Die Wegweisende

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Selbst der ausbrennende Karren ließ Lore nur kurz blinzeln, bevor sie zurück ihn ihren zielstrebigen Trott verfiel, die rechte Hand fest am Geschirr der Ochsen, die störrisch brüllten und sich nur mit viel Widerstand nach vorne ziehen ließen, selbst unter Ortruns knallender Peitsche.

Albin konnte sich über ihre Unerschrockenheit nur wundern. Er hatte genug andere Diener und selbst hochrangige Soldaten immer wieder dabei ertappt, wie sie nervöse Blicke in die Dornen um sich herum warfen, aber Lore stapfte immer nur entschlossen vorwärts und ließ sich auch nicht von fernem Rascheln oder Flattern aus der Ruhe bringen. Und es war ihm nicht so, als gab sie ihre Zuversicht nur vor, wie Qamar es tat, die unter seinem Blick immer jedes Mal tief einatmete und die Brust nach vorne streckte wie ein Soldat, der Haltung annahm. Glaubte sie sich unbeobachtet, war sie aber genauso fahrig in ihrer Aufmerksamkeit wie die meisten anderen, auch wenn es in der Nähe von Ortruns Karren besser geworden war.

„Und schon wieder kein Durchkommen", regte sich Lore auf, als sie von der Lichtung mit dem brennenden Karren dem engen Weg weiter folgen wollten, der für die zwei Ochsen nebeneinander aber zu schmal war.

„Wo sind denn unsere Muskelmänner wieder hin?"

Jeder andere in ihrer Nähe war zu sehr von dem brennenden Wagen abgelenkt gewesen, um dem Weg vorwärts allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken.

„Ist das einer von uns?", murmelte ein Knecht brüchig.

„Blödsinn", fuhr ihn Ortrun von ihrem Kutschbock an, „Die großen Wagen kommen alle nach uns gefahren."

„Es ist der Melancer-König-Wagen", verkündte Qamar ihnen selbstzufrieden und Albin sah sie überrascht an.

„Woher weißt du das?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Wanderprinz hat Djadi erzählt, Djadi ist zurück um Memnut zu erzählen, Memnut hat Qamar erzählt. Und ihr echt nichts wissen?"

„Ich glaube, die Hoheiten haben gerade andere Sorgen, als all ihre niedersten Diener noch informiert zu halten", meinte Albin.

„Niederste Diener", schnaubte Ortrun kaum hörbar hinter ihm und Lore stemmte die freie Hand in die Hüfte.

„Wird sich jetzt endlich jemand um dieses blöde Grünzeug hier kümmern?"

Die beiden Knechte, die lange, scharfe Messer mit sich trugen, konnten sich endlich von dem Anblick lösen und sprangen rasch nach vorne, um zu beiden Seiten die dicken Ranken wegzuschlagen, bis Lore schließlich die Ochsen hindurchzerren konnte und der Weg wieder etwas lichter wurde. Die Baumstämme standen nicht ganz so dicht, und auch wenn die Dornenranken überall dick um sie wucherten, gingen so doch schmale, gerade so begehbare Pfade in alle Richtungen ab und sorgten dafür, dass sie sich ein wenig zu den Seiten teilten und zwischen den mächtigsten, dornenumrankten Baumsäulen ungewohnt frei umherliefen.

Es war Albin, als könnte er wenigstens ein bisschen leichter atmen, auch wenn es ihn gleichzeitig beunruhigte, dass die anderen nicht mehr dicht an dicht mit ihnen weiterzogen und sie manchmal ganz zwischen hängenden Ranken und vorstehenden Dornenästen verschwanden. Wenigstens Qamar und Lore blieben in seiner Nähe, obwohl beide am Morgen noch verkündet hatten, dass sein Platz wohl an einer anderen Stelle war, irgendwo inmitten der bunten Gefolgschaft des Wanderprinzen.

Aber so sehr Albin die Freundlichkeit seiner neuen Gefährten schätzte, so war es ihm bei Lore doch immer am liebsten – immerhin war er vor allem ihretwegen mitgekommen. Auch wenn er mit jedem Schritt weiter in die Dornen hinein mehr daran zweifelte, ob nicht sie besser geeignet war, um sich um ihn zu kümmern, so sorglos wie sie vorwärts schritt.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt