Das Chaos danach

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Hermine


Ruß und Dreck lagen mir schwer in der Lunge. Ich hustete tief, während ich versuchte nicht über meine eigenen Füße zu stolpern, als ich über die grünen Weiten der Länderein runter zum Verbotenen Wald rannte. Das Rennen erschwerte das Atmen nur noch und ich hielt am Waldrand inne. Gierig sog ich die warme Abendluft ein und stütze meine Hände an einem der massiven Baumstämme ab. Ich schloss die Augen und versuchte für den Moment an nichts, außer die leisen Geräusche des Waldes zu denken.

Es ist schon seltsam, dass ich ausgerechnet in diese Richtung gerannt bin. Als hätte ich damals schon die Anziehung gespürt. Wie bei einem schwarzen Loch, das alles in sich aufnimmt, was nicht genug Widerstand leistet. Seit dem ersten Schultag wusste ich, dass der Verbotene Wald seinen Namen nicht ohne Grund hatte. Doch ich hätte mich in meiner gesamten Schulzeit wahrscheinlich nicht so oft dort aufgehalten, hätte er nicht der Verbotene sondern einfach nur der Wald geheißen.

Ich hob meinen Blick in die dunklen Tiefen des Dickichts und wünschte mir, tatsächlich irgendwo zwischen Bäumen und Wurzeln, die so groß waren wie Bäume, verloren zu gehen.

Immer wieder drängten sich Bilder der Schlacht in meine Gedanken. Ich blinzelte und rieb mir die Augen in der Hoffnung, sie würden gleich wieder verschwinden.

Doch sie blieben. Bilder von Tonks und Remus, die von Staub bedeckt und von Blut besprenkelt fast nicht neben den Trümmern des Schlosses zu erkennen gewesen waren. George, der seinen Zwilling so lange hatte wach schütteln wollten, bis Mr. Weasley und Ron ihn mit Gewalt weg ziehen mussten. Das Entsetzen, das sich in Lavenders Gesicht gespiegelt hatte und verriet, dass sie unter Schmerzen gestorben war. Dieses Gesicht würde mich von nun an begleiten und mir das Versäumnis einer Freundschaft vorhalten. Sie hatte niemanden, auch mir nie etwas getan und doch lag sie nun dort und nicht ich.

Plötzlich wurde ich mir in brutaler Härte meiner eigenen Vergänglichkeit und der lächerlichen Willkür des Todes bewusst. Das Bisschen, was sich in meinem Magen befand erbrach ich vor meinen Füßen. Ich trat einen Schritt zurück und wischte mir mit dem Ärmel über den Mund. Ich war froh, nicht vor den anderen erbrochen zu haben.

Sobald Voldemort gestorben war und seine Gefolgsleute nicht lange auf sich warten ließen, bis sie apparierten, entstand erneutes Chaos. Alle hatten durcheinander gerufen, versucht, die schweren Trümmer zu bewegen und regungslose Körper wiederzubeleben. Für eine Weile hatte es niemand gewagt inne zu halten, zu weinen und die Toten zu betrauern. Jede Hand wurde gebraucht, jedes bisschen Hoffnung umarmt, bis zum Schluss alles erdenkliche versucht worden war. Mit der Stille kam dann die Erkenntnis. Sie waren tot und würden niemals wieder kehren. Wir konnten nichts mehr tun als sie zu bergen und uns in den Armen zu liegen.

Das war der Moment gewesen, an dem ich es nicht mehr aushielt. Nichts mehr tun zu können und sich der Opfer des Krieges bewusst zu werden schien mir unerträglich. Ich war nicht in der Lage gewesen, mich selbst zu trösten, wie hätte ich dann für jemand anderen da sein können? Als sich alle in den Armen gelegen hatten, war ich immer noch in Alarmbereitschaft gewesen. War es wirklich vorbei? Waren alle Kämpfe gekämpft? War Voldemort wirklich nicht mehr Teil dieser Welt? In keiner Form? Ich konnte es einfach noch nicht glauben und wollte mich nicht auf diesen Gedanken ausruhen.

Ich hustete noch einmal, wischte mir den Schweiß aus den Augen und drehte mich zum Schloss um. Trotzig stand es dort, mit seinen immer noch riesigen Gemäuern. Es würde nicht allzuviele Bauarbeiten benötigen, bis es wieder bewohnbar war. Es war im Moment mein einziges zu Hause, solange meine Eltern nichts von meiner Exitenz ahnten. Ich müsste mir irgendwann auch darüber Gedanken machen, wie es weiter gehen sollte. Aber das konnte noch ein paar Tage warten.

Als ich meinen Zauberstab hervorholte, um mir etwas Wasser herzuzaubern, bemerkte ich erst, wie stark meine Hände zitterten. Ich ließ ein wenig Wasser in meine Handfläche fließen, nahm ein paar Schlücke und wusch mir das Gesicht. Ich war noch nicht bereit, wieder zurück zu gehen, setzte mich auf den Boden und lehnte mich an das weiche Moos eines Baumstamms.

In meinem Kopf machte sich ein dumpfes Gefühl breit und meine Augenlider fühlten sich auf einmal schwer wie Blei an. Ich beschloss sie kurz zu schließen. Sofort flackerten wieder Bilder toter Gesichter vor meinem inneren Auge auf und ich versuchte zu sie wieder zu öffnen, doch es gelang mir nicht. Ich meinte noch das Knacken zerbrochener Zweige zu hören, doch einen Herzschlag später lag ich schon bewusstlos auf dem Boden.

Geblendet - TomioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt