Von Träumen und Pflichten

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Wenn er auf dem Weg nach draußen vor die Stadt noch gehofft hätte, dass Prinz Hagen sich durch den kurzen Besuch beim Wanderprinz etwas beruhigen würde, so hätte Norwin sich schwer getäuscht.

Auf dem Rückweg ging er noch schneller und stechender als auf dem Herweg, und ließ sich auch durch seine Rufe oder das überraschte Aufkeuchen der Menschen in seinem Weg nicht mehr davon abbringen. Gleichzeitig sprach er kein Wort, bis sie das Schloss wieder erreicht hatten und den leeren Gang in die Richtung von Hagens Gemächern eingeschlagen hatten.

Kaum hatten sie die schwere Eichentür zu seinem Empfangsraum hinter sich zu fallen lassen, schlug Hagen sich beide Hände vor die Stirn und brüllte, lang und gepresst.

Norwin blieb am Eingang stehen, damit er jeden neugierigen Diener wieder hinausschicken konnte, der womöglich trotz der dicken Mauern von dem Lärm angelockt wurde und setzte zu Sprechen an. Als er nichts zu sagen wusste, schloss er den Mund wieder.

„Welche Dreistigkeit", sagte Hagen schließlich, seine Wut kaum versteckt. „Hast du seine Augen gesehen? Der Wanderprinz und seine Konsorten wissen genau, dass mein Vater es nie zulassen würde, dass ich mich selbst auf die Reise nach Ilreth begebe! Dass sie es wagen ..."

„Oder vielleicht wollten sie tatsächlich nur höflich sein", gab Norwin zu bedenken. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie gelogen haben. Spätestens wenn die Gesandtschaften der anderen Königreiche eintreffen, wissen wir, ob es ihnen ernst ist."

„Wer weiß, was ihnen die anderen tatsächlich zugesagt haben – du kennst sie und ihre Gepflogenheiten nicht", schnaubte Hagen und begann, aufgebracht Kreise um den mächtigen Sekretär zu ziehen, an dem er gewöhnlich seine Papierarbeit erledigte. „Ich musste schon oft genug mit Kafferhändlern abhandeln, die immer schön genickt und gegrinst haben und am Ende doch versucht haben, uns um den Zoll zu betrügen. Im Morgenlande wie im Mittagslande da rollen einem die Lügen nur so von der Zunge, ohne dass man dabei jegliche Scham empfindet, glaube mir."

Er ballte die Hände zu Fäusten.

„Und ausgerechnet einer dieser verlogenen Kamelprinzen will mir in der Errettung der Prinzessin Elwa zuvorkommen. Nach allem was wir wissen, könnte es sich bei ihnen nur um einen besonders großen Zug an Händlern handeln, die glauben, sich nicht nur einen falschen Adelstitel, sondern auch den Sieg über den Fluch mit Gold erkaufen zu können."

Norwin musste seine zuckenden Mundwinkel unter Kontrolle halten. Er fühlte mit Hagen mit – auch ihm war der Gedanke nicht geheuer, dass ein vollkommen fremder Prinz den Thron von Ilreth besteigen könnte und wenn tatsächlich aus allen Reichen außer Gotund die Männer ihr Glück versuchen würden, war es wie ein Schlag ins Gesicht für ihr Königreich. Doch wilde Theorien zu spinnen, half auch nicht dagegen.

„Die Geschichten des Wanderprinzen hört man nah und fern, mein Prinz", sagte er, „Sein Wappen ist unverkennbar und selbst die fernsten Händler bringen die selbe Kunde von seiner Herkunft. Ich fürchte fast, sein Adel ist ohne Zweifel."

Hagen schnaubte unwillig auf und blieb an einem der drei hohen Fenster stehen, durch die helles Licht in die Kammer fiel.

„Der Wanderprinz soll in seinen eigenen Geschichten bleiben und nicht mit meiner ins Gehege kommen."

„Er bringt viele Männer mit", sagte Norwin bedächtig. „Und mehr werden von unseren Nachbarn folgen, wenn alles wahr ist. Wenn du deinen Vater überzeugen könntest, ihn zu begleiten, habt ihr vielleicht eine größere Aussicht auf Erfolg als ihr es bei einem alleinigen Versuch der Reise hättet."

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt