden fast direkt in die Augen blicken und ihm fiel erst auf, was für eine blöde Idee das war, als der erste seinen Blick erwiderte und daraufhin davon abließ, knurrend und sabbernd um einen besonders eifrigen Soldaten herumzuschleichen und sich erst zögerlich, dann immer schneller auf die Spuren von Willehad begab.
Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er ihn im Rücken des Soldaten, der seine Beine trug, näher kommen sah, aber kein Laut der Warnung wollte ihm von den Lippen weichen. Zwei weitere Kobolde bemerkten die Zielstrebigkeit ihres Kameraden und folgten ihm ebenfalls, und schon war Willehad, als würde die halbe Meute ihn verfolgen ohne dass er irgendetwas tun konnte. Er konnte die Falten in der Fratze der Biester fast zählen und sah schon vor sich, wie er ihm endgültig die Lebensgeister auslöschte, als sie in den engen Dornentunnel traten. An seinem Eingang wand sich ein handbreites Band der Stacheln selbst über den Boden, über das jeder hinübersteigen musste.
Eigentlich hätten die Kobolde sie nach nur wenigen Schritten mehr einholen müssen, aber bevor das Dämmerlicht der Dornen sie erfassen konnte, wurden sie langsamer und blieben kurz vor dem engen Einstieg ganz stehen, knurrend und heulend und den Blick eindeutig immer noch auf Willehad gerichtet. Aber sie wagten es nicht, ihm zu folgen. Überrascht wollte er sich hochsetzen und seine Träger davon unterrichten, aber allein der Versuch der Bewegung ließ ihn wieder fast der Ohnmacht nahe zurück, und als er sich zurück ans Bewusstsein gekämpft hatte, war die schmale Öffnung zum Bach hin fast verschwunden.
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Dornen - Das verwunschene Königreich
FantasíaJeder kennt die alten Geschichten über die verfluchte Prinzessin, die in ihrem Schloss tief im Dornenwald zu ewigem Schlaf verdammt ist, bis ein würdiger Held sie und ihr Königreich erlöst. Viele sind über die Jahre ausgeritten, um dieser Held zu...