Hagen wünschte sich, die Trolle hätten Prinz Samir den Garaus gemacht, bevor all der andere Unsinn geschehen konnte.
Nun, natürlich wünschte er sich das nicht. Er selbst hatte von den Ereignissen fast nur aus den Erzählungen der anderen Männer gehört, aber selbst zwei seiner gotundischen Soldaten, die sich bisher sehr mit Lob für die Morgenländer zurückgehalten hatten, priesen dabei den Wanderprinzen und seine Opferbereitschaft in den höchsten Tönen. Wenn er den heutigen Tag nicht überlebt hätte, dann würden sie seinen Verlust wohl bald schmerzlich spüren – auch wenn die alten Feindseligkeiten unter ihnen, die er für begraben gehalten hatte, auf ein Neues entflammt waren, stärker als zuvor.
Für den Zusammenhalt wäre es einfacher gewesen, wenn er gestorben wäre, bevor der Junge ihm zur Hilfe eilen konnte. Auch wenn es ungewiss war, wie groß ihre Aussichten auf Überleben gewesen wären, wenn er sie nicht mit seinen seltsamen magischen Fähigkeiten gerettet hätte.
Hagens Blick wanderte zu Djadi, der an den Felsen gelehnt unruhig schlief, das Heilmädchen neben ihm im Sitzen eingedöst, eine Hand noch halb auf dem feuchten Tuch, das sie ihm auf die Stirn gelegt hatte. Ohne das ständige aufgeweckte Grinsen auf seinen Lippen und die weit aufgerissenen, neugierigen Augen sah er älter aus, fast so alt wie sein Herr. Alt genug, um zu verstehen, was für Konsequenzen seine Taten haben konnten, alt genug, dass man ihm einen guten Willen zuschreiben konnte, statt nur impulsives Handeln.
Er hatte mit ihm gesprochen, das erste Mal, dass die Männer ihn der Zauberei beschuldigt hatten und damals hatte er schon gemerkt, dass Djadi eine viel zu ehrliche Seele war, um ihnen etwas Böses antun zu wollen. Abgesehen davon, dass er jetzt über die Natur seiner Fähigkeiten Bescheid wusste und sie nichts mit den Vorgängen zu tun hatten, die die Männer das erste Mal misstrauisch gemacht hatten. Auch wenn seine beiden Fürsten und König LePapin nicht gewillt schienen, ihm irgendwie Freundlichkeit entgegen zu bringen – Hagen wusste, dass es das einzig richtige war, ihn zu verteidigen.
Bis auf ihn und zwei Wachen schliefen alle Männer, notdürftig zusammengerollt auf der knappen freien Fläche zwischen den Felsen. Sie ragten zu ihren Seiten und vor ihnen hoch auf und ließen wenig Weg frei, über den sich irgendwelche Kreaturen zu ihnen schleichen konnten, die selbst den Dornen ausweichen wollten. Aber einen guten Fluchtweg gab es auch nicht, nur schmale Pfade, auf denen man allzu leicht das Gleichgewicht verlieren und in die Dornenranken auf den umliegenden Felsen stürzen konnte.
Je früher sie diesen Teil des verfluchten Königreichs verlassen hatte, desto wohler würde er sich fühlen. Zu allen Seiten von Dornen umgeben zu sein, hatte sich am Anfang wie eine große Herausforderung angefühlt – jetzt sehnte er sich fast danach zurück, weil es ihm wenigstens vertraut war. In der Ferne hörte er es wieder dumpf grollen, wahrscheinlich hatten die Trolle sich ohne Beute wieder gegenseitig angefallen.
Ein Aufkeuchen und dann schneller werdendes Atmen holten ihn aus seinen Gedanken. Djadi musste einen Albtraum bekommen haben, seine Augenlider flatterten und er zuckte mit den Armen und Beinen, so sehr dass es Lorelei neben ihm aus dem Schlaf schreckte, leise stöhnte, den Stoff von seiner Stirn nahm und verschlafen nach dem Wasserschlauch tastete.
„Geh wieder schlafen", unterbrach sie Hagen leise und überraschte sich damit selbst. Sie blinzelte ihn nur träge an und setzte dann an, zu nicken, wobei ihr allerdings der Kopf wieder auf die Brust fiel und nicht mehr nach oben kam. Wenn Hagen genau hinhörte, konnte er zwischen Djadis angestrengtem Atem ihre ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge hören.
Hagen sah sich rasch um, ob jemand anderes gestört worden war, doch die Männer regten sich nicht. Er griff nach dem Wasserschlauch, nahm dem Mädchen vorsichtig den Stoff aus der Hand und benetzte ihn, bevor er sich neben Djadi in die Hocke begab und ihm das feuchte Tuch wieder auf die Stirn legte.
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Dornen - Das verwunschene Königreich
FantasyJeder kennt die alten Geschichten über die verfluchte Prinzessin, die in ihrem Schloss tief im Dornenwald zu ewigem Schlaf verdammt ist, bis ein würdiger Held sie und ihr Königreich erlöst. Viele sind über die Jahre ausgeritten, um dieser Held zu...