Schlaflos

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Obwohl sie den Dornen so sehr ausgeliefert war, wie noch nie zuvor, fühlte Mathilda weniger Furcht, wie sie als einzige wach neben der Feuerstelle saß.

Das Feuer war zu einer schwachen Glut heruntergebrannt, die die überhängenden Ranken nur noch schwach erleuchtete. Zacharie war an Albin gekuschelt eingeschlafen und die Jungen atmeten im ruhigen Gleichklang, die Gesichter im warmen Schein der Glut beide jung und verletzlich. Tizita döste nur, den Kopf auf die Tatzen gebettet und manchmal sprangen ihre Ohren umher, wenn irgendwo in der Ferne ein Ast knackte.

Sie selbst spürte kaum Müdigkeit – nur tiefe, bodenlose Erschöpfung, die ihr so tief in den Gliedern saß, dass es sie von jedem Versuch des Schlafens abhielt. Vielleicht war sie schon über den Punkt hinaus, an dem es ihr noch möglich war, die nötige Erholung zu bekommen und das hier war ihr zukünftiger Dauerzustand, immer ausgelaugt und niemals im Besitz ihrer vollen Kräfte. Selbst der Gedanke daran fühlte sich nur milde bedrohlich an, so unwichtig schien alles hinter dem Schleier der Erschöpfung. Es mochte auch der Grund sein, warum es sie nicht in Panik versetzte, dass sich überall um sie herum die Dornen spitz und tödlich rankten.

Asifas Schlaf war unruhiger als der der anderen. Sie zuckte immer wieder zur Seite, ihr Atem ging schwer und ihre Augen flatterten. Mathilda behielt sie im Auge, dass sie nicht in die Glut hineinrutschte und sich selbst ansengte, aber noch war sie weit genug davon entfernt. Außerdem hatte sie den Verdacht, dass Tizita in dem Fall sofort aufspringen und ihrer Herrin zur Hilfe eilen würde. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, obwohl die Nacht kühl war und sie den Umhang, der ihr als Decke diente, längst weggestrampelt hatte.

Auch im Schlaf hatte ihr Gesicht jene Verbissenheit, mit der sie einem wach entgegentrat, als wäre die Abneigung längst tief in ihre Züge eingegraben. Mathilda fragte sich, wovon sie wohl träumte. Ihr einfacher schwarzer Zopf saß trotz ihrer unruhigen Bewegungen noch gut, nur eine einzelne Strähne hatte sich gelöst und klebte an ihrer Stirn. Fast war Mathilda versucht, nach vorne zu reichen und sie ihr wegzustreichen, aber in genau dem Moment, als ihre Finger zu zucken begannen, fuhr Asifa mit einem lauten Keuchen hoch.

Mathilda zuckte zusammen, als mit einem Mal auch Tizita auf den Beinen stand und leise grollte, während Asifa schnell ein und ausatmete, als hätte sie gerade einen langen Dauerlauf hinter sich. Ihr Blick ging ins Leere, als hätte sie noch nicht ganz verstanden, wo sie sich befand und dass sie wach war.

„Ist alles in Ordnung?", fragte Mathilda vorsichtig.

Asifas Kopf zuckte zu ihr hin, sie wandte sich aber nicht ganz um. Stattdessen strich sie sich selbst die Strähne aus der Stirn und zog ihren Umhang wieder heran, um ihn sich um die Schultern zu werfen.

„Natürlich", sagte sie dumpf, ihre Stimme kratzig vom Schlaf, während sie sich in den Schneidersitz setzte und Tizita zu ihr hintrottete und ihren Kopf auf ihren Oberschenkel bettete.

„Du kannst dich hinlegen, Mathilda", fügte sie in ungewöhnlich fürsorglichem Tonfall hinzu, „Ich werde wohl eine Weile wach sein."

„Ich kann selbst nicht schlafen", erwiderte Mathilda leise. „Vielleicht fürchtet sich mein Inneres zu sehr davor, das Geschehene durch Albträume verarbeiten zu müssen."

Asifa schnaubte auf.

„Es wäre mir recht, wenn es nur Albträume wären", sagte sie. „Bei mir ist es eine wirre Mischung aus Vergangenem und dem was noch kommen wird und der Sinn erschließt sich mir oft nur durch Zufall."

Sie klang beinahe bitter, als sie davon sprach.

„Hast du solche Träume oft?", fragte Mathilda, wohlwissend, dass Asifa jederzeit beschließen könnte, ihr kein Wort mehr zu erzählen. Sie kannten sich keinen Tag lang und sie waren sich in vielem uneins, aber der gemeinsame Kampf ließ Mathilda trotzdem eine tiefe Verbundenheit zu der Morgenländerin spüren. Es war nur die Frage, ob Asifa dieses Gefühl teilte.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt