Tom
Kälte drang durch den Stoff meines Umhangs. Ich zog ihn enger um meine Schultern und blickte zum weit geöffneten Fenster hinüber. Es war bereits nachts, doch ich war froh, dass Professor McGonagall mich für einen Moment aus den Kerkern rausgeholt hatte.
"Ist Ihnen kalt, Mr Riddle?", fragte Professor McGonagall.
"Nein", antwortete ich knapp.
"Wenn doch, dürfen Sie gerne aufstehen und das Fenster schließen", sagte sie mit einem ebenso kalten Lächeln.
Ich sah ihr direkt in die Augen und lächelte zurück. Es dauerte ein paar Sekunden, aber dann knallte das Fenster mit einem Ruck zu. Meine Augen immer noch auf die neue Schulleiterin gerichtet, konnte ich zuerst einen kleinen Schreck, dann die Verwunderung, den Ärger und schließlich die Belustigung in ihrem Gesicht sehen. Sie stand auf und verriegelte das Fenster.
"Damit habe ich nicht gerechnet, das muss ich zugeben", sagte sie. "Aber ich rate Ihnen trotzdem davon ab, ohne Zauberstab zu zaubern." Sie drehte sich zu mir.
Ich runzelte die Stirn.
"Das gerade war kein kontrollierter Zauber", fuhr sie fort. "Lassen Sie es lieber, bevor Sie noch jemanden oder sich selbst unabsichtlich verletzen."
"Was haben Sie jetzt mit mir vor?", fragte ich und versuchte so gelassen wie möglich zu klingen.
"Wir werden gleich Besuch bekommen", sagte sie. "Ich habe den Orden über diese -naja- Situation informiert."
"Den gesamtem Orden?", fragte ich. "Also die, die übrig geblieben sind."
Bevor Professor McGonagall etwas erwidern konnte, flammte es im Kamin grün auf und Kingsley Shaklebolt, der neue Zauberreiminister, stand in der Glut. Ihm folgte Arthur Weasley. Viel war vom Orden wahrlich nicht übrig geblieben. Ich hatte mir einen prächtigeren Empfang erhofft und sah die beiden gelangweilt an.
"Das ist er?", fragte Shaklebolt, der ebenfalls etwas anderes erwartet zu haben schien.
Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen und schwieg.
"Nur weil er sagt, er heißt Tom Riddle, bedeutet das nicht, er ist es auch", warf Weasley ein.
"Nun, Mr Riddle", sagte McGonagall. "Wir sind gespannt auf Ihre Erklärung."
Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen und genoss ihr Unbehagen. Dass ich in diesem oder sonst einem Leben tatsächlich mal erhobenen Hauptes meinen Namen sagen würde, hätte ich nie gedacht. Zum ersten Mal verband ich mit ihm nicht einfach nur meinen unwürdigen Erzeuger. Der Ausdruck in McGonagalls faltigem Gesicht bei meiner Vorstellung hatte Bände gesprochen. Dieser Name beschrieb den Anfang einer Ära, der sich die wenigstens hatten entziehen konnten, ob sie wollten oder nicht. Er bedeutete gleichermaßen Magie, Macht, Furcht und Tod. Er war hier und jetzt mein Startkapital, wieso also einen anderen anlegen? Ich hatte mir natürlich schon gut überlegt, was für eine Geschichte ich ihnen auftischen würde. Dafür musste ich meinen Namen klug einsetzen. Eingach nur Angst verbreiten, würde mir nichts bringen, denn ich war noch lange nicht in der Lage, ihrer Angst gerecht zu werden. McGonagall war beispielsweise so eine Kandidatin, die sich nicht einfach nur von einem Namen einschüchtern ließ. Sie machte diese Situation zwar nervös, da konnte sie mir nichts vormachen, doch sie war auch in der Lage, bei mir die kleinsten Anzeichen von Unsicherheit zu spüren.
Ich hatte nun also mehrere Möglichkeiten, mich vorzustellen. Einfach bei der Wahrheit zu bleiben und zu offenbaren, dass ich ein Seelenteil aus einem Horkrux war, schien mir keine gute Option. Horkruxe waren in der Regel Dinge. Objekte, die gefunden und zerstört wurden. Harry war eine ungewollte Ausnahme gewesen. In dieser Variante würde ich, da war ich mir sicher, niemals als richtiges, lebendiges Wesen wahrgenommen werden. Ich wäre in ihren Augen die verdinglichte Konsequenz eines verschriehenen und verbotenen Zaubers geworden. Mächtig, vielleicht auch mysteriös, doch keine eigenständig denkende und handelnde Person. Also entschied ich mich gegen die Wahrheit. Eine andere Option war lediglich eine Verbindung zu diesem Namen, aber nicht zu Voldemort. So ungewöhnlich sollte es nicht sein, Riddle zu heißen. Es gab mit großer Wahrscheinlichkeit noch andere mit diesem Familiennamen. Ganz zu schweigen von Tom. Meine Eltern hätten auch Unterstützer des Dunklen Lords sein können. Doch überhaupt keine Verwandtschaft zu Voldemort, hätte mir niemand abgekauft, sobald ein altes Bild aufgetaucht wäre. Es lebten bestimmt auch noch Leute, denen ich in meinem alten Leben tatsächlich mal begegnet war.
"Wie schon gesagt", begann ich. "Mein Name ist Tom Riddle" Drei Augenpaare waren gespannt auf mich gerichtet. "Mein Vater trug schon diesen Namen und vor ihm sein Vater, Thomas Riddle." Ich ließ die Worte im Raum verhallen.
"Soll das etwa heißen, vor uns sitzt das Kind von Lord Voldemort?", fragte Shaklebolt.
Kind. Genau da wollte ich hin.
"Richtig", sagte ich.
"Wie kommt es, dass keiner je etwas von einem angeblichen Sohn Voldemorts gehört hat?", hakte McGonagall nach.
"Ich war auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt", sagte ich. "Sie haben mich versteckt."
Verwirrung machte sich in ihren Gesichtern breit. "Wo haben Sie zuletzt gelebt?"
"Bei irgendwelchen Todessern", sagte ich genervt. "Wen interessiert das? Sie sind tot. In der Schlacht gestorben. Ich habe jetzt niemanden mehr und wusste nicht, wo ich hingehen soll."
"Waren Sie denn nicht bei der Schlacht dabei und haben mitgekämpft?", fragte Arthur Weasley.
"Nein. Ich wurde da, wie bei allem, rausgehalten", sagte ich. "Es ist kompliziert. Ich bin nicht bei meinen Eltern aufgewachsen. Mein Vater ist gestorben als ich ein Jahr alt war, nachdem er bei den Potters war. Kurz darauf ist auch meine Mutter im Kampf gestorben. Sie hat mir diesen unglaublich unauffälligen Namen gegeben. Als sie tot war, wurde ich von einer Pflege-Todesser-Familie zur nächsten weitergereicht. Keiner hielt es lange mit mir aus. Sie fanden mich unheimlich und wussten nicht, ob ich vertrauenswürdig war. Als Voldemort wieder zurück war, wurde es schlimmer. Sie trauten sich kaum, mich anzusehen."
"Was ist mit Ihrem Vater? Hatten sie Kontakt, als er wieder da war?", fragte Weasley.
"Nein", sagte ich. "Er wollte mich nicht sehen." Es fiel mir erstaunlich leicht, diese Geschichte zusammenzureimen. Doch wenn ich genau überlegte, war sie gar nicht so weit von der meines alten Lebens entfernt. Beide Eltern gestorben, vom Vater abgelehnt, im Heim aufgewachsen. Bei den Dursleys war immer ein Geheimnis um Harrys Fähigheiten gemacht geworden, was ich natürlich auch zu spüren bekam.
"Zeigen Sie Ihre Unterarme!", befahl Shaklebolt.
Widerwillig zog ich den Umhang aus und legte ihn über die Stuhllehne. Dann zog ich die Ärmel des schwarzen Hemdes hoch. Selbstverständlich waren dort keine Tätowierungen.
"Aber Sie sind bei Todessern aufgewachen?", sagte Shaklebolt. "Sie wurden doch sicherlich ganz im Sinne der dunklen Künste erzogen und unterrichtet?"
Langsam zog ich die Ärmel wieder runter und warf mir den Umhang über. "Ja, ich bekam Unterricht. Genauso weiß ich, was in der Welt passiert ist. Ich wurde nicht in irgendeinem Keller eingesperrt, wie hier." McGonagall zuckte kurz zusammen. "Natürlich bin ich inmitten einer Ideologie aufgewachsen. Aber erhlich gesagt bin ich froh, dass sie alle tot sind. Niemand von ihnen konnte oder wollte mir ein zu Hause geben. Ich weiß, dass Hogwarts immer ein zu Hause für meinen Vater war. Ich hatte einfach gehofft dasselbe zu finden."
Wenn es überhaupt noch möglich war, wuchs ihr Unbehagen noch weiter.
"Nur um das nocheinmal klar zu stellen", sagte McGonagall. "Sie sind kein Todesser? Kein Anhänger Voldemorts."
"Ich bin einfach nur Tom", sagte ich und hob die Schultern.
Schweigen.
"Hören Sie. Ich habe mich nicht selbst gemacht. Ich habe nichts verbrochen." Ich lachte auf.
Wir sahen uns an. Niemand sagte etwas. Doch die Atmosphäre hatte sich verändert. Ich wusste, ich hatte sie um den Finger gewickelt.
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Geblendet - Tomione
FanfictionMit einem Avada Kedavra lassen sich Horkruxe nicht zerstören. Doch niemand ahnt, dass das Seelenstück von Voldemort, welches mehr als 16 Jahre in Harry lebte, mit genau diesem Fluch freigesetz wurde. Es braucht nur noch den Stein der Auferstehung un...