Tom
"Du kannst wirklich keinen Patronus heraufbeschwören?" Fawley kam mir lachend im Gemeinschaftsraum entgegen. "Keine glücklichen Erinnerungen? Armer Tom. Vielleicht musst du einfach mal in den Arm." Theatralisch streckte er seine Arme aus.
Bevor er mich antatschen konnte, zückte ich meinen Zauberstab und entschied mich für einen klassischen Schockzauber. Fawley flog durch die Luft und landete auf dem Schoß eines hageren Sechsklässlers, der immer kalkweiß wurde, sobald er mich erblickte.
"Sieht so aus, als würdest du gerne mal auf'n Arm, Fawley", rief ein anderer.
Alle im Gemeinschaftsraum lachten und Fawley wurde rot vor Zorn.
Er richtete sich auf und schien kurz zu überlegen, ob er mir ebenfals einen Fluch aufhalsen sollte, murmelte dann aber trotzig etwas und ging zu einer anderen Gruppe Siebtklässler.
Ich setzte mich auf eine Couch und blätterte gelangweilt im Schulbuch zu Verteidigung gegen die dunklen Künste herum.
Zack setzte sich zögerlich neben mich. "Alles in Ordnung?"
Ich sah ihn an und merkte, wie etwas in meinem Blick ihn zusammenzucken ließ. "Was willst du, Zack?"
"Wieso kannst du keinen Patronus heraufbeschwören?"
Ich wusste, dies war keine Frage aus Mitleid und musste leicht schmunzeln, während ich den Blick nicht vom Buch nahm. "Du weißt warum."
"Ich dachte du wärst keiner. Kein Todesser."
"Bin ich auch nicht. Todesser ist nur ein Name und ein Tattoo. Das brauche ich nicht um mich gewisser Zauber zu bedienen."
Dementoren waren im Krieg die natürlichen Verbündeten Vokdemorts und der Todesser gewesen. Es war nicht so, dass sie volkommen vor ihnen sicher waren, schließlich wurden Todesser vorher in Askaban bewacht, aber was sie vereinte war die dunkle Magie. Viele Todesser waren entweder nicht in der Lage oder zogen es unter Voldemort erst gar nicht in Erwägung, einen Patronus-Zauber zu lernen. Dadurch war das Gerücht entstanden, Todesser seien genau daran zu erkennen. Die wenigsten wussten, dass Voldemort niemals selber einen heraufbeschworen hatte. Sie hätten sich dabei nichts gedacht, aber ich wusste, er konnte es einfach nicht. Nach ein paar jämmerlichen Versuchen in seiner Jugend ließ er es einfach sein.
"Kannst du einen heraufbeschwören?", fragte ich ihn und hob eine Hand, bevor er antworten konnte. "Und erspare mir bitte, woran du dabei denkst."
Er sah mich kurz verdutzt an. "Ja, kann ich."
"Siehst du, du bist zwar kein Todesser, aber scharf drauf, einer zu werden. Das hindert dich auch nicht daran. Keinen Patronus kreieren zu können, identifiziert einen nicht unbedingt, ein Todesser zu sein."
"Aber hast du keine Angst, mal einem zu begegnen? Sie stehen momentan unter keinem Kommando und könnten dir aus reinem Durst die Seele aus dem Leib saugen."
Ich klappte das Buch zu und fragte mich, ob ich überhaupt genug in mir trug, das man eine Seele nennen konnte. Auch wenn die Erinnerungen, wie es sich als Tom Riddle angefühlt hatte, immer mächtiger zu werden, blass waren, wusste ich, dass ich im Vergleich zu meinem Original noch viel zu schwach war. Als Voldemort damals auf dem Friedhof wieder Gestalt angenommen hatte, geschah das mithilfe der Knochen seines Vaters und Harrys Blut. Meine Auferstehung wurde durch Wasser und Erde vollbracht. Elemte, die zwar Leben hervorbrachten, aber keine Seele nährten. Das konnten nur Menschen selber. Ich musste schnell herausfinden, was meine Seele stärker machen würde. Zum jetzigen Zeitpunkt hätten Dementoren wahrscheinlich kein Interesse an mir, ich war aber auch noch nicht in der Lage, einen Horkrux zu erschaffen.
"Zur Not würde ich mit den Dementoren verhandeln. Ich habe keine Angst vor ihnen und kann sehr überzeugend sein", sagte ich.
"Was das angeht... bald steht die Ernennung zum Schulsprecher an. Ich finde, du solltest das sein."
Natürlich sollte ich das. Es würde schließlich nicht das erste Mal sein. So könnte ich anfangen das Vertrauen einiger Mitschüler zu gewinnen und sie könnten sich schon mal an ihren neuen Anführer gewöhnen.
"Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich werde der Schulleiterin mein Interesse bekunden."
Zack lehnte sich etwas zu mir und senkte die Stimme. "Was war das eigentlich zwischen dir und Professor Malfoy? Es wirkte fast so als würde er dich... verachten?"
"Er rächt sich dafür, dass der Dunkle Lord ihn gequält hat. Vor allem dafür, dass er seinen Sohn Draco benutzt hat. Das lässt er jetzt an mir aus."
"Willst du das nicht melden?"
Ich lachte auf. "Nein, ich werde mich selbst darum kümmern. Der Mann scheint eine große Angst hinter seiner Überheblichkeit und Verachtung zu verstecken." Ich steckte mein Buch zurück in die Tasche. "Ich muss noch in die Bibliothek."
Bevor er mir vorschlagen konnte, mich zu begleiten, schwang ich meine Tasche über die Schulter und machte mich auf den Weg. Ich musste alleine sein und über etwas nachdenken. Ich fragte mich zum ersten Mal ernsthaft, was eine Seele eigentlich war. Eine Abfolge biochemischer Prozesse? Die Ausschüttung bestimmter Hormone, damit wir zur richtigen Zeit Angst, Lust, Freude empfanden? Oder war es mehr, der Kern unseres Seins? Das alles brachte mich kein Stück weiter.
In der Bibliothek suchte ich zuerst in der Abteilung über Philosophie in der magischen Welt und fand einige Bücher über die Suche nach der Entschlüsselung der Seele, die so alt zu sein schien, wie Magie selbst. In einer Abteilung zu Heiltränken fand ich einen Beitrag zur Seele in einem Buch über Einhörner und die Wirkung ihres Blutes. Aber natürlich auch, dass dies gefährlich und verboten war, was mir herzlich egal war. Sollte ich es nicht bald schaffen, meine Seele zu stärken, würde ich auf Einhornblut zurückgreifen müssen.
Schließlich fand ich ein Buch mit dem Titel Kräfte des Inneren, welches sich weiter hinten mit Seelen beschäftigte. Ich setzte mich mit dem Stapel in einen leeren Gang und fing an zu lesen: Seit jeher gilt die Seele sowohl bei Magiern als auch bei Nichtmagiern als die Essenz des Seins ... verankert die Individualität eines jeden Subjekts ... unsterblich ... nicht körperlich ... von höherer Natur ... der menschliche Körper wiegt 21 Gramm weniger, wenn er stirbt ... Das alles klang nach nicht mehr als esoterischen Muggelphantasien. Hoch entwickelte Seelen sind oft alte Seelen, die viele unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben. Sie fühlen sich in der Regel von Materiellem und Egoistischem abgestoßen. Diese Seelen haben gelernt Freude genauso wie Trauer und Schmerz zuzulassen. Eine Seele stärkt somit, was sie gleichzeitig verletzlich macht.
Um unsterblich werden zu können musste ich also zuerst verletzbarer werden? Um das Mensch-Sein zu überwinden menschlicher werden? Was würde dann von mir überbleiben? Eine verweichtliche Version, eine Karrikatur meiner selbst? Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht zu solch niederen Gefühlsduseleien herablassen. Ich hatte gelernt Wut zuzulassen. Zählte das auch? Wahrscheinlich nicht, denn dieser ganze Seelenkram richtete sich stets gegen einen selbst: Werde stark, indem zu weich wirst; erlange Macht indem du ihr absprichst.
Ich fuhr mir mit der Hand durch meine Haare. Es musste einen anderen Weg geben. Hektisch las ich den Abschnitt nochmals durch. Alt war ich theoretisch, doch an praktischen Erfahrungen mangelte es noch etwas. Bevor ich meinen ersten Horkrux erschaffen würde, musste ich also zuerst auf die 21 Gramm kommen und... Erfahrungen sammeln.
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Geblendet - Tomione
FanfictionMit einem Avada Kedavra lassen sich Horkruxe nicht zerstören. Doch niemand ahnt, dass das Seelenstück von Voldemort, welches mehr als 16 Jahre in Harry lebte, mit genau diesem Fluch freigesetz wurde. Es braucht nur noch den Stein der Auferstehung un...