Am Rand

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Sie erreichten das Moor am späten Nachmittag, hinter den Ruinen eines weiteren verfallenen Dorfes, das die Dornen so vollständig zurückerobert hatten, dass es eines zweiten Blickes bedurfte, es zu erkennen.

Es lag trügerisch ruhig da, der morastige Boden unter hohem, feinen Gras verdeckt, aber allein die Tatsache, dass die Dornen sich am Rand des Moores verliefen, verriet es dennoch. Ganz abgesehen von dem schwachen Geschmack von Zerfall in der Luft.

Keiner gab den Befehl dazu, dass sie sich am Ufer des Moores sammelten, aber sie taten es dennoch und Samir wusste, dass es allein an seinen Worten lag. Ein schmaler Pfad führte entlang der trügerischen Grasfläche, der sie ohne Zweifel locken sollte, das Moor zu umgehen anstatt es zu durchqueren. Aber Samir brauchte nur einen kurzen Blick um zu erkennen, dass Steine, Moos und Flechten im Gras verrieten, wo der Boden sumpfig und wo fest war, und auch wenn es seine Zeit dauern würde, einen sicheren Pfad zu finden, so war es doch zu vollbringen.

Nichts davon sagte er den anderen Männern, auch wenn er Al-Hashids knappen Blick gelassen erwiderte. Er wusste, dass er sich auf trügerischem Grund mit ihnen befand, ihr Umgang deutlich gefährlicher als das Moor vor ihnen.

„Nun, Ihr seid herzlich eingeladen, direkt in den Sumpf zu marschieren", verkündete König LePapin mit unverhohlenem Spott in der Stimme, als die letzten Soldaten zu ihnen gestoßen und verwirrt stehen geblieben waren.

„Es wird wohl einen rechten Pfad geben", sagte Alaron beschwingt und klopfte den nächsten Soldaten ermutigend auf die Schultern. „Lasst uns gehen."

„Seid Ihr sicher?", fragte Fürst Vitus schnaubend. „Nur, weil es der Morgenländer gesagt hat?" Sein Blick streifte Samir mit kaum versteckter Verachtung und neben ihm spannte sich Iskandar an und brummte missmutig. Seine Hand zuckte, als wolle er bereits zum Säbel greifen.

„Immer mit der Ruhe, mein Freund", sagte er leise auf Morgenländisch zu ihm, bevor er vorwärts trat, König LePapin, Vitus und ihren Männern entgegen.

„Eurer Zögern ist zu verstehen, Eure Hoheit", begann er betont ruhig. „Mooren ist immer mit Skepsis zu begegnen, zu oft nennen Ungeheuer und Sumpfhexen sie ihr Zuhause, und es besteht immer die Gefahr von Irrlichtern und seltsamen Visionen vom Pfad abgelenkt zu werden." Die Augenbrauen des Königs schossen in die Höhe, seine einzige Reaktion. Samir wusste, warum – auf der einen Seite musste das genau sein Gedankengang gewesen sein, auf der anderen Seite wollte er Samir nicht zugestehen, sich so einfach in ihn einfühlen zu können.

„Aber mit genug Mut und Standhaftigkeit können wir das Moor durchqueren und werden sicher sein vor neuen Angriffen der Kobolde."

Er endete ebenso ruhig wie er begonnen hatte, ohne seinen Blick auf jemand bestimmtem ruhen zu lassen, auch wenn er sich hauptsächlich an den König und Vitus gewendet hatte. Samir wünschte sich, er konnte sie besser einschätzen. Auf seinen Reisen hatte er schon viel mit stolzen Männern wie ihnen zu tun gehabt, die von Misstrauen und Argwohn geblendet nur widerwillig auf seine Worte hörten oder ihn wie einen Gleichgestellten behandelten, aber noch nie war es so wichtig gewesen, dass sie ihren Stolz zu überwinden lernten und mit ihm zusammenarbeiteten. Er erwartete nicht, dass sie sich augenblicklich zu Freunden wandeln würden, aber er hoffte darauf, dass ihre Vernunft und ihr Willen, den rechten Weg zu finden, stärker sein würden als ihre Abneigung.

Samir weigerte sich, es Hass zu nennen, auch wenn Sharif davon gesprochen hatte und die Soldaten Mahut und Rami ihre Zustimmung gemurmelt hatten. Es bestand immer Hoffnung, den Abendländern ihre guten Absichten endgültig klar zu machen. Mit Hagen fehlte nicht mehr viel zu diesem Ziel, das spürte er, auch wenn der Gotunder Prinz sich genau jetzt von den anderen Hoheiten zurückgezogen hatte und sie ihren Argumenten überließ, den Kopf zum Moor hin gewandt.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt