Diese kleinen unentdeckten magischen Dörfer

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Hermine


Mein Herz raste noch immer in meiner Brust. Ich saß mit angezogenen Knien auf dem Tisch und lauschte Toms leiser werdenden Schritten, bis sie schließlich ganz verhallten. Als sich mein Herzschlag langsam beruhigte, nahm ich erst dieses seltsam leere Gefühl in meiner Brust wahr. Es war kein schlimmes Gefühl. Eher wie ein Raum der absoluten Stille. Ein Raum ohne Licht aber auch ohne Dunkelheit. Ohne Wärme aber auch ohne Kälte. Ein Nichts, das sich wie eine dumpfe Decke über mich legte. Eine Weile verharrte ich noch so, schloss die Augen und gab mich diesem Gefühl oder besser diesem Nicht-Gefühl ganz hin.

Als ich die Augen wieder öffnete, fand mein Blick die Karte zur Migration magischer Kulturen. Er wanderte ungewollt dorthin, wo Tom ganze Dörfer vermutete, die völlig autark lebten. Angeblich. In meinem Gedanken formten sich Bilder der Hexen und Zauberer dort. Hatten sie überhaupt etwas vom Krieg mitbekommen? Oder hielten sie sich bewusst raus? Ich stellte mir eine Gruppe Aussteiger vor, die unter einfachen Verhältnissen im Wald lebten. Denen Häuser und der Blutstatus egal war. Die nach ihren eigenen Regeln lebten und sich vor niemandem fürchten mussten, weder Magiern noch Muggeln, weil niemand von ihnen wusste. Weil sie egal waren.

Würde ich in so eine Gesellschaft passen?, fragte ich mich. Würden sie mich aufnehmen? Wenn es überhaupt stimmte. Woher sollte Tom von unentdeckten Gruppen wissen? Jemand, der behauptet sein Leben in Isolation gelebt zu haben. Er hatte sich sicherlich nur wieder aufgespielt. Trotzdem tat es gut, sich in diesem Moment in meiner Fantasie an einen Ort zu flüchten, an dem alles anders war. An dem mich niemand kannte. Meine Herkunft egal war, meine Ambitionen egal waren. Wo ich einfach nur sein konnte. Ganz von vorne anfangen konnte.

Langsam stieg ich vom Tisch und ging zum Fenster, öffnete es und schloss die Augen als ich die kühle Luft einatmete. Bis es in meiner Nase kribbelte und ich plötzlich alles um mich herum viel deutlicher wahrnahm. Auch meinen eigenen Körper spürte ich mehr. Die Gänsehaut auf meiner feuchten Haut, meine wunde Mitte und meine steifen Kiefermuskeln. Schnell schloss ich das Fenster wieder und wollte auf einmal so schnell wie möglich weg. Wohin? Keine Ahnung. Erstmal aus diesem Raum raus, in dem noch Toms bitter-süßlicher Geruch schwebte.

Ich eilte den Korridor entlang, ohne an ein Ziel zu denken. Das einzige, woran ich denken konnte war dieses Dorf, oder diese seltsame Fantasie. Das Dorf, in dem ich verschwinden würde, bis ich mich selbst zu einem Mythos auflösen würde.

"Passwort?"

"Was?" Ich blickte hoch.

Die Fette Dame sah genervt auf mich herab. "Passwort", sagte sie noch einmal langgezogen.

"Cirsium... äh...heterophyll... phyllum. Glaube ich."

"Falsch." Die Dame drehte sich von mir weg und holte einen Handspiegel hervor.

"Was? das kann nicht sein. Kommen Sie schon. Sie kennen mich doch!", sagte ich genervt. Ich wollte einfach nur unter die Dusche und in mein Bett.

"Das tue ich, liebe Miss Granger." Sie betrachtete sich im Spiegel und fuhr mit einem Finger über ihre feinen Stirnfalten. "Die in sieben Jahren nicht einmal das Passwort vergessen hat."

"Machen Sie schon auf!"

Jetzt sah sie mich an. "Die mir gegenüber nicht einmal laut geworden ist." Sie hob eine Augenbraue. "Nein."

Frustriert stöhnte ich auf und wühlte hektisch in den kleinen Taschen meiner Strickjacke. Ein paar Notizzettel und eine kleine Pergamentrolle fielen heraus. "Moment... Irgendwo hier habe ich..."

"Ist schon gut. Ich mach das." Jemand legte seine Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich um, Zacharias Avery trat neben mich und blickte zum Portrait. "Sichelmond."

Geblendet - TomioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt