Nach Gefühl

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Die Tür fiel sehr betont laut hinter seinem Rücken zu, aber Djadi drehte sich dennoch nicht um, zu beschäftigt damit, alle Holzfiguren in dem Zimmer in eine große Tasche zu stopfen.

„Warum wundert es mich nicht, dass ich dich schon wieder hier finde?", fragte Qamar, aber der übliche Spott in ihrer Stimme fehlte und war einer müden Gezwungenheit gewichen.

Djadi wusste genau, warum, und er wollte dennoch keine Einzelheiten wissen. Yusuf lag vergiftet im Wagen der Heilerin und Prinz Hagen hatte von Samirs wahrer Identität erfahren und allen mitreisenden Hoheiten verkündigt und er konnte nicht sagen, ob sich die Neuigkeiten schon bei allen ausgebreitet hatten oder ob sie es erst unter sich ausmachten. In jedem Fall würde es Streit geben.

Alle Maraldurer waren so angespannt wie schon lange nicht mehr, seit die Prinzen rasch in ihrer kleinen Versammlungshütte verschwunden waren, sorgsam darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen. Al-Hashid hatte ihnen befohlen, nach bestem Vermögen in den Häusern zu bleiben, auch wenn die meisten aus Türen und Fenstern hinausspähten und versuchten, sich ein Bild über die Lage zu verschaffen.

Nicht so aber Djadi. Die Hilflosigkeit darüber, als einziger von Samirs Vertrauten zurückgeschickt zu werden, hatte sich über Nacht in Wut umgewandelt, gefüttert von so düsteren Träumen, wie er sie sonst nur selten hatte. Als er in den frühen Morgenstunden erwacht war und weder Samir noch Al-Hashid zu finden waren, hatte er einen Entschluss gefasst. Er wusste nicht, ob alles so funktionieren würde, wie er sich das vorstellte, aber er würde es auf jeden Fall versuchen.

„Djadi!" Qamar packte ihn an der Schulter und zog ihn zu sich zurück, damit sie ihn ansehen konnte.

„Da draußen herrscht jetzt schon das totale Chaos, und du willst dich wieder mit deinen Spielfiguren vergnügen, damit sie vollends auf uns losgehen?"

Er hatte sie selten so gleichermaßen ernst und wütend gesehen, aber sie hatte ihn auch in einem der wenigen Momente erwischt, in dem ihm jeder Ernst völlig gleich war.

„Ich erwecke sie ja auch nicht", erwiderte er, „Ich nehme sie nur mit, für später."

Qamar verschränkte die Arme, als ahnte sie bereits, wie bald er dieses Später meinte.

„Du meinst für dann, wenn wir ohne Prinz Samir oder Al-Hashid oder Sharif und dutzenden wütenden Abendländern unterwegs sind?"

Djadi hielt kurz in seiner Tätigkeit inne.

„Sie werden also trotzdem mit ihnen gehen?", murmelte er. Es war nicht so, als hätte er etwas anderes erwartet. Aber ein kleiner Teil von ihm hatte dennoch gehofft, dass die abendländischen Hoheiten so ungehalten auf das Doppelgängerspiel von Samir reagieren würden, dass sie ihm die Fortreise verweigern würden und sie alle umkehren mussten. Es hätte seinen Plan deutlich einfacher gemacht.

„Man kann ihm schlecht böse für den Trug sein, wenn gerade erst der Mann vergiftet wurde, den man für ihn gehalten hat", sagte Qamar schulterzuckend. „Deswegen halten sich auch die Männer zurück. Sie murren und grummeln und tuscheln zwar, und ein paar von unseren Soldaten sind in kleine Handgemenge geraten, aber im Großen und Ganzen bleiben sie friedlich."

„Fast so, als wäre es Absicht, was Yusuf passiert ist", brummte Djadi. Er fühlte sich schlecht darüber, was geschehen war, besonders für Sharif, dem sie bisher davon abgeraten hatten, sich so bald schon am Krankenlager seines Zwillingsbruders zu zeigen und der rastlos seine Runden durch die Hütte drehte, bis sich endlich ein günstiger Moment ergeben würde. Dennoch konnte er schwer ignorieren, wie einfach es Samir die Offenbarung gemacht hatte.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt