Die Vernehmung

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Tom


Hermine hob ihren Kopf und unsere Blicke trafen sich. Bei Merlin, hat die dämlich geguckt! Ihre braunen Kulleräuglein fielen ihr fast aus dem Gesicht bei meinem Anblick.

Doch so ging es den meisten Leuten, denen ich bisher begegnet war. Ich wusste also schnell um die Macht meines Aussehens. Als schöner Mensch genoss ich in der Regel erst einmal einen Vertrauensvorschuss. Bis zu dem Moment, an dem mein Name fiel. Ich musste noch lernen beides zur richtigen Zeit einzusetzen.

Bei Olivander war alles gut gelaufen, bis er mich erkannt hatte: Zuerst wirkte er bei meinem Ablick irritiert und ich befürchtete er weiß um mich Bescheid. Er zögerte jedoch, erschrack sich dann aber, als exakt derselbe Zauberstab mich aussuchte: Eibenholz mit einem Kern aus Phönixfeder.

Ich stand langsam auf und hielt noch immer den Zauebrstab erhoben. Hermine tat es mir wie ein Spiegelbild gleich, ohne den Blickkontakt abzubrechen.

"Du bist der Todesser aus Olivanders Laden", stellte sie fest.

Ich antwortete nicht. Sie wirkte weniger kampfbereit, als ich erwartet hatte. Ihre Art zu denken war offensichtlich eindimensional genug, um schön und harmlos gleichzusetzen.

"Was hast du hier zu suchen? Was wolltest du von ihm?"

Ich seufzte genervt und zog meine beiden Ärmel hoch. "Ich bin keiner, Okay?"

"Deswegen hat Olivander sich auch fast zu Tode erschreckt und deswegen bist du weggerannt."

Ich hob die Schultern. "Ich habe ihn an jemanden erinnert. Er ist durchgedreht und auf einmal waren irgendwelche Kerle hinter mir her."

"Wie alt bist du?"

Keine Ahnung, dachte ich. Einundsiebzig? Oder so alt wie Harry? Oder doch ein Jahr jünger, da er ein Jahr alt war, als er mein Wirt wurde? War mein Geburtstag nun am zweiten Mai oder an Silvester? Ich entschied mich für Silvester. Den Todestag von Voldemord als meinen Geburtstag zu feiern, schien mir makaber. "Sechszehn?" Es klang wie eine Frage. "Einhalb."

"Was hast du dann in einem Geschäft für Zauberstäbe zu suchen?"

Miss Granger macht einen auf Sherlock Holmes?, dachte ich. Wohl eher sein Anhängsel Watson.

"Meiner ist kaputt." Damit kannte sie sich aus, das wusste ich.

Sie schrie mich fast an: "Und warum hast du mich dann hier hineingezerrt, wie ein Irrer?"

"Ich habe nicht vor, mich von einem wild gewordenen Mob lynchen zu lassen", sagte ich mit ruhiger Stimme.

Ich lauschte an der Tür und hob eine Hand um ihr zu signalisieren, ruhig zu sein. Ich hörte sie nach Luft schnappen, als würde sie etwas sagen wollen. Als ich mich wieder zu ihr umdrehte, um ihr zu sagen, sie soll mir bloß nicht folgen, hielt sie mir ihren Zauberstab direkt ins Gesicht.

"Das kannst du gerne mit den Auroren klären", sagte sie.

Einen Moment später sprang die Tür auf und ein halbes Dutzend Auroren türmte sich auf der Treppe. Kurz war ich versucht ihnen allen einen Fluch aufzuhalsen. Mit Mühe erinnerte ich mich daran, welchen Eindruck ich eigentlich in meinem neuen Leben bei anderen machen wollte: Den des Jungen, der nichts für seine Herkunft kann. Ich hob widerwillig die Arme und ergab mich.

"Sie kommen also freiwillig mit. Schön", sagte eine großgewachsenene Aurorin mit tiefer Stimme.

"Sieht ganz so aus", antwortete ich.

Sie fasste mich hart an der Schulter und fast im selben Moment apparierten wir. Mein ganzer Körper schien sich in lauter kleine Splitter zu zerteilen. Für einen Moment fühlte ich mich, wie bei meinem Erwachen vor ein paar Wochen im Verbotenen Wald. Blitzschnell setzte ich mich wieder zusammen und fand mich in einem kahlen, grauen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen wieder.

"Setzen." Es war nur noch die große Aurorin anwesend.

Ich nahm Platz und merkte in diesem Moment erst, dass ich keinen Zauberstab mehr bei mir trug. Ich hatte ihn vor nicht einmal einer Stunde gekauft und schon war er mir abgenommen worden. Ich spürte, wie heiße Wut in mir aufstieg.

"Wo ist mein Zauberstab?", fragte ich.

"In sicheren Händen." Die Hexe verzog keine Miene.

"Ich will ihn sofort wieder haben!"

"Wie ist Ihr Name?"

Die Tür öffnete sich und ein jüngerer Auror trat herein.

"Wir haben ihn auslesen lassen." Er erhob meinen Zauberstab und runzelte die Stirn. "Er gehört einem Tom Riddle. Er ist erst seit heute in Gebrauch und hat schon einige Schock- und Entwaffnungszauber abgefeuert."

"Tom Riddle, was?", fragte die Aurorin und zog einen Mundwinkel hoch. "Da muss sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt haben."

Die Tür war immer noch geöffnet und ich hörte auf einmal laute Stimmen. "Lassen Sie mich durch! Was fällt Ihnen eigentlich ein?"

Minerva McGonagall stand plötzlich in der Tür. "Du: mitkommen!" Sie zeigte auf mich.

"Professor McGonagall, wir sind mitten in einer Vernehmung", sagte die Aurorin.

"Ich erledige den Rest." Sie ging um den Tisch und griff nach meinem Arm.

Ich befreite mich aus ihrem Griff und stand auf. "Mein Zauberstab", sagte ich an die Aurorin gerichtet und streckte meine Hand aus.

Doch diese stellte sich uns in den Weg. "Ich will erst wissen, wer das ist und warum Olivander ihn für einen Todesser hält."

McGonagall überlegte. "Aber natürlich! Sie wollten sich einen Zauberstab kaufen und Olivander hat sich erinnert."

"Woran erinnert?", fragte die Aurorin durch zusammengebissene Zähne. "Wenn Sie nicht kooperieren, kann ich Sie beide vernehmen lassen."

"Jetzt machen Sie mal halblang!", rief McGonagall. "Ohne einem Vormund Bescheid zu geben, haben Sie einfach einen Schüler festgenommen und zu einem Verhör gezwungen."

"Ist er minderjährig?"

McGonagall schaute mich an. Ich nickte kurz. Theoretisch stimmte das. Im Moment schien ich diesen Welpenschutz gebrauchen zu können.

"Und wer ist sein Vormund?"

"Ich schätze, das bin erst einmal ich", sagte McGonagall.

Mir drehte sich der Magen um. Ich schloss die Augen und atmete hörbar ein und aus.

"Seien Sie ruhig genervt, Mr. Riddle", sagte McGonagall. "Irgendwann werden Sie dankbar sein, dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die Ihnen eine Chance geben."

"Die mir eine Chance geben?", rief ich lachend. "Ich habe Ihre Toleranz gar nicht nötig! Ich sitze hier allein aufgrund meiner Abstammung und werde wie ein Schwerverbrecher behandelt. Hier hat sich doch gar nichts verändert, seit der letzten Regierung."

"Moment mal", sagte die Aurorin. "Das soll wirklich Tom Riddle sein?"

"Sein Sohn", sagte ich, ohne sie anzublicken.

"Stimmt das?", fragte sie an McGonagall gerichtet.

"So weit ich weiß, ja. Shakleboldt weiß auch Bescheid."

"Und wieso habe ich noch nichts davon erfahren?"

McGonagall schüttelte den Kopf. "Es kann doch nicht sein, dass für den neuen Schüler ein ganzer Staatsakt initiiert werden muss. Wissen Sie eigentlich, was mit jungen Menschen passiert, wenn sie immer und immer wieder kriminalisiert werden?"

Ich setzte mich wieder und lehnte mich zurück. Das läuft ja ganz von alleine, dachte ich zufrieden.

Geblendet - TomioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt