Bei der Wahl seiner Feinde kann man nicht vorsichtig genug sein. ~Oscar Wilde
Tom
Dies sollte also unser erstes richtiges Aufeinandertreffen sein. Nicht, dass ich es mir irgendwie als etwas Besonderes gewünscht hatte, aber die beste Freundin meines besten Feindes in ihrem eigenen Erbrochenen liegen zu sehen, hatte ich nicht erwartet. Und das hatte ich mir bestimmt nicht gewünscht.
Ich stand über ihr, die Hände in die Hosentaschen vergraben und rümpfte die Nase. Was von außen wahrscheinlich arrogant ausgesehen haben musste, diente mir vor allem zum Selbstschutz. Ich konnte mir nicht erklären wieso, aber neben einem Gefühl des Ekels verspürte ich gleichzeitig den Drang ihr das ungepflegte, wirre Haar aus dem Gesicht zu streichen, das mattbraun an ihrer glänzenden Stirn klebte. Wie klein und erbärmlich sie doch wirkte. Wie verletzlich und schwach.
Als Seelenteil im Körper der schmächtigen Brillenschlange hatte ich die Welt nie so sehen können, wie Harry sie sah. Alles war verschwommen und undeutlich, flackerte auf und war sofort wieder verschwunden. Außer in seinen Träumen, da hatte ich die Oberhand, schenkte ihm Bilder aus meinem früherem Leben und zwang ihn, alles Negative, was er den Tag über durchlebte, nocheinmal mit mir zu teilen. Er hasste die Nacht, hasste es ins Bett zu gehen und zu träumen und wachte zu meinem Bedauern immer viel zu früh wieder auf.
Sie hatte ich jedoch sofort erkannt. Ob es ihr Gang war, ihr Husten, die Magie in der Luft, sobald sie ihren Zauberstab hervorholte - ich konnte es nicht genau sagen, ich wusste es einfach.
Ich ging in die Hocke, um ihr Gesicht besser betrachten zu können. All die Jahre hatte ich immer gehofft, er würde von ihr träumen. Ein einziges Mal hatte er mir einen kurzen Blick auf die zierliche Gryffindor gewährt: Snape versuchte ihm Okklumentik beizubringen. Es war nur ein Gedankenfetzen, als sie sich Harry lachend um den Hals schmiss. Lange dachte ich, er wäre in sie verliebt oder würde es sehr bald sein. Die Verbundenheit und Geborgenheit, die er in ihrer Nähe spürte war anders, als bei allen anderen Menschen um ihn herum. Es war auch anders als bei Ron, denn ihr vertraute er bedingungslos. Er nahm jedes ihrer Worte für bare Münze und vertraute ihr blind. Er hielt sehr viel von ihren Fähigkeiten und beneidete sie insgeheim dafür. Er wusste, dass er ohne sie niemals so weit gekommen wäre. Ich wäre wahrscheinlich noch in zig Varianten auf dieser Welt und würde so schnell nicht um mein Leben bangen müssen. Sie war die eigentliche Heldin der Harry-Potter-Abenteuer. Die Strippenzieherin im Hintergrund. Ich habe früh angefangen, sie zu beobachten, ihren Worten ganz genau zu lauschen und Harrys Gefühle ihr gegenüber wahrzunehmen. Doch er träumte nie von ihr und verwehrte mir so, sie richtig zu betrachten, die Hexe, dich mich am Ende fast ausrottete.
Trotz meines Bedürfnisses, sie zu beobachten, hatte ich ihr nie dieselbe Erfurcht, wie manch anderer entgegengebracht. Sie genoss in ihren jungen Jahren hohes Ansehen in der Zaubererwelt. Die Leute bejubelten sie umso mehr für ihren dreckigen Blutstaus. Doch ich hatte sie schon immer durchschaut. Eine kleine Streberin, die aus Mangel an natürlichem Talent die Nächte in der Bibliothek verbrachte. Als Muggelgeborene war sie stets getrieben, allen vorzumachen, sie könne mithalten. Ihre gute Menschenkenntnis verdanke sie nicht einer guten Intuition, sondern der Tatsache, dass sie jedem neuen Menschen in ihrem Leben zuerst Misstrauen entgegenbrachte. Das war keine große Kunst, sondern pure Verzweiflung. Sie wusste, sie gehörte nicht in diese Welt und würde immer auf Zauberer und Hexen treffen, die ihr genau das bestätigten. Nach außen wirkte sie vielleicht gerissen, doch ich wusste, dass ihre Hinterhältigkeit ein reiner Überlebensmechanismus war.
Ja, sie hatte mich beinahe endgültig zerstört, und ja, sie würde mir wieder gefährlich werden können, aber eher so, wie ein eingekesseltes Tier, das wild um sich schlägt.
Von Neugier getrieben streckte ich schließlich eine Hand aus und strich ihr vorsichtig eine Locke aus dem Gesicht.
"Hermine", sagte ich leiste. Mein erstes Wort, wie mir kurz darauf auffiel. Ich ließ meinen Blick über ihre Gesichtszüge wandern. Ihre Haut wirkte fahl und ihre Lippen waren spröde. Ihre dunklen Wimpern klebten vom Schweiß zusammen und unter ihren Augen lagen tiefe Schatten.
Als ich merkte, dass sie von meiner Berührung nicht aufwachte, ließ ich meine Finger langsam über ihre Wange und den Hals wandern. Kurz überkam mich der Impuls, sie auf der Stelle zu erwürgen. Es jetzt und hier zu beenden und sie irgendwo zwischen den vielen anderen Toten verschwinden zu lassen. Eine bessere Gelegenheit würde sich mir nicht mehr bieten und ich könnte zudem meinen ersten Horkrux kreieren.
Mein Atem ging schneller, als sich meine Hände um Hermines Hals schlangen. Ich übte mehr und mehr Druck aus, bis sie auf einmal anfing zu keuchen. Ich schrak zurück und ärgerte mich im nächsten Moment über meine Reaktion. Ich ließ meinen Kopf über meine Schultern kreisen und versuchte einen klaren Verstand zu behalten. Voldemort hatte nie Probleme damit gehabt jemanden zu töten. Woher kam plötzlich diese Schwäche?
Konnte ich Harrys von meinen Gefühlen nicht mehr auseinanderhalten? Sie hätten doch unterschiedlicher nicht sein können. Tief in mir spürte ich ganz deutlich Verachtung für die Hexe, die unter meinen Händen zitterte. Obwohl ich mich körperlich schwach fühlte, war ich ihr überlegen. Es war mir dennoch zuwider jemanden zu töten, der bewusstlos und wehrlos zu meinen Füßen lag. Selbst Voldemort hatte sich mit Harry duelliert, nach allen Regeln und immer unter Einhaltung der Etikette.
Hermine hob eine Hand und legte sie zitternd auf meine. Ihre Augen waren immer noch geschlossen, als sie wieder anfing zu husten. Ich lockerte meinen Griff und sah sie angewidert an. Nein, ich hatte es nicht nötig sie auf diese Weise zu töten. Ich hatte es nicht einmal geplant, als ich sie erblickte. Ich stand auf und trat einen Schritt zurück. Das alles ging mir zu schnell. Ich handelte viel zu impulsiv und unüberlegt. Wenn ich noch einmal die Chance hatte, von vorne anzufangen, musste ich mich in Geduld üben. Diesmal durfte ich mir keine Fehler erlauben, denn es gab mich nur einmal.
Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte ich mich an einen Baum und betrachtete sie nachdenklich. Ich würde sie nicht umbringen, jedenfalls nicht heute. Trotzdem sollte ich sie ganz genau im Blick behalten. Sie am besten gar nicht erst aus den Augen lassen. Sie würde es schon von weitem sehen, wer ich wirklich war, was ich vorhatte und ob wir auf derselben Seite standen. Und schon würde sie mir gefährlich werden und ich müsste mich um ihre Beseitigung kümmern, noch bevor ich eine Gefolgschaft hatte.
Ich zog den Zauberstab des toten Mannes hervor und presste ihn nachdenklich an meinen Mund. Vielleicht war es doch das Beste, ihr Leben jetzt zu beenden. Es sei denn...
Ich leckte mir über die Lippen und ließ diese merkwürdigen Gedanken, die gerade in mir hoch kamen einfach zu. Es sei denn, Hermine könnte mir noch nützlich werden.
Hier herumzustehen und nichts zu tun, würde mich letztendlich auch nicht weiterbringen. Diesmal folgte ich einem erneuten Impuls, beugte mich zu ihr herunter und hob sie vorsichtig hoch. Sie war leichter als erwartet, als sie in meinen Armen lag. Ich richtete mich auf und trug sie zum Schloss, wo ich vor aller Augen ein wunderbares Bild von unserer ersten Begegnung bieten würde.
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Geblendet - Tomione
FanfictionMit einem Avada Kedavra lassen sich Horkruxe nicht zerstören. Doch niemand ahnt, dass das Seelenstück von Voldemort, welches mehr als 16 Jahre in Harry lebte, mit genau diesem Fluch freigesetz wurde. Es braucht nur noch den Stein der Auferstehung un...