Hermine
In den folgenden Wochen funktionierte ich einfach. Wenn ich den Schlafsaal verließ um zum Unterricht zu gehen oder etwas zu essen, bemerkten mich die Anderen kaum. Ich war die letzte in Gryffindorturm, die morgens aufstand und ging erst ins Bad, wenn alle schon beim Frühstück saßen. Kurz vor Unterrichtsbeginn schlich ich mich in die große Halle und zwang mich zu ein oder zwei Bissen trockenem Toast und einem Schluck Tee. Im Unterricht setzte ich mich um, immer an den jeweiligen Platz ganz hinten, der der Tür am nächsten war. Ich war stets die Letzte, die kam und die Erste, die ging.
An einem verregneten Novembertag stapelte ich die Bücher, die Luna mir aus der Bibliothek ausgeliehen hatte auf meinem Nachttisch. Ich hatte bereits den gesamten Stoff dieses Jahres durch und brauchte neues Lesematerial. Noch einmal wollte ich Luna nicht darum bitten, neue Bücher für mich auszuleihen. Beim letzten Mal hatte ich eine Grippe vorgetäuscht, mir so weitere Fragen erspart und meine Freunde auf Distanz gehalten.
Ich sah aus dem Fenster und erblickte Ginnys schimmernd rote Haare, die wie lodernde Flammen ihren Kopf rahmten. Sie rannte mit einem schlacksigen Typen, ich vermutete Zack, durch den Regen in Richtung Hogsmead. Als ich aus dem Wald zurück gekehrt war und nach stundenlangem Duschen auf Ginny traf, überlege ich erst, es ihr zu erzählen. Doch dieses Leuchten in ihren Augen, das ich seit der Zeit vor der Schlacht so vermisst hatte, hielt mich zurück, mein Problem zu ihrem zu machen. Wieso sollte ich sie beunruhigen und wütend machen, wenn sie die besten Chancen hatte, ein wunderbares letztes Jahr auf Hogwarts zu verbringen?
Und eigentlich ging es mir nicht schlecht. Eigentlich. Ich hatte vor Beginn des Schuljahres in weiser Voraussicht eine Frauenärztin aufgesucht und mir die Pille verschreiben lassen. Ich war nun kein kleines Mädchen mehr und auch wenn ich dabei an niemanden spezielles gedacht hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, dieses Jahr würde es soweit sein. Natürlich mit jemand besonderen. Jemand, dem ich vertrauen konnte.
Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich überlegte Harry eine Eule zu schicken und ihn um Rat zu fragen, doch verwarf den Gedanken wieder. Seine Antwort konnte ich mir denken. Er würde völlig berechtigt stinksauer und enttäuscht sein. Ich hatte mich nicht nur in Gefahr gebracht, sondern auch alles verraten, woran ich glaubte. Und das nur für eine schnelle Nummer, die nicht einmal besonders gut war.
Es war Samstag Abend und die Chancen standen gut, dass ich in der Bibliothek niemandem begegnen würde. Und so kam es auch. Ich atmete erleichtert durch und freute mich in Anwesenheit so vieler Bücher, meiner anderen Freunde, zu sein. Nachdem ich meine ausgeliehenen Bücher zurück sortiert hatte, strich ich ziellos durch die Gänge. Vielleicht sollte ich häufiger Samstag Abend hier her kommen, dachte ich. Mein letztes Schuljahr würde dann zwar nicht so rock'n'roll werden, wie ursprünglich geplant war, aber vielleicht war etwas Ruhe und Abgeschiedenheit genau das, was ich jetzt brauchte.
Ganz in Gedanken versunken schlenderte ich in den nächsten Gang und fuhrt dabei mit den Fingerspitzen über die Buchrücken, bis sich eine kleine Schicht Staub auf meinen Fingerkuppen sammelte. Der dumpfe Knall eines zusammengeklappten Buches holte mich wieder zurück ins Hier und Jetzt. Ich blickte auf und fand mein Gesicht nur wenige Zentimeter von Valentine Fawleys entfernt. Ich fuhr zusammen und machte einen Satz zurück. Fawley starrte genauso erschrocken zu mir zurück. Hektisch versuchte er das Buch, das er hielt hinter seinem Rücken zu verstecken.
"Ähm. 'Tschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken", stammelte ich.
"Hast du nicht", sagte er.
Mein Blick wanderte zu dem Buch. "Was liest du da?"
Fawley zog die Augenbrauen zusammen. "Du willst nicht wirklich mit mir reden, also lass es einfach." Mit diesen Worten schob er sich an mir vorbei und stapfte davon.
Na dann halt nicht, dachte ich schulterzuckend. Dieser Fawley Typ befand sich auf meinem Radar ohnehin irgendwo zwischen völlig egal und kann ich nicht leiden. Ich schenkte dieser Begegnung also nicht weiter Bedeutung und schaute mich ganz in Ruhe nach neuer Bettlektüre um.
"Ich wusste doch, dass ich dich früher oder später hier finden würde."
Vor Schreck lies ich einen Stapel Bücher vor meine Füße fallen. Seine Stimme jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken sodass sich meine Nackenhaare aufstellten. Mit aller Ruhe, die ich mühevoll aufbringen konnte, sammelte ich die Bücher vom Boden auf und strich sorgsam die umgeknickten Ecken glatt. Der Drang wegzulaufen überkam mich, doch den Triumph wollte ich Tom, dessen Blicke ich auf mir spürte, nicht gönnen. Stattdessen setzte ich mich an einen der schmalen Tische entlang der Bücherregale und schlug das erste Buch auf. Ich registrierte kaum, was ich da vor mir hatte und versuchte Toms Silhouette aus dem Augenwinkel zu beobachten.
Tom atmete tief durch. "Hermine."
Ich wartete einen Moment bevor ich antworte. "Ich habe zu tun, Tom."
Er trat näher an mich heran.
"Das heißt verpiss dich!", sagte ich schärfer.
Seine Hand klappte mein Buch zu und mit einem Ruck drehte er mich im Stuhl herum. Er ging in die Hocke und packte mich an den Armen. "Wir werden jetzt über die Sache im Wald reden." Er schnauzte mich fast an.
"Reden?", fragte ich völlig verwirrt. "Worüber denn?" Ich versuchte seine Hände abzustreifen, doch er packte mich noch fester.
Tom blinzelte und lies tatsächlich von mir ab. Er setzte sich auf einen Stuhl neben mich und kam unangenehm nahe, so wie Harry und ich damals, wenn wir etwas ausgeheckt hatten. Langsam wich ich ein paar Zentimeter zurück. Doch Tom holte auf.
"Das im Wald..."
Ich hob die Augenbrauen. "Ja?"
"Das war so nicht geplant", sagte er leise.
"Glaubst du etwa von mir?", zischte ich. "Das war der größte Fehler meines Lebens!"
"Es war also ein Fehler für dich? Sonst nichts?"
"Was denn sonst?" Ich verlor langsam die Geduld.
"Ich muss zugeben, dass ich etwas zu hart war. Da habe ich mich gefragt, ob ich etwas gegen deinen Willen gemacht habe."
Wir blickten uns in die Augen.
Diesmal rückte ich näher. "Tom, wenn du mich vergewaltigt hättest, dann hätte ich dich schon längst umgebracht." Ich lehnte mich wieder zurück. "Ich wollte es, warum auch immer. Nur wollte ich es nicht auf diese Art. Du hast dich einfach an mir ausgetobt und bist kein Stück auf mich eingegangen. Wärst du nicht so früh gekommen, hätte ich es abgebrochen. Ob du weitergemacht hättest, kann ich nicht einschätzen, aber warum machst ausgerechnet du dir über so etwas Gedanken?"
Tom überlegte. "Es wäre nicht gut für mein Seelenheil, denke ich."
Ich lachte spitz. "Nicht gut für dein Seelenheil?! Du widerst mich an!"
Toms Mundwinkel hoben sich leicht. "Und trotzdem wolltest du mich. Widerst du dich dann nicht auch selbst an?", raunte er.
Mir wurde schlecht. Ich spürte mein Gesicht heiß werden.
Das schien Tom noch mehr in Fahrt zu bringen. "Das heißt also, wenn ich mehr auf deine Wünsche eingehen würde..."
Ich richtete mich auf und rang um Fassung. "Das schaffst du nicht."
"Weißt du, für mich war es kein Fehler. Ich sammle gerne neue Erfahrungen. Vor allem wenn es um meine Mitmenschen geht. Du weißt in dem Bereich konnte ich bisher nicht all zu viele Erfahrungen machen. Hilf mir, dich besser zu verstehen." Er strich mit den Fingern über eine meiner Locken. "Und sollte ich doch etwas zu weit gegangen sein, dann bitte ich dich, mir zu verzeihen."
"Na gut Tom, ich verzeihe dir diesen unglaublich schlechten Sex. Ist damit genug für dein Seelenheil getan?" Ich stand so abrupt auf, dass der Stuhl umkippte und eilte aus der Bibliothek heraus, während ich mich fragte, was zur Hölle hier gerade passierte.
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Geblendet - Tomione
FanficMit einem Avada Kedavra lassen sich Horkruxe nicht zerstören. Doch niemand ahnt, dass das Seelenstück von Voldemort, welches mehr als 16 Jahre in Harry lebte, mit genau diesem Fluch freigesetz wurde. Es braucht nur noch den Stein der Auferstehung un...